schicke. Wenn Sie sie erst werden dechiffrirt haben -- und können Sie nicht, so thu' ich's mündlich -- so wird es Sie doch amüsiren. Ich frankire den Brief nicht, weil er besser ankömmt.
An David Veit, in Jena.
Töplitz, den 28. August 1795.
Mich dünkt ich hab' Ihnen den konfusesten Brief von der Welt geschrieben: und diesen nachschicken, könnte nicht schaden. Wie es kam, wissen Sie; die Zeit war zu kurz: und indem ich schrieb, wußt' ich, daß ich etwas anderes sa- gen wollte, und ließ die Feder immer laufen, aus Mattigkeit, damit Sie doch nur etwas bekämen. Ich besinne mich auch nach der Zeit auf das, was ich Ihnen geschrieben hatte; so glücklich kömmt es mir doch eben nicht vor. Im Gegen- theil. Mich dünkt, ich freue mich so sehr, nicht unglücklich zu sein, daß ein Blinder müßte sehen können, daß ich gar nicht glücklich sein kann. Ich meine das leidende Glück. Wobei man leidet, nichts thut. Das ist Glück; und zu dem hab' ich sogar die Fähigkeit verloren. Auch sprachen Sie von dem ruhigen. -- Aus eben der Ursache ist's ja, daß ich mich gar nicht blindlings von einem Menschen kann einnehmen lassen; darum bet' ich ja nicht an. Sie wissen ja, daß ich alles sehe -- wie ich Ihnen in der Komödie sagte -- denn sonst wär' ich ja in Goethe verliebt, und ich bet' ihn ja nur an. -- Das "Nur" ist hier kein Unsinn. -- Ich hab' in mei- nem vorigen Briefe gesagt, daß ich zu gut wüßte, was bei
ſchicke. Wenn Sie ſie erſt werden dechiffrirt haben — und können Sie nicht, ſo thu’ ich’s mündlich — ſo wird es Sie doch amüſiren. Ich frankire den Brief nicht, weil er beſſer ankömmt.
An David Veit, in Jena.
Töplitz, den 28. Auguſt 1795.
Mich dünkt ich hab’ Ihnen den konfuſeſten Brief von der Welt geſchrieben: und dieſen nachſchicken, könnte nicht ſchaden. Wie es kam, wiſſen Sie; die Zeit war zu kurz: und indem ich ſchrieb, wußt’ ich, daß ich etwas anderes ſa- gen wollte, und ließ die Feder immer laufen, aus Mattigkeit, damit Sie doch nur etwas bekämen. Ich beſinne mich auch nach der Zeit auf das, was ich Ihnen geſchrieben hatte; ſo glücklich kömmt es mir doch eben nicht vor. Im Gegen- theil. Mich dünkt, ich freue mich ſo ſehr, nicht unglücklich zu ſein, daß ein Blinder müßte ſehen können, daß ich gar nicht glücklich ſein kann. Ich meine das leidende Glück. Wobei man leidet, nichts thut. Das iſt Glück; und zu dem hab’ ich ſogar die Fähigkeit verloren. Auch ſprachen Sie von dem ruhigen. — Aus eben der Urſache iſt’s ja, daß ich mich gar nicht blindlings von einem Menſchen kann einnehmen laſſen; darum bet’ ich ja nicht an. Sie wiſſen ja, daß ich alles ſehe — wie ich Ihnen in der Komödie ſagte — denn ſonſt wär’ ich ja in Goethe verliebt, und ich bet’ ihn ja nur an. — Das „Nur“ iſt hier kein Unſinn. — Ich hab’ in mei- nem vorigen Briefe geſagt, daß ich zu gut wüßte, was bei
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0164"n="150"/>ſchicke. Wenn Sie ſie erſt werden dechiffrirt haben — und<lb/>
können Sie nicht, ſo thu’ ich’s mündlich —ſo wird es Sie<lb/>
