Kamen wir gegen 5 in Potsdam an: der Weg dahin schöner, als man es je sagt, und wie auch ich es immer wie- der vergesse; in Schöneberg sprachen wir bei Mad. Ephr. an, die an den Wagen kam; in Potsdam kauften wir Früchte. Potsdam war lange nicht so öde, als ich's dachte; keine Zer- störung, lebhafter in den Straßen, als sonst. Viel von den Pocken blinde Kinder. Viel und gutes Obst. Die Menschen bei weitem dienstfertiger als sonst. -- Gleich hinter Potsdam ungemein und wie nicht zu vermuthen schön. Besonders Ar- tischockenfelder, die, sähe man sie in andern Ländern oder Klima, ganz bedruckt wären: alles verräth Anbau dort. Wie angenehm ist Chaussee! Welch Gefühl von Sicherheit; wel- cher Trost, daß sie das Land schaffen kann. Die Havel über- rascht einen von Viertelstunde zu Viertelstunde in ganz an- sehnlich großen Seen rechts und links, und häufig findet man sie grade vor sich. Es ist schön, daß sie so krumm herum- läuft, wie die arme Spree, die auch ihr Möglichstes thut. Man reist ordentlich ganz angenehm diesen Weg: sonnen- orange mit spike-farbenen Abendwolken mit glattabgeschnitte- nem Umriß war der liebe Himmel; so blieb es hell und lange ohne Sterne; sie traten auch hervor, und so kamen wir sicher, das heißt behaglich und mit dem geliebten preußischen Sicher- heitsgefühl, mit ihnen nach Großenkreuz, einem Bauerhause in einem Dorfe in Duschwald gelegen. So nenne ich einen Wald, nicht größer als ein Busch. In einer Stube saßen
Aus einem Tagebuch.
Montag, den 19. September 1808.
Kamen wir gegen 5 in Potsdam an: der Weg dahin ſchöner, als man es je ſagt, und wie auch ich es immer wie- der vergeſſe; in Schöneberg ſprachen wir bei Mad. Ephr. an, die an den Wagen kam; in Potsdam kauften wir Früchte. Potsdam war lange nicht ſo öde, als ich’s dachte; keine Zer- ſtörung, lebhafter in den Straßen, als ſonſt. Viel von den Pocken blinde Kinder. Viel und gutes Obſt. Die Menſchen bei weitem dienſtfertiger als ſonſt. — Gleich hinter Potsdam ungemein und wie nicht zu vermuthen ſchön. Beſonders Ar- tiſchockenfelder, die, ſähe man ſie in andern Ländern oder Klima, ganz bedruckt wären: alles verräth Anbau dort. Wie angenehm iſt Chauſſée! Welch Gefühl von Sicherheit; wel- cher Troſt, daß ſie das Land ſchaffen kann. Die Havel über- raſcht einen von Viertelſtunde zu Viertelſtunde in ganz an- ſehnlich großen Seen rechts und links, und häufig findet man ſie grade vor ſich. Es iſt ſchön, daß ſie ſo krumm herum- läuft, wie die arme Spree, die auch ihr Möglichſtes thut. Man reiſt ordentlich ganz angenehm dieſen Weg: ſonnen- orange mit ſpike-farbenen Abendwolken mit glattabgeſchnitte- nem Umriß war der liebe Himmel; ſo blieb es hell und lange ohne Sterne; ſie traten auch hervor, und ſo kamen wir ſicher, das heißt behaglich und mit dem geliebten preußiſchen Sicher- heitsgefühl, mit ihnen nach Großenkreuz, einem Bauerhauſe in einem Dorfe in Duſchwald gelegen. So nenne ich einen Wald, nicht größer als ein Buſch. In einer Stube ſaßen
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Aus einem Tagebuch.
Montag, den 19. September 1808.
Kamen wir gegen 5 in Potsdam an: der Weg dahin
ſchöner, als man es je ſagt, und wie auch ich es immer wie-
der vergeſſe; in Schöneberg ſprachen wir bei Mad. Ephr. an,
die an den Wagen kam; in Potsdam kauften wir Früchte.
Potsdam war lange nicht ſo öde, als ich’s dachte; keine Zer-
ſtörung, lebhafter in den Straßen, als ſonſt. Viel von den
Pocken blinde Kinder. Viel und gutes Obſt. Die Menſchen
bei weitem dienſtfertiger als ſonſt. — Gleich hinter Potsdam
ungemein und wie nicht zu vermuthen ſchön. Beſonders Ar-
tiſchockenfelder, die, ſähe man ſie in andern Ländern oder
Klima, ganz bedruckt wären: alles verräth Anbau dort. Wie
angenehm iſt Chauſſée! Welch Gefühl von Sicherheit; wel-
cher Troſt, daß ſie das Land ſchaffen kann. Die Havel über-
raſcht einen von Viertelſtunde zu Viertelſtunde in ganz an-
ſehnlich großen Seen rechts und links, und häufig findet man
ſie grade vor ſich. Es iſt ſchön, daß ſie ſo krumm herum-
läuft, wie die arme Spree, die auch ihr Möglichſtes thut.
Man reiſt ordentlich ganz angenehm dieſen Weg: ſonnen-
orange mit ſpike-farbenen Abendwolken mit glattabgeſchnitte-
nem Umriß war der liebe Himmel; ſo blieb es hell und lange
ohne Sterne; ſie traten auch hervor, und ſo kamen wir ſicher,
das heißt behaglich und mit dem geliebten preußiſchen Sicher-
heitsgefühl, mit ihnen nach Großenkreuz, einem Bauerhauſe
in einem Dorfe in Duſchwald gelegen. So nenne ich einen
Wald, nicht größer als ein Buſch. In einer Stube ſaßen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/359>, abgerufen am 20.11.2024.
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