lesen. Ich kann nicht errathen, von wem es ist: aber un- möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil, wenn man in eine Wissenschaft gedrungen ist, und mit den meisten Litteratoren der Zeit streitet -- sie also kennt -- nichts dergleichen zu Papiere setzen kann. Ich las also den meister- haft geschriebenen Roman weiter, studirte Franzosen und Fran- zösisch. Dachte noch Einmal viel über Gesellschaft, Erziehung: den Unplan derselben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na- tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf's Neue!! Schrieb manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen nicht vergessen hatte; spielte ein wenig von Righini: schrieb das: höre 11 rufen; warte auf Mondschein, will ein bischen gehen um zu schlafen. --
Freitag, den 4. Oktober 1806.
-- Bruno krepirt mich sehr: den Tag hätte ich in jedem Fall, bei mir -- wenn auch mit andern Büchern -- zuge- bracht. An Spaziren ist nicht zu denken. Außer wenn etwa warmer Mond käme.
Ich glaube, Sie loben mich aus Eifersucht nicht! Ich habe mein heutiges Betragen himmlisch gefunden! bei Vor- satz so viel Natur zu behalten, ist eine Haltung, die ich anbete. -- Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun- derung zu mir? Den bittern Tadel sehen zu lassen, bin ich zu weichlich: und zu verwundet. "Le coeur foule" --
sagte
leſen. Ich kann nicht errathen, von wem es iſt: aber un- möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil, wenn man in eine Wiſſenſchaft gedrungen iſt, und mit den meiſten Litteratoren der Zeit ſtreitet — ſie alſo kennt — nichts dergleichen zu Papiere ſetzen kann. Ich las alſo den meiſter- haft geſchriebenen Roman weiter, ſtudirte Franzoſen und Fran- zöſiſch. Dachte noch Einmal viel über Geſellſchaft, Erziehung: den Unplan derſelben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na- tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf’s Neue!! Schrieb manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen nicht vergeſſen hatte; ſpielte ein wenig von Righini: ſchrieb das: höre 11 rufen; warte auf Mondſchein, will ein bischen gehen um zu ſchlafen. —
Freitag, den 4. Oktober 1806.
— Bruno krepirt mich ſehr: den Tag hätte ich in jedem Fall, bei mir — wenn auch mit andern Büchern — zuge- bracht. An Spaziren iſt nicht zu denken. Außer wenn etwa warmer Mond käme.
Ich glaube, Sie loben mich aus Eiferſucht nicht! Ich habe mein heutiges Betragen himmliſch gefunden! bei Vor- ſatz ſo viel Natur zu behalten, iſt eine Haltung, die ich anbete. — Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun- derung zu mir? Den bittern Tadel ſehen zu laſſen, bin ich zu weichlich: und zu verwundet. „Le coeur foulé” —
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leſen. Ich kann nicht errathen, von wem es iſt: aber un-
möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil,
wenn man in eine Wiſſenſchaft gedrungen iſt, und mit den
meiſten Litteratoren der Zeit ſtreitet — ſie alſo kennt — nichts
dergleichen zu Papiere ſetzen kann. Ich las alſo den meiſter-
haft geſchriebenen Roman weiter, ſtudirte Franzoſen und Fran-
zöſiſch. Dachte noch Einmal viel über Geſellſchaft, Erziehung:
den Unplan derſelben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des
grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na-
tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der
Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf’s Neue!! Schrieb
manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen
nicht vergeſſen hatte; ſpielte ein wenig von Righini: ſchrieb
das: höre 11 rufen; warte auf Mondſchein, will ein bischen
gehen um zu ſchlafen. —
Freitag, den 4. Oktober 1806.
— Bruno krepirt mich ſehr: den Tag hätte ich in jedem
Fall, bei mir — wenn auch mit andern Büchern — zuge-
bracht. An Spaziren iſt nicht zu denken. Außer wenn etwa
warmer Mond käme.
Ich glaube, Sie loben mich aus Eiferſucht nicht! Ich
habe mein heutiges Betragen himmliſch gefunden! bei Vor-
ſatz ſo viel Natur zu behalten, iſt eine Haltung, die ich
anbete. — Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun-
derung zu mir? Den bittern Tadel ſehen zu laſſen, bin
ich zu weichlich: und zu verwundet. „Le coeur foulé” —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/318>, abgerufen am 20.11.2024.
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