doch in so weit ab, daß es mir schien, es sei eine alte heftige Rührung, die er nicht verstand. Natürlich! Auf mich ist die Humboldt böse. Die ganze Welt, außer Sie!! -- Wie mich der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar sah ich im vorigen Winter viel. Sie kennen ihn, ich kannte ihn nicht; ich rechne es immer einem Menschen hoch an, wenn es sich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürst interessant. Mir sind ein paar komische Anekdoten mit ihm begegnet, Adieu für heute; das Papier ist alle, mein Süd- länder liest schon bei mir, ich bin müde; und -- merken Sie's dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird gelesen? Ich kann wahrlich dann nicht schreiben. Aber ich schreibe Ih- nen noch viel. Adieu.
Sonnabend den 9. Januar. Mittags um 12 Uhr.
Denken Sie sich mein Glück, als ich gestern voller Kopf- schmerzen den vollgeschriebenen Bogen an Sie wegschiebe, tritt mein Bruder in's Zimmer: "an Brinckmann", sage ich; (denn wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen schreiben wollte und nicht könne, sondern auch meine beiden Hausgenossen,) "aber es ist gar kein Brief, weil mich noch immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un- gefähr weiß, wie ich den Brief abschicken soll." Gieb ihn mir, sagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es ist ein ganz ordentlicher Mensch. Nun will ich noch vorher des Mannes Bekanntschaft machen. In so weit bin ich nun wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:
doch in ſo weit ab, daß es mir ſchien, es ſei eine alte heftige Rührung, die er nicht verſtand. Natürlich! Auf mich iſt die Humboldt böſe. Die ganze Welt, außer Sie!! — Wie mich der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar ſah ich im vorigen Winter viel. Sie kennen ihn, ich kannte ihn nicht; ich rechne es immer einem Menſchen hoch an, wenn es ſich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürſt intereſſant. Mir ſind ein paar komiſche Anekdoten mit ihm begegnet, Adieu für heute; das Papier iſt alle, mein Süd- länder lieſt ſchon bei mir, ich bin müde; und — merken Sie’s dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird geleſen? Ich kann wahrlich dann nicht ſchreiben. Aber ich ſchreibe Ih- nen noch viel. Adieu.
Sonnabend den 9. Januar. Mittags um 12 Uhr.
Denken Sie ſich mein Glück, als ich geſtern voller Kopf- ſchmerzen den vollgeſchriebenen Bogen an Sie wegſchiebe, tritt mein Bruder in’s Zimmer: „an Brinckmann“, ſage ich; (denn wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen ſchreiben wollte und nicht könne, ſondern auch meine beiden Hausgenoſſen,) „aber es iſt gar kein Brief, weil mich noch immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un- gefähr weiß, wie ich den Brief abſchicken ſoll.“ Gieb ihn mir, ſagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es iſt ein ganz ordentlicher Menſch. Nun will ich noch vorher des Mannes Bekanntſchaft machen. In ſo weit bin ich nun wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0345"n="331"/>
doch in ſo weit ab, daß es <hirendition="#g">mir</hi>ſchien, es ſei eine alte heftige<lb/>
Rührung, die er nicht verſtand. Natürlich! Auf mich iſt die<lb/>
Humboldt böſe. Die ganze Welt, außer Sie!! — Wie mich<lb/>
der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das<lb/>
glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar ſah<lb/>
ich im vorigen Winter viel. <hirendition="#g">Sie</hi> kennen ihn, ich kannte ihn<lb/>
nicht; ich rechne es immer einem Menſchen hoch an, wenn es<lb/>ſich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürſt<lb/>
intereſſant. Mir ſind ein paar komiſche Anekdoten mit ihm<lb/>
begegnet, Adieu für heute; das Papier iſt alle, mein Süd-<lb/>
länder lieſt ſchon bei mir, ich bin müde; und — merken Sie’s<lb/>
dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird geleſen?<lb/>
Ich kann wahrlich dann nicht ſchreiben. Aber ich ſchreibe Ih-<lb/>
nen noch viel. Adieu.</p></div><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonnabend den 9. Januar. Mittags<lb/>
um 12 Uhr.</hi></dateline><lb/><p>Denken Sie ſich mein Glück, als ich geſtern voller Kopf-<lb/>ſchmerzen den vollgeſchriebenen Bogen an Sie wegſchiebe, tritt<lb/>
mein Bruder in’s Zimmer: „an Brinckmann“, ſage ich; (denn<lb/>
wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen<lb/>ſchreiben wollte und nicht könne, ſondern auch meine beiden<lb/>
Hausgenoſſen,) „aber es <hirendition="#g">iſt</hi> gar kein Brief, weil mich noch<lb/>
immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un-<lb/>
gefähr weiß, wie ich den Brief abſchicken ſoll.“ Gieb ihn mir,<lb/>ſagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es<lb/>
iſt ein ganz ordentlicher Menſch. Nun will ich noch vorher<lb/>
des Mannes Bekanntſchaft machen. In ſo weit bin ich nun<lb/>
wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[331/0345]
doch in ſo weit ab, daß es mir ſchien, es ſei eine alte heftige
Rührung, die er nicht verſtand. Natürlich! Auf mich iſt die
Humboldt böſe. Die ganze Welt, außer Sie!! — Wie mich
der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das
glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar ſah
ich im vorigen Winter viel. Sie kennen ihn, ich kannte ihn
nicht; ich rechne es immer einem Menſchen hoch an, wenn es
ſich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürſt
intereſſant. Mir ſind ein paar komiſche Anekdoten mit ihm
begegnet, Adieu für heute; das Papier iſt alle, mein Süd-
länder lieſt ſchon bei mir, ich bin müde; und — merken Sie’s
dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird geleſen?
Ich kann wahrlich dann nicht ſchreiben. Aber ich ſchreibe Ih-
nen noch viel. Adieu.
Sonnabend den 9. Januar. Mittags
um 12 Uhr.
Denken Sie ſich mein Glück, als ich geſtern voller Kopf-
ſchmerzen den vollgeſchriebenen Bogen an Sie wegſchiebe, tritt
mein Bruder in’s Zimmer: „an Brinckmann“, ſage ich; (denn
wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen
ſchreiben wollte und nicht könne, ſondern auch meine beiden
Hausgenoſſen,) „aber es iſt gar kein Brief, weil mich noch
immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un-
gefähr weiß, wie ich den Brief abſchicken ſoll.“ Gieb ihn mir,
ſagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es
iſt ein ganz ordentlicher Menſch. Nun will ich noch vorher
des Mannes Bekanntſchaft machen. In ſo weit bin ich nun
wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/345>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.