Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

haben, nie mehr mit Ehren von ihr sprechen: ich hätte ihr in
das zarte Gesicht geschlagen. Und es ist nicht Faulheit und
Unwissenheit allein, die mich so unfähig erhalten.

Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die
Welt, die sie finden, ab; und sie laufen ganz heimlich mit
durch. Ein Nachkomme soll sie mal errathen, beweinen, zu
ihnen sich wenden. Kaum ein Zeitgenosse!



Menschen ohne Kontenance sind eifersüchtig, -- nicht bloß,
daß sie die Eifersucht zeigen, weil ihnen die Kunst, sie zu
verbergen, fehlt. -- Man ist nicht eifersüchtig, wo man liebt:
aber allda, wo man geliebt sein will, oder geglaubt hat es
zu sein. -- Auch ein Resultat von heute, welches mich viel
kostet ... nicht Eifersucht -- aber lange Zeit: und viel Den-
ken. Denn das begriff ich gar nicht.



An Frau von F., in Berlin.


Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich
auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Festung
wieder ab! das ist nicht zum Durchsetzen.

Gestern blieb ich ganz allein: und schrieb den ganzen
Abend; was Sie wissen, und Geschäfte; und dann las ich die
Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men-
schen zu mir kommen, so merk' ich, daß, so traurig ich eigent-
lich sein kann, und so wenig Erfreuliches ich mir eigentlich
zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne

haben, nie mehr mit Ehren von ihr ſprechen: ich hätte ihr in
das zarte Geſicht geſchlagen. Und es iſt nicht Faulheit und
Unwiſſenheit allein, die mich ſo unfähig erhalten.

Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die
Welt, die ſie finden, ab; und ſie laufen ganz heimlich mit
durch. Ein Nachkomme ſoll ſie mal errathen, beweinen, zu
ihnen ſich wenden. Kaum ein Zeitgenoſſe!



Menſchen ohne Kontenance ſind eiferſüchtig, — nicht bloß,
daß ſie die Eiferſucht zeigen, weil ihnen die Kunſt, ſie zu
verbergen, fehlt. — Man iſt nicht eiferſüchtig, wo man liebt:
aber allda, wo man geliebt ſein will, oder geglaubt hat es
zu ſein. — Auch ein Reſultat von heute, welches mich viel
koſtet ... nicht Eiferſucht — aber lange Zeit: und viel Den-
ken. Denn das begriff ich gar nicht.



An Frau von F., in Berlin.


Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich
auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Feſtung
wieder ab! das iſt nicht zum Durchſetzen.

Geſtern blieb ich ganz allein: und ſchrieb den ganzen
Abend; was Sie wiſſen, und Geſchäfte; und dann las ich die
Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men-
ſchen zu mir kommen, ſo merk’ ich, daß, ſo traurig ich eigent-
lich ſein kann, und ſo wenig Erfreuliches ich mir eigentlich
zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0295" n="281"/>
haben, nie mehr mit Ehren von ihr &#x017F;prechen: ich hätte ihr in<lb/>
das zarte Ge&#x017F;icht ge&#x017F;chlagen. Und es i&#x017F;t nicht Faulheit und<lb/>
Unwi&#x017F;&#x017F;enheit allein, die mich &#x017F;o unfähig erhalten.</p><lb/>
          <p>Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die<lb/>
Welt, die &#x017F;ie finden, ab; und &#x017F;ie laufen ganz heimlich mit<lb/>
durch. Ein Nachkomme &#x017F;oll &#x017F;ie mal errathen, beweinen, zu<lb/>
ihnen &#x017F;ich wenden. Kaum ein Zeitgeno&#x017F;&#x017F;e!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Men&#x017F;chen ohne Kontenance &#x017F;ind eifer&#x017F;üchtig, &#x2014; nicht bloß,<lb/>
daß &#x017F;ie die Eifer&#x017F;ucht zeigen, weil ihnen die Kun&#x017F;t, &#x017F;ie zu<lb/>
verbergen, fehlt. &#x2014; Man i&#x017F;t nicht eifer&#x017F;üchtig, wo man liebt:<lb/>
aber allda, wo man geliebt &#x017F;ein will, oder geglaubt hat es<lb/>
zu &#x017F;ein. &#x2014; Auch ein Re&#x017F;ultat von heute, welches mich viel<lb/>
ko&#x017F;tet ... nicht Eifer&#x017F;ucht &#x2014; aber lange Zeit: und viel Den-<lb/>
ken. Denn das begriff ich gar nicht.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Frau von F., in Berlin.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 27. December 1805.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich<lb/>
auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Fe&#x017F;tung<lb/>
wieder ab! das i&#x017F;t nicht zum Durch&#x017F;etzen.</p><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern blieb ich ganz allein: und &#x017F;chrieb den ganzen<lb/>
Abend; was Sie wi&#x017F;&#x017F;en, und Ge&#x017F;chäfte; und dann las ich die<lb/>
Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men-<lb/>
&#x017F;chen zu mir kommen, &#x017F;o merk&#x2019; ich, daß, &#x017F;o traurig ich eigent-<lb/>
lich &#x017F;ein kann, und &#x017F;o wenig Erfreuliches ich mir eigentlich<lb/>
zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0295] haben, nie mehr mit Ehren von ihr ſprechen: ich hätte ihr in das zarte Geſicht geſchlagen. Und es iſt nicht Faulheit und Unwiſſenheit allein, die mich ſo unfähig erhalten. Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die Welt, die ſie finden, ab; und ſie laufen ganz heimlich mit durch. Ein Nachkomme ſoll ſie mal errathen, beweinen, zu ihnen ſich wenden. Kaum ein Zeitgenoſſe! Menſchen ohne Kontenance ſind eiferſüchtig, — nicht bloß, daß ſie die Eiferſucht zeigen, weil ihnen die Kunſt, ſie zu verbergen, fehlt. — Man iſt nicht eiferſüchtig, wo man liebt: aber allda, wo man geliebt ſein will, oder geglaubt hat es zu ſein. — Auch ein Reſultat von heute, welches mich viel koſtet ... nicht Eiferſucht — aber lange Zeit: und viel Den- ken. Denn das begriff ich gar nicht. An Frau von F., in Berlin. Freitag, den 27. December 1805. Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Feſtung wieder ab! das iſt nicht zum Durchſetzen. Geſtern blieb ich ganz allein: und ſchrieb den ganzen Abend; was Sie wiſſen, und Geſchäfte; und dann las ich die Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men- ſchen zu mir kommen, ſo merk’ ich, daß, ſo traurig ich eigent- lich ſein kann, und ſo wenig Erfreuliches ich mir eigentlich zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/295
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/295>, abgerufen am 30.12.2024.