seines eigenen innern Landes angekommen zu sehen. Sie müssen auch dahin! "Dahin! dahin!" wie Goethe sagt. Dies ist das Land. --
Den 29. September 1806.
Liebe ist so ganz das Innere alles Lebens, daß ein simu- lacre davon auch noch die besten Wünsche in Anspruch nimmt, und ewigen Antheil erhält. --
Mittwoch den 2. Oktober 1806.
Nun hab' ich auch erfunden, was ich am meisten hasse: Pedanterei; sie setzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält sich deßhalb fest an Formen. Ist sie von der bessern Art, so thut sie dies im halben Gefühl dieser Leere mit Rechtschaffen- heit; ist sie aber von der schlechten, so thut sie es mit Stolz und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an- deres existire. Es kann also nichts Unleidlicheres geben, als diese Stupidität im völligen Marsch begriffen zu sehen: wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er- tragen! Was mich aber empört, ist diese Klasse, die mit Prä- tension sittlich!!! sind. Dies hebt alles auf; gradezu auf, was nur so genannt werden kann, -- und nichts anderes; ich kann es zum Himmel schwören, ist meiner Seele so zu- wider!
Donnerstag, den 3. Oktober 1806.
Es ist mir nicht möglich ein so ordinair gedachtes und so wenig wohlklingend geschriebenes Buch, als Bruno, zu
ſeines eigenen innern Landes angekommen zu ſehen. Sie müſſen auch dahin! „Dahin! dahin!“ wie Goethe ſagt. Dies iſt das Land. —
Den 29. September 1806.
Liebe iſt ſo ganz das Innere alles Lebens, daß ein simu- lacre davon auch noch die beſten Wünſche in Anſpruch nimmt, und ewigen Antheil erhält. —
Mittwoch den 2. Oktober 1806.
Nun hab’ ich auch erfunden, was ich am meiſten haſſe: Pedanterei; ſie ſetzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält ſich deßhalb feſt an Formen. Iſt ſie von der beſſern Art, ſo thut ſie dies im halben Gefühl dieſer Leere mit Rechtſchaffen- heit; iſt ſie aber von der ſchlechten, ſo thut ſie es mit Stolz und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an- deres exiſtire. Es kann alſo nichts Unleidlicheres geben, als dieſe Stupidität im völligen Marſch begriffen zu ſehen: wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er- tragen! Was mich aber empört, iſt dieſe Klaſſe, die mit Prä- tenſion ſittlich!!! ſind. Dies hebt alles auf; gradezu auf, was nur ſo genannt werden kann, — und nichts anderes; ich kann es zum Himmel ſchwören, iſt meiner Seele ſo zu- wider!
Donnerstag, den 3. Oktober 1806.
Es iſt mir nicht möglich ein ſo ordinair gedachtes und ſo wenig wohlklingend geſchriebenes Buch, als Bruno, zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0317"n="303"/>ſeines eigenen innern Landes angekommen zu ſehen. Sie<lb/>
müſſen auch dahin! „<hirendition="#g">Da</hi>hin! <hirendition="#g">da</hi>hin!“ wie Goethe ſagt.<lb/><hirendition="#g">Dies</hi> iſt das Land. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 29. September 1806.</hi></dateline><lb/><p>Liebe iſt ſo ganz das Innere alles Lebens, daß ein <hirendition="#aq">simu-<lb/>
lacre</hi> davon auch noch die beſten Wünſche in Anſpruch nimmt,<lb/>
und ewigen Antheil erhält. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Mittwoch den 2. Oktober 1806.</hi></dateline><lb/><p>Nun hab’ ich auch erfunden, was ich am meiſten haſſe:<lb/>
Pedanterei; ſie ſetzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält<lb/>ſich deßhalb feſt an Formen. Iſt ſie von der beſſern Art, ſo<lb/>
thut ſie dies im halben Gefühl dieſer Leere mit Rechtſchaffen-<lb/>
heit; iſt ſie aber von der ſchlechten, ſo thut ſie es mit Stolz<lb/>
und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an-<lb/>
deres exiſtire. Es kann alſo <hirendition="#g">nichts</hi> Unleidlicheres geben,<lb/>
als dieſe Stupidität im völligen Marſch begriffen zu ſehen:<lb/>
wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er-<lb/>
tragen! Was mich aber empört, iſt dieſe Klaſſe, die mit <hirendition="#g">Prä-<lb/>
tenſion</hi>ſittlich!!! ſind. Dies hebt alles auf; gradezu auf,<lb/>
was nur ſo genannt werden kann, — und nichts anderes;<lb/>
ich kann es zum Himmel ſchwören, iſt meiner Seele ſo zu-<lb/>
wider!</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Donnerstag, den 3. Oktober 1806.</hi></dateline><lb/><p>Es iſt mir nicht möglich ein ſo ordinair gedachtes und<lb/>ſo wenig wohlklingend geſchriebenes Buch, als Bruno, zu<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[303/0317]
ſeines eigenen innern Landes angekommen zu ſehen. Sie
müſſen auch dahin! „Dahin! dahin!“ wie Goethe ſagt.
Dies iſt das Land. —
Den 29. September 1806.
Liebe iſt ſo ganz das Innere alles Lebens, daß ein simu-
lacre davon auch noch die beſten Wünſche in Anſpruch nimmt,
und ewigen Antheil erhält. —
Mittwoch den 2. Oktober 1806.
Nun hab’ ich auch erfunden, was ich am meiſten haſſe:
Pedanterei; ſie ſetzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält
ſich deßhalb feſt an Formen. Iſt ſie von der beſſern Art, ſo
thut ſie dies im halben Gefühl dieſer Leere mit Rechtſchaffen-
heit; iſt ſie aber von der ſchlechten, ſo thut ſie es mit Stolz
und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an-
deres exiſtire. Es kann alſo nichts Unleidlicheres geben,
als dieſe Stupidität im völligen Marſch begriffen zu ſehen:
wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er-
tragen! Was mich aber empört, iſt dieſe Klaſſe, die mit Prä-
tenſion ſittlich!!! ſind. Dies hebt alles auf; gradezu auf,
was nur ſo genannt werden kann, — und nichts anderes;
ich kann es zum Himmel ſchwören, iſt meiner Seele ſo zu-
wider!
Donnerstag, den 3. Oktober 1806.
Es iſt mir nicht möglich ein ſo ordinair gedachtes und
ſo wenig wohlklingend geſchriebenes Buch, als Bruno, zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/317>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.