so wär' man sie los: und die Xenien würden lauter artige erwachsene Oden. Wahrscheinlich werden Sie hören (als Diplomatiker), daß Reuß eine gefährliche Lungenentzündung hat; seit gestern, wo eine Krisis war, ist Hoffnung. Es ist fatal! Ich kann Andere ausliefern. Er hält sich aber, wie's scheint, an die Qualität, nicht an die Quantität.
An Gustav von Brinckmann, in Paris.
Berlin, den 9. März 1799.
Brief über Brief bekomme ich, mein guter lieber Brinck- mann, und Sie denken, ich antworte Ihnen nicht! Nein, wir haben Ihnen einen großen Brief durch Geheimrath Ephraim geschickt. Den scheinen Sie aber nicht bekommen zu haben. Ihnen, mein Freund, sollt' ich von Allen, die ich kenne, am ersten schreiben; Sie machen sich am allermeisten daraus. Sie sind durchdrungen von Artigkeit, und fühlen's auch schon als solche am meisten. Artigkeit bleibt's immer; und wenn man auch seinem geliebtesten Freund Dinge, die einen wirklich drük- ken, schreibt. In der Entfernung sich noch so mechanisch mit ihm abgeben wollen, es bleibt immer viel. Darum, mein lie- ber Brinckmann, rechne ich's Ihnen auch so hoch an, daß Sie schreiben: nur überhaupt schreiben, und dann mir, die es so eavalierement zu empfangen scheint; und es ganz anders empfängt. Ich versichere Sie -- und mit Bedacht -- Ihre meisten Korrespondenten rabattiren vom Werth Ihrer Briefe, weil Sie so Vielen schreiben und so oft, und bei mir steigen sie, umgekehrt, dadurch im Preiß. Es ist, als wollte man sich
12 *
ſo wär’ man ſie los: und die Xenien würden lauter artige erwachſene Oden. Wahrſcheinlich werden Sie hören (als Diplomatiker), daß Reuß eine gefährliche Lungenentzündung hat; ſeit geſtern, wo eine Kriſis war, iſt Hoffnung. Es iſt fatal! Ich kann Andere ausliefern. Er hält ſich aber, wie’s ſcheint, an die Qualität, nicht an die Quantität.
An Guſtav von Brinckmann, in Paris.
Berlin, den 9. März 1799.
Brief über Brief bekomme ich, mein guter lieber Brinck- mann, und Sie denken, ich antworte Ihnen nicht! Nein, wir haben Ihnen einen großen Brief durch Geheimrath Ephraim geſchickt. Den ſcheinen Sie aber nicht bekommen zu haben. Ihnen, mein Freund, ſollt’ ich von Allen, die ich kenne, am erſten ſchreiben; Sie machen ſich am allermeiſten daraus. Sie ſind durchdrungen von Artigkeit, und fühlen’s auch ſchon als ſolche am meiſten. Artigkeit bleibt’s immer; und wenn man auch ſeinem geliebteſten Freund Dinge, die einen wirklich drük- ken, ſchreibt. In der Entfernung ſich noch ſo mechaniſch mit ihm abgeben wollen, es bleibt immer viel. Darum, mein lie- ber Brinckmann, rechne ich’s Ihnen auch ſo hoch an, daß Sie ſchreiben: nur überhaupt ſchreiben, und dann mir, die es ſo eavalièrement zu empfangen ſcheint; und es ganz anders empfängt. Ich verſichere Sie — und mit Bedacht — Ihre meiſten Korreſpondenten rabattiren vom Werth Ihrer Briefe, weil Sie ſo Vielen ſchreiben und ſo oft, und bei mir ſteigen ſie, umgekehrt, dadurch im Preiß. Es iſt, als wollte man ſich
12 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0193"n="179"/>ſo wär’ man ſie los: und die Xenien würden lauter artige<lb/>
erwachſene Oden. Wahrſcheinlich werden Sie hören (als<lb/>
Diplomatiker), daß Reuß eine gefährliche Lungenentzündung<lb/>
hat; ſeit geſtern, wo eine Kriſis war, iſt Hoffnung. Es iſt<lb/>
