Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Ist ein Raub! den man dem blinden verrätherischen
Schicksal gemacht hat; ein unwiederbringlicher. Den aber zu
genießen, und eine M --, wie Sie sie sich einbilden, müßte
ja einen Menschen unsinnig machen; so etwas erträgt man
nicht. Glauben Sie nicht, daß ich hier Figuren rede; mein
innigster Glaube ist, daß man eigentliches völliges Glück
nicht aushielte: ich wenigstens fühle so was, und unglücklich
fühlt' ich mich schon oft. Mit Unglück wird man aber nie
fertig, bei Glück ist es aber so ganz aus; und das, glaub'
ich, erträgt man nicht. Können Sie aber glücklich werden,
so wagen Sie's nur doch: ich verzweifle gar nicht daran.
Sie wissen, Ihre Lage kam mir gleich, und kömmt mir noch
nicht so verzweifelt vor. Wenn nur M -- ihre Kraft anwen-
den will, und daran können Sie doch nicht zweifeln: ganz
können Sie sich nicht geirrt und getäuscht haben. Sie haben
mich gar sehr durch das Buch, und unaussprechlich durch den
Brief verpflichtet. Wie werd' ich denn einen solchen Brief
fordern! Aber eine größere Fete, als mir alles vom Grafen
Kalkreuth zu sagen und von Bernstorff zu zeigen, können
Sie mir nicht machen.



An David Veit, in Jena.


-- Den vierten Band des Meister hab' ich längst ge-
lesen; mein Bruder bracht' ihn von Leipzig mit; und ich kann
nun ungebundene Bücher lesen. Auch den Almanach hatte
ich gleich bei meiner Ankunft, auf sehr kurze Zeit von Hum-

Iſt ein Raub! den man dem blinden verrätheriſchen
Schickſal gemacht hat; ein unwiederbringlicher. Den aber zu
genießen, und eine M —, wie Sie ſie ſich einbilden, müßte
ja einen Menſchen unſinnig machen; ſo etwas erträgt man
nicht. Glauben Sie nicht, daß ich hier Figuren rede; mein
innigſter Glaube iſt, daß man eigentliches völliges Glück
nicht aushielte: ich wenigſtens fühle ſo was, und unglücklich
fühlt’ ich mich ſchon oft. Mit Unglück wird man aber nie
fertig, bei Glück iſt es aber ſo ganz aus; und das, glaub’
ich, erträgt man nicht. Können Sie aber glücklich werden,
ſo wagen Sie’s nur doch: ich verzweifle gar nicht daran.
Sie wiſſen, Ihre Lage kam mir gleich, und kömmt mir noch
nicht ſo verzweifelt vor. Wenn nur M — ihre Kraft anwen-
den will, und daran können Sie doch nicht zweifeln: ganz
können Sie ſich nicht geirrt und getäuſcht haben. Sie haben
mich gar ſehr durch das Buch, und unausſprechlich durch den
Brief verpflichtet. Wie werd’ ich denn einen ſolchen Brief
fordern! Aber eine größere Fète, als mir alles vom Grafen
Kalkreuth zu ſagen und von Bernſtorff zu zeigen, können
Sie mir nicht machen.



An David Veit, in Jena.


