Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ken muß, und wenn Einer also nichts versteht, nur abgeschmackt
ist; so reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten
Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die
tiefste Sitte verkehrten Anspruch macht, den muß man abfüh-
ren; wenigstens daß es die Andern merken, und man dem ge-
rechtesten Anspruch des Menschen etwas abrächet. Bujar weiß
aber von Musik, und das meint' ich ganz ernst, ohne Kon-
vulsion. --

Ich ließ ihn etwas von Goethe lesen: und ich liebe ihn
wegen seinem regen Sinn für Musik, und Musik in Gedich-
ten; dies von einem Franzosen, im Deutschen, ergötzte und
unterhielt mich. -- Ich bin rege und amüsabel: und freue
mich darüber. Dies, mit großem erstandenen Leid gesellt,
giebt dem ganzen Wesen dies Gewicht, das es gehen macht. --




Menschen ohne Sitten (aber nicht wie sie beim Thee da-
von sprechen) sind die wahre Geißel der Andern) Daher
kommt alles! Was kann man denn wohl mit einem tau-
ben, vertäubten Gewissen begreifen und fassen; und mit einem
matten stockigen Herzen. Und sie tragen alle face humaine!
(Menschlich Angesicht. Daß aber Gesicht im Französischen
eher kommt, ist besser.) Man sollte die Fratzen und Schreck-
bilder sehen, wenn sie aussähen, wie sie sind. Kommt das nie?
Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und sie müßten sich immer
hübsch vorkommen: und die Besserung nicht daher kommen.



ken muß, und wenn Einer alſo nichts verſteht, nur abgeſchmackt
iſt; ſo reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten
Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die
tiefſte Sitte verkehrten Anſpruch macht, den muß man abfüh-
ren; wenigſtens daß es die Andern merken, und man dem ge-
rechteſten Anſpruch des Menſchen etwas abrächet. Bujar weiß
aber von Muſik, und das meint’ ich ganz ernſt, ohne Kon-
vulſion. —

Ich ließ ihn etwas von Goethe leſen: und ich liebe ihn
wegen ſeinem regen Sinn für Muſik, und Muſik in Gedich-
ten; dies von einem Franzoſen, im Deutſchen, ergötzte und
unterhielt mich. — Ich bin rege und amüſabel: und freue
mich darüber. Dies, mit großem erſtandenen Leid geſellt,
giebt dem ganzen Weſen dies Gewicht, das es gehen macht. —




Menſchen ohne Sitten (aber nicht wie ſie beim Thee da-
von ſprechen) ſind die wahre Geißel der Andern) Daher
kommt alles! Was kann man denn wohl mit einem tau-
ben, vertäubten Gewiſſen begreifen und faſſen; und mit einem
matten ſtockigen Herzen. Und ſie tragen alle face humaine!
(Menſchlich Angeſicht. Daß aber Geſicht im Franzöſiſchen
eher kommt, iſt beſſer.) Man ſollte die Fratzen und Schreck-
bilder ſehen, wenn ſie ausſähen, wie ſie ſind. Kommt das nie?
Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und ſie müßten ſich immer
hübſch vorkommen: und die Beſſerung nicht daher kommen.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0323" n="309"/>
ken muß, und wenn Einer al&#x017F;o nichts ver&#x017F;teht, nur abge&#x017F;chmackt<lb/>
i&#x017F;t; &#x017F;o reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten<lb/>
Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die<lb/>
tief&#x017F;te Sitte verkehrten An&#x017F;pruch macht, den muß man abfüh-<lb/>
ren; wenig&#x017F;tens daß es die Andern merken, und man dem ge-<lb/>
rechte&#x017F;ten An&#x017F;pruch des Men&#x017F;chen etwas abrächet. Bujar weiß<lb/>
aber von Mu&#x017F;ik, und das meint&#x2019; ich ganz ern&#x017F;t, ohne Kon-<lb/>
vul&#x017F;ion. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Ich ließ ihn etwas von Goethe le&#x017F;en: und ich liebe ihn<lb/>
wegen &#x017F;einem regen Sinn für Mu&#x017F;ik, und Mu&#x017F;ik in Gedich-<lb/>
ten; dies von einem Franzo&#x017F;en, im Deut&#x017F;chen, ergötzte und<lb/>
unterhielt mich. &#x2014; Ich bin rege und amü&#x017F;abel: und freue<lb/>
mich <hi rendition="#g">dar</hi>über. Dies, mit großem er&#x017F;tandenen Leid ge&#x017F;ellt,<lb/>
giebt dem ganzen We&#x017F;en dies Gewicht, das es gehen macht. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 13. Januar 1807.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Men&#x017F;chen ohne Sitten (aber nicht wie &#x017F;ie beim Thee da-<lb/>
von &#x017F;prechen) &#x017F;ind die wahre Geißel der Andern) Daher<lb/>
kommt <hi rendition="#g">alles</hi>! Was kann man denn wohl mit einem tau-<lb/>
ben, vertäubten Gewi&#x017F;&#x017F;en begreifen und fa&#x017F;&#x017F;en; und mit einem<lb/>
matten &#x017F;tockigen Herzen. Und &#x017F;ie tragen alle <hi rendition="#aq">face humaine!</hi><lb/>
(Men&#x017F;chlich Ange&#x017F;icht. Daß aber Ge&#x017F;icht im Franzö&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
eher kommt, i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er.) Man &#x017F;ollte die Fratzen und Schreck-<lb/>
bilder &#x017F;ehen, wenn &#x017F;ie aus&#x017F;ähen, wie &#x017F;ie &#x017F;ind. Kommt das nie?<lb/>
Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und &#x017F;ie müßten &#x017F;ich immer<lb/>
hüb&#x017F;ch vorkommen: und die Be&#x017F;&#x017F;erung nicht <hi rendition="#g">da</hi>her kommen.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0323] ken muß, und wenn Einer alſo nichts verſteht, nur abgeſchmackt iſt; ſo reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die tiefſte Sitte verkehrten Anſpruch macht, den muß man abfüh- ren; wenigſtens daß es die Andern merken, und man dem ge- rechteſten Anſpruch des Menſchen etwas abrächet. Bujar weiß aber von Muſik, und das meint’ ich ganz ernſt, ohne Kon- vulſion. — Ich ließ ihn etwas von Goethe leſen: und ich liebe ihn wegen ſeinem regen Sinn für Muſik, und Muſik in Gedich- ten; dies von einem Franzoſen, im Deutſchen, ergötzte und unterhielt mich. — Ich bin rege und amüſabel: und freue mich darüber. Dies, mit großem erſtandenen Leid geſellt, giebt dem ganzen Weſen dies Gewicht, das es gehen macht. — Den 13. Januar 1807. Menſchen ohne Sitten (aber nicht wie ſie beim Thee da- von ſprechen) ſind die wahre Geißel der Andern) Daher kommt alles! Was kann man denn wohl mit einem tau- ben, vertäubten Gewiſſen begreifen und faſſen; und mit einem matten ſtockigen Herzen. Und ſie tragen alle face humaine! (Menſchlich Angeſicht. Daß aber Geſicht im Franzöſiſchen eher kommt, iſt beſſer.) Man ſollte die Fratzen und Schreck- bilder ſehen, wenn ſie ausſähen, wie ſie ſind. Kommt das nie? Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und ſie müßten ſich immer hübſch vorkommen: und die Beſſerung nicht daher kommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/323
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/323>, abgerufen am 30.12.2024.