doch amüſiren. Ich frankire den Brief nicht, weil er beſſer<lb/>
ankömmt.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An David Veit, in Jena.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Töplitz, den 28. Auguſt 1795.</hi></dateline><lb/><p>Mich dünkt ich hab’ Ihnen den konfuſeſten Brief von<lb/>
der Welt geſchrieben: und dieſen nachſchicken, könnte nicht<lb/>ſchaden. Wie es kam, wiſſen Sie; <hirendition="#g">die</hi> Zeit war zu kurz:<lb/>
und <hirendition="#g">indem</hi> ich ſchrieb, wußt’ ich, daß ich etwas anderes ſa-<lb/>
gen wollte, und ließ die Feder immer laufen, aus Mattigkeit,<lb/>
damit Sie doch nur etwas bekämen. Ich beſinne mich auch<lb/>
nach der Zeit auf das, was ich Ihnen geſchrieben hatte; ſo<lb/><hirendition="#g">glücklich</hi> kömmt es mir doch eben nicht vor. Im Gegen-<lb/>
theil. Mich dünkt, ich freue mich <hirendition="#g">ſo ſehr</hi>, nicht unglücklich<lb/>
zu ſein, daß ein Blinder müßte ſehen können, daß ich <hirendition="#g">gar<lb/>
nicht glücklich</hi>ſein <hirendition="#g">kann</hi>. Ich meine das leidende Glück.<lb/>
Wobei man leidet, nichts thut. <hirendition="#g">Das</hi> iſt Glück; und zu dem<lb/>
hab’ ich ſogar die Fähigkeit verloren. Auch ſprachen Sie von<lb/>
dem ruhigen. — Aus eben der Urſache iſt’s ja, daß ich mich<lb/>
gar nicht blindlings von einem Menſchen kann einnehmen<lb/>
laſſen; darum bet’ ich ja nicht an. Sie wiſſen ja, daß ich<lb/>
alles <hirendition="#g">ſehe</hi>— wie ich Ihnen in der Komödie <hirendition="#g">ſagte</hi>— denn<lb/>ſonſt <hirendition="#g">wär</hi>’ ich ja in Goethe verliebt, und ich bet’ ihn ja <hirendition="#g">nur</hi><lb/>
an. — Das „Nur“ iſt hier kein Unſinn. — Ich hab’ in mei-<lb/>
nem vorigen Briefe geſagt, daß ich zu gut wüßte, was bei<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[150/0164]
ſchicke. Wenn Sie ſie erſt werden dechiffrirt haben — und
können Sie nicht, ſo thu’ ich’s mündlich — ſo wird es Sie
doch amüſiren. Ich frankire den Brief nicht, weil er beſſer
ankömmt.
An David Veit, in Jena.
Töplitz, den 28. Auguſt 1795.
Mich dünkt ich hab’ Ihnen den konfuſeſten Brief von
der Welt geſchrieben: und dieſen nachſchicken, könnte nicht
ſchaden. Wie es kam, wiſſen Sie; die Zeit war zu kurz:
und indem ich ſchrieb, wußt’ ich, daß ich etwas anderes ſa-
gen wollte, und ließ die Feder immer laufen, aus Mattigkeit,
damit Sie doch nur etwas bekämen. Ich beſinne mich auch
nach der Zeit auf das, was ich Ihnen geſchrieben hatte; ſo
glücklich kömmt es mir doch eben nicht vor. Im Gegen-
theil. Mich dünkt, ich freue mich ſo ſehr, nicht unglücklich
zu ſein, daß ein Blinder müßte ſehen können, daß ich gar
nicht glücklich ſein kann. Ich meine das leidende Glück.
Wobei man leidet, nichts thut. Das iſt Glück; und zu dem
hab’ ich ſogar die Fähigkeit verloren. Auch ſprachen Sie von
dem ruhigen. — Aus eben der Urſache iſt’s ja, daß ich mich
gar nicht blindlings von einem Menſchen kann einnehmen
laſſen; darum bet’ ich ja nicht an. Sie wiſſen ja, daß ich
alles ſehe — wie ich Ihnen in der Komödie ſagte — denn
ſonſt