— Den vierten Band des Meiſter hab’ ich längſt ge-
leſen; mein Bruder bracht’ ihn von Leipzig mit; und ich kann
nun ungebundene Bücher leſen. Auch den Almanach hatte
ich gleich bei meiner Ankunft, auf ſehr kurze Zeit von Hum-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0181" n="167"/>
          <p>I&#x017F;t ein Raub! den man dem blinden verrätheri&#x017F;chen<lb/>
Schick&#x017F;al gemacht hat; ein unwiederbringlicher. Den aber zu<lb/>
genießen, und eine M &#x2014;, wie Sie &#x017F;ie &#x017F;ich einbilden, müßte<lb/>
ja einen Men&#x017F;chen un&#x017F;innig machen; &#x017F;o etwas erträgt man<lb/>
nicht. Glauben Sie nicht, daß ich hier Figuren rede; mein<lb/>
innig&#x017F;ter Glaube i&#x017F;t, daß man eigentliches völliges Glück<lb/>
nicht aushielte: ich wenig&#x017F;tens fühle &#x017F;o was, und unglücklich<lb/>
fühlt&#x2019; ich mich &#x017F;chon oft. Mit Unglück wird man aber nie<lb/>
fertig, bei Glück i&#x017F;t es aber &#x017F;o ganz aus; und das, glaub&#x2019;<lb/>
ich, erträgt man nicht. Können Sie aber glücklich werden,<lb/>
&#x017F;o wagen Sie&#x2019;s nur doch: ich verzweifle gar nicht daran.<lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en, Ihre Lage kam mir gleich, und kömmt mir noch<lb/>
nicht &#x017F;o verzweifelt vor. Wenn nur M &#x2014; ihre Kraft anwen-<lb/>
den will, und daran können Sie doch nicht zweifeln: ganz<lb/>
können Sie &#x017F;ich nicht geirrt und getäu&#x017F;cht haben. Sie haben<lb/>
mich gar &#x017F;ehr durch das Buch, und unaus&#x017F;prechlich durch den<lb/>
Brief verpflichtet. Wie werd&#x2019; ich denn einen &#x017F;olchen Brief<lb/><hi rendition="#g">fordern</hi>! Aber eine größere F<hi rendition="#aq">è</hi>te, als mir alles vom Grafen<lb/>
Kalkreuth zu &#x017F;agen und von Bern&#x017F;torff zu zeigen, können<lb/>
Sie mir nicht machen.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An David Veit, in Jena.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, den 23. Oktober 1796.</hi> </dateline><lb/>
          <p>&#x2014; Den vierten Band des Mei&#x017F;ter hab&#x2019; ich <hi rendition="#g">läng&#x017F;t</hi> ge-<lb/>
le&#x017F;en; mein Bruder bracht&#x2019; ihn von Leipzig mit; und ich kann<lb/>
nun ungebundene Bücher le&#x017F;en. Auch den Almanach hatte<lb/>
ich gleich bei meiner Ankunft, auf &#x017F;ehr kurze Zeit von Hum-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0181] Iſt ein Raub! den man dem blinden verrätheriſchen Schickſal gemacht hat; ein unwiederbringlicher. Den aber zu genießen, und eine M —, wie Sie ſie ſich einbilden, müßte ja einen Menſchen unſinnig machen; ſo etwas erträgt man nicht. Glauben Sie nicht, daß ich hier Figuren rede; mein innigſter Glaube iſt, daß man eigentliches völliges Glück nicht aushielte: ich wenigſtens fühle ſo was, und unglücklich fühlt’ ich mich ſchon oft. Mit Unglück wird man aber nie fertig, bei Glück iſt es aber ſo ganz aus; und das, glaub’ ich, erträgt man nicht. Können Sie aber glücklich werden, ſo wagen Sie’s nur doch: ich verzweifle gar nicht daran. Sie wiſſen, Ihre Lage kam mir gleich, und kömmt mir noch nicht ſo verzweifelt vor. Wenn nur M — ihre Kraft anwen- den will, und daran können Sie doch nicht zweifeln: ganz können Sie ſich nicht geirrt und getäuſcht haben. Sie haben mich gar ſehr durch das Buch, und unausſprechlich durch den Brief verpflichtet. Wie werd’ ich denn einen ſolchen Brief fordern! Aber eine größere Fète, als mir alles vom Grafen Kalkreuth zu ſagen und von Bernſtorff zu zeigen, können Sie mir nicht machen. An David Veit, in Jena. Berlin, den 23. Oktober 1796. — Den vierten Band des Meiſter hab’ ich längſt ge- leſen; mein Bruder bracht’ ihn von Leipzig mit; und ich kann nun ungebundene Bücher leſen. Auch den Almanach hatte ich gleich bei meiner Ankunft, auf ſehr kurze Zeit von Hum-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/181
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/181>, abgerufen am 20.11.2024.