ken muß, und wenn Einer also nichts versteht, nur abgeschmackt ist; so reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die tiefste Sitte verkehrten Anspruch macht, den muß man abfüh- ren; wenigstens daß es die Andern merken, und man dem ge- rechtesten Anspruch des Menschen etwas abrächet. Bujar weiß aber von Musik, und das meint' ich ganz ernst, ohne Kon- vulsion. --
Ich ließ ihn etwas von Goethe lesen: und ich liebe ihn wegen seinem regen Sinn für Musik, und Musik in Gedich- ten; dies von einem Franzosen, im Deutschen, ergötzte und unterhielt mich. -- Ich bin rege und amüsabel: und freue mich darüber. Dies, mit großem erstandenen Leid gesellt, giebt dem ganzen Wesen dies Gewicht, das es gehen macht. --
Den 13. Januar 1807.
Menschen ohne Sitten (aber nicht wie sie beim Thee da- von sprechen) sind die wahre Geißel der Andern) Daher kommt alles! Was kann man denn wohl mit einem tau- ben, vertäubten Gewissen begreifen und fassen; und mit einem matten stockigen Herzen. Und sie tragen alle face humaine! (Menschlich Angesicht. Daß aber Gesicht im Französischen eher kommt, ist besser.) Man sollte die Fratzen und Schreck- bilder sehen, wenn sie aussähen, wie sie sind. Kommt das nie? Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und sie müßten sich immer hübsch vorkommen: und die Besserung nicht daher kommen.
ken muß, und wenn Einer alſo nichts verſteht, nur abgeſchmackt iſt; ſo reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die tiefſte Sitte verkehrten Anſpruch macht, den muß man abfüh- ren; wenigſtens daß es die Andern merken, und man dem ge- rechteſten Anſpruch des Menſchen etwas abrächet. Bujar weiß aber von Muſik, und das meint’ ich ganz ernſt, ohne Kon- vulſion. —
Ich ließ ihn etwas von Goethe leſen: und ich liebe ihn wegen ſeinem regen Sinn für Muſik, und Muſik in Gedich- ten; dies von einem Franzoſen, im Deutſchen, ergötzte und unterhielt mich. — Ich bin rege und amüſabel: und freue mich darüber. Dies, mit großem erſtandenen Leid geſellt, giebt dem ganzen Weſen dies Gewicht, das es gehen macht. —
Den 13. Januar 1807.
Menſchen ohne Sitten (aber nicht wie ſie beim Thee da- von ſprechen) ſind die wahre Geißel der Andern) Daher kommt alles! Was kann man denn wohl mit einem tau- ben, vertäubten Gewiſſen begreifen und faſſen; und mit einem matten ſtockigen Herzen. Und ſie tragen alle face humaine! (Menſchlich Angeſicht. Daß aber Geſicht im Franzöſiſchen eher kommt, iſt beſſer.) Man ſollte die Fratzen und Schreck- bilder ſehen, wenn ſie ausſähen, wie ſie ſind. Kommt das nie? Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und ſie müßten ſich immer hübſch vorkommen: und die Beſſerung nicht daher kommen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0323"n="309"/>
ken muß, und wenn Einer alſo nichts verſteht, nur abgeſchmackt<lb/>
iſt; ſo reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten<lb/>
Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die<lb/>
tiefſte Sitte verkehrten Anſpruch macht, den muß man abfüh-<lb/>
ren; wenigſtens daß es die Andern merken, und man dem ge-<lb/>
rechteſten Anſpruch des Menſchen etwas abrächet. Bujar weiß<lb/>
aber von Muſik, und das meint’ ich ganz ernſt, ohne Kon-<lb/>
vulſion. —</p><lb/><p>Ich ließ ihn etwas von Goethe leſen: und ich liebe ihn<lb/>
wegen ſeinem regen Sinn für Muſik, und Muſik in Gedich-<lb/>
ten; dies von einem Franzoſen, im Deutſchen, ergötzte und<lb/>
unterhielt mich. — Ich bin rege und amüſabel: und freue<lb/>
mich <hirendition="#g">dar</hi>über. Dies, mit großem erſtandenen Leid geſellt,<lb/>
giebt dem ganzen Weſen dies Gewicht, das es gehen macht. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 13. Januar 1807.</hi></dateline><lb/><p>Menſchen ohne Sitten (aber nicht wie ſie beim Thee da-<lb/>
von ſprechen) ſind die wahre Geißel der Andern) Daher<lb/>
kommt <hirendition="#g">alles</hi>! Was kann man denn wohl mit einem tau-<lb/>
ben, vertäubten Gewiſſen begreifen und faſſen; und mit einem<lb/>
matten ſtockigen Herzen. Und ſie tragen alle <hirendition="#aq">face humaine!</hi><lb/>
(Menſchlich Angeſicht. Daß aber Geſicht im Franzöſiſchen<lb/>
eher kommt, iſt beſſer.) Man ſollte die Fratzen und Schreck-<lb/>
bilder ſehen, wenn ſie ausſähen, wie ſie ſind. Kommt das nie?<lb/>
Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und ſie müßten ſich immer<lb/>
hübſch vorkommen: und die Beſſerung nicht <hirendition="#g">da</hi>her kommen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[309/0323]
ken muß, und wenn Einer alſo nichts verſteht, nur abgeſchmackt
iſt; ſo reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten
Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die
tiefſte Sitte verkehrten Anſpruch macht, den muß man abfüh-
ren; wenigſtens daß es die Andern merken, und man dem ge-
rechteſten Anſpruch des Menſchen etwas abrächet. Bujar weiß
aber von Muſik, und das meint’ ich ganz ernſt, ohne Kon-
vulſion. —
Ich ließ ihn etwas von Goethe leſen: und ich liebe ihn
wegen ſeinem regen Sinn für Muſik, und Muſik in Gedich-
ten; dies von einem Franzoſen, im Deutſchen, ergötzte und
unterhielt mich. — Ich bin rege und amüſabel: und freue
mich darüber. Dies, mit großem erſtandenen Leid geſellt,
giebt dem ganzen Weſen dies Gewicht, das es gehen macht. —
Den 13. Januar 1807.
Menſchen ohne Sitten (aber nicht wie ſie beim Thee da-
von ſprechen) ſind die wahre Geißel der Andern) Daher
kommt alles! Was kann man denn wohl mit einem tau-
ben, vertäubten Gewiſſen begreifen und faſſen; und mit einem
matten ſtockigen Herzen. Und ſie tragen alle face humaine!
(Menſchlich Angeſicht. Daß aber Geſicht im Franzöſiſchen
eher kommt, iſt beſſer.) Man ſollte die Fratzen und Schreck-
bilder ſehen, wenn ſie ausſähen, wie ſie ſind. Kommt das nie?
Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und ſie müßten ſich immer
hübſch vorkommen: und die Beſſerung nicht daher kommen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/323>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.