Je weniger ein Mensch selber zärtlich sein kann, je nöthi- ger hat er's, daß man's mit ihm sei: aber nur Herzen erschlie- ßen Herzen: und wo Mangel ist, ist wohl Noth; nur das Lebendige aber fühlt, was es nöthig hat. Doch haben alle Sterbliche Momente von Leben.
Den 18. Januar 1807.
Überall hab' ich an nichts mehr einen Ekel, als mich zu verstellen. Für Königreiche, für ein Leben in glücklichen Thä- lern! aber nicht, damit die, die einen niemals kennen, ein we- nig anders kennen. Was in mir vorgeht, das ist gut: ich sorge gar nicht! --
An Ludwig Robert, in Paris.
Berlin, Dienstag den 3. Frbruar 1807.
-- Wie freut es mich in der tiefsten Seele, dieselbe Auf- nahme für unser Schicksal in der deinigen zu sehen! Nicht Silbenmaß, nicht Dictionnaire jeder Art, nicht Titel, welche Akademieen uns verleihen, sind das errungene Gut des durch- schmerzten Herzens! Das gestählte Herz selber ist es: die sich alles gewärtige Seele! der nichts bleibt, als ihr eigenes Ge- wissen, die, von diesem innersten Punkt des Seins aus, sich auf sich selbst stemmt, und so ihre Existenz erwartet! mit ungetrübten, ungefangenem Geiste, unsere Mitgift, auf daß wir nicht vergehen -- aus dem Hause Gottes. Der Kinder- sinn -- nicht in neumodischer, nachplaudernder Sprache --
Den 14. Januar 1807.
Je weniger ein Menſch ſelber zärtlich ſein kann, je nöthi- ger hat er’s, daß man’s mit ihm ſei: aber nur Herzen erſchlie- ßen Herzen: und wo Mangel iſt, iſt wohl Noth; nur das Lebendige aber fühlt, was es nöthig hat. Doch haben alle Sterbliche Momente von Leben.
Den 18. Januar 1807.
Überall hab’ ich an nichts mehr einen Ekel, als mich zu verſtellen. Für Königreiche, für ein Leben in glücklichen Thä- lern! aber nicht, damit die, die einen niemals kennen, ein we- nig anders kennen. Was in mir vorgeht, das iſt gut: ich ſorge gar nicht! —
An Ludwig Robert, in Paris.
Berlin, Dienstag den 3. Frbruar 1807.
— Wie freut es mich in der tiefſten Seele, dieſelbe Auf- nahme für unſer Schickſal in der deinigen zu ſehen! Nicht Silbenmaß, nicht Dictionnaire jeder Art, nicht Titel, welche Akademieen uns verleihen, ſind das errungene Gut des durch- ſchmerzten Herzens! Das geſtählte Herz ſelber iſt es: die ſich alles gewärtige Seele! der nichts bleibt, als ihr eigenes Ge- wiſſen, die, von dieſem innerſten Punkt des Seins aus, ſich auf ſich ſelbſt ſtemmt, und ſo ihre Exiſtenz erwartet! mit ungetrübten, ungefangenem Geiſte, unſere Mitgift, auf daß wir nicht vergehen — aus dem Hauſe Gottes. Der Kinder- ſinn — nicht in neumodiſcher, nachplaudernder Sprache —
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Den 14. Januar 1807.
Je weniger ein Menſch ſelber zärtlich ſein kann, je nöthi-
ger hat er’s, daß man’s mit ihm ſei: aber nur Herzen erſchlie-
ßen Herzen: und wo Mangel iſt, iſt wohl Noth; nur das
Lebendige aber fühlt, was es nöthig hat. Doch haben alle
Sterbliche Momente von Leben.
Den 18. Januar 1807.
Überall hab’ ich an nichts mehr einen Ekel, als mich zu
verſtellen. Für Königreiche, für ein Leben in glücklichen Thä-
lern! aber nicht, damit die, die einen niemals kennen, ein we-
nig anders kennen. Was in mir vorgeht, das iſt gut: ich
ſorge gar nicht! —
An Ludwig Robert, in Paris.
Berlin, Dienstag den 3. Frbruar 1807.
— Wie freut es mich in der tiefſten Seele, dieſelbe Auf-
nahme für unſer Schickſal in der deinigen zu ſehen! Nicht
Silbenmaß, nicht Dictionnaire jeder Art, nicht Titel, welche
Akademieen uns verleihen, ſind das errungene Gut des durch-
ſchmerzten Herzens! Das geſtählte Herz ſelber iſt es: die ſich
alles gewärtige Seele! der nichts bleibt, als ihr eigenes Ge-
wiſſen, die, von dieſem innerſten Punkt des Seins aus, ſich
auf ſich ſelbſt ſtemmt, und ſo ihre Exiſtenz erwartet! mit
ungetrübten, ungefangenem Geiſte, unſere Mitgift, auf daß
wir nicht vergehen — aus dem Hauſe Gottes. Der Kinder-
ſinn — nicht in neumodiſcher, nachplaudernder Sprache —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/324>, abgerufen am 20.11.2024.
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