Was die Menschen so unnatürlich, und eigentlich recht menschlich unglücklich macht, ist, daß man sich nicht entschlie- ßen mag, nicht glücklich zu sein; sind wir aber einmal bis dahin gehetzt, so tritt plötzlich das Alter ein. Unser Be- streben ist nicht mehr nach dem Unendlichen, wir theilen das Leben; und nehmen, wie man zu sagen pflegt, den Augenblick mit. Thränen, Glanz und Wuth haben ein Ende; wir wer- den starr, freundlich, und haben Falten.
Das Alter kommt plötzlich, und nicht nach und nach, wie man denkt; wie jedes Erkenntniß.
Paris, den 22. Februar 1801.
-- In eins, drei, fünf Jahren werden Sie's bereuen, nicht hier geblieben zu sein; denn es ordnet sich alles wieder, und das Vergnügen hat man obenein. Jetzt in Ihrer vernünftigen Apathie des vermeinten Überdrusses werden Sie freilich nicht das Glück und die Kraft haben, mich und die Reue zu fühlen: und Sie haben alle Zeit, zu glauben ich verstehe Sie nicht, und klüger hätte man's nicht machen können. Ich bin ein anderer Geselle. Sie in meiner Lage, unter den Umständen, wie ich sie sah, und mit denen ich kämpfte, wären Sie todt geblieben. Ich lebe. Das völligste Leben, mit Bewußtsein. Als Magd muß mir jedes gewesene Unglück dienen. Ein bischen äußeres Glück, und ich bin die glücklichste Kreatur. Lassen Sie sich von meinem Bruder und von meiner Schwä-
Den 14. Februar 1801.
Was die Menſchen ſo unnatürlich, und eigentlich recht menſchlich unglücklich macht, iſt, daß man ſich nicht entſchlie- ßen mag, nicht glücklich zu ſein; ſind wir aber einmal bis dahin gehetzt, ſo tritt plötzlich das Alter ein. Unſer Be- ſtreben iſt nicht mehr nach dem Unendlichen, wir theilen das Leben; und nehmen, wie man zu ſagen pflegt, den Augenblick mit. Thränen, Glanz und Wuth haben ein Ende; wir wer- den ſtarr, freundlich, und haben Falten.
Das Alter kommt plötzlich, und nicht nach und nach, wie man denkt; wie jedes Erkenntniß.
Paris, den 22. Februar 1801.
— In eins, drei, fünf Jahren werden Sie’s bereuen, nicht hier geblieben zu ſein; denn es ordnet ſich alles wieder, und das Vergnügen hat man obenein. Jetzt in Ihrer vernünftigen Apathie des vermeinten Überdruſſes werden Sie freilich nicht das Glück und die Kraft haben, mich und die Reue zu fühlen: und Sie haben alle Zeit, zu glauben ich verſtehe Sie nicht, und klüger hätte man’s nicht machen können. Ich bin ein anderer Geſelle. Sie in meiner Lage, unter den Umſtänden, wie ich ſie ſah, und mit denen ich kämpfte, wären Sie todt geblieben. Ich lebe. Das völligſte Leben, mit Bewußtſein. Als Magd muß mir jedes geweſene Unglück dienen. Ein bischen äußeres Glück, und ich bin die glücklichſte Kreatur. Laſſen Sie ſich von meinem Bruder und von meiner Schwä-
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Den 14. Februar 1801.
Was die Menſchen ſo unnatürlich, und eigentlich recht
menſchlich unglücklich macht, iſt, daß man ſich nicht entſchlie-
ßen mag, nicht glücklich zu ſein; ſind wir aber einmal bis
dahin gehetzt, ſo tritt plötzlich das Alter ein. Unſer Be-
ſtreben iſt nicht mehr nach dem Unendlichen, wir theilen das
Leben; und nehmen, wie man zu ſagen pflegt, den Augenblick
mit. Thränen, Glanz und Wuth haben ein Ende; wir wer-
den ſtarr, freundlich, und haben Falten.
Das Alter kommt plötzlich, und nicht nach und nach, wie
man denkt; wie jedes Erkenntniß.
Paris, den 22. Februar 1801.
— In eins, drei, fünf Jahren werden Sie’s bereuen, nicht
hier geblieben zu ſein; denn es ordnet ſich alles wieder, und
das Vergnügen hat man obenein. Jetzt in Ihrer vernünftigen
Apathie des vermeinten Überdruſſes werden Sie freilich nicht
das Glück und die Kraft haben, mich und die Reue zu fühlen:
und Sie haben alle Zeit, zu glauben ich verſtehe Sie nicht,
und klüger hätte man’s nicht machen können. Ich bin ein
anderer Geſelle. Sie in meiner Lage, unter den Umſtänden,
wie ich ſie ſah, und mit denen ich kämpfte, wären Sie todt
geblieben. Ich lebe. Das völligſte Leben, mit Bewußtſein.
Als Magd muß mir jedes geweſene Unglück dienen. Ein
bischen äußeres Glück, und ich bin die glücklichſte Kreatur.
Laſſen Sie ſich von meinem Bruder und von meiner Schwä-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/244>, abgerufen am 20.11.2024.
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