fatal! Ich kann Andere ausliefern. <hirendition="#g">Er</hi> hält ſich aber, wie’s<lb/>ſcheint, an die Qualität, <hirendition="#g">nicht</hi> an die Quantität.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Guſtav von Brinckmann, in Paris.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 9. März 1799.</hi></dateline><lb/><p>Brief über Brief bekomme ich, mein guter lieber Brinck-<lb/>
mann, und Sie denken, ich antworte Ihnen nicht! Nein, wir<lb/>
haben Ihnen einen großen Brief durch Geheimrath Ephraim<lb/>
geſchickt. Den ſcheinen Sie aber nicht bekommen zu haben.<lb/>
Ihnen, mein Freund, ſollt’ ich von Allen, die ich kenne, am<lb/>
erſten ſchreiben; Sie machen ſich am allermeiſten daraus. Sie<lb/>ſind durchdrungen von Artigkeit, und fühlen’s auch ſchon als<lb/>ſolche am meiſten. Artigkeit bleibt’s immer; und wenn man<lb/>
auch ſeinem geliebteſten Freund Dinge, die einen wirklich drük-<lb/>
ken, ſchreibt. In der Entfernung ſich noch ſo mechaniſch mit<lb/>
ihm abgeben wollen, es bleibt immer viel. Darum, mein lie-<lb/>
ber Brinckmann, rechne ich’s Ihnen auch ſo <hirendition="#g">hoch</hi> an, daß<lb/>
Sie ſchreiben: nur überhaupt ſchreiben, und dann mir, die es<lb/>ſo <hirendition="#aq">eavalièrement</hi> zu empfangen ſcheint; und es ganz anders<lb/>
empfängt. Ich verſichere Sie — und mit Bedacht — Ihre<lb/>
meiſten Korreſpondenten rabattiren vom Werth Ihrer Briefe,<lb/>
weil Sie ſo Vielen ſchreiben und ſo oft, und bei mir ſteigen<lb/>ſie, umgekehrt, dadurch im Preiß. Es iſt, als wollte man ſich<lb/><fwplace="bottom"type="sig">12 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[179/0193]
ſo wär’ man ſie los: und die Xenien würden lauter artige
erwachſene Oden. Wahrſcheinlich werden Sie hören (als
Diplomatiker), daß Reuß eine gefährliche Lungenentzündung
hat; ſeit geſtern, wo eine Kriſis war, iſt Hoffnung. Es iſt
fatal! Ich kann Andere ausliefern. Er hält ſich aber, wie’s
ſcheint, an die Qualität, nicht an die Quantität.
An Guſtav von Brinckmann, in Paris.
Berlin, den 9. März 1799.
Brief über Brief bekomme ich, mein guter lieber Brinck-
mann, und Sie denken, ich antworte Ihnen nicht! Nein, wir
haben Ihnen einen großen Brief durch Geheimrath Ephraim
geſchickt. Den ſcheinen Sie aber nicht bekommen zu haben.
Ihnen, mein Freund, ſollt’ ich von Allen, die ich kenne, am
erſten ſchreiben; Sie machen ſich am allermeiſten daraus. Sie
ſind durchdrungen von Artigkeit, und fühlen’s auch ſchon als
ſolche am meiſten. Artigkeit bleibt’s immer; und wenn man
auch ſeinem geliebteſten Freund Dinge, die einen wirklich drük-
ken, ſchreibt. In der Entfernung ſich noch ſo mechaniſch mit
ihm abgeben wollen, es bleibt immer viel. Darum, mein lie-
ber Brinckmann, rechne ich’s Ihnen auch ſo hoch an, daß
Sie ſchreiben: nur überhaupt ſchreiben, und dann mir, die es
ſo eavalièrement zu empfangen ſcheint; und es ganz anders
empfängt. Ich verſichere Sie — und mit Bedacht — Ihre
meiſten Korreſpondenten rabattiren vom Werth Ihrer Briefe,
weil Sie ſo Vielen ſchreiben und ſo oft, und bei mir ſteigen
ſie, umgekehrt, dadurch im Preiß. Es iſt, als wollte man ſich
12 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/193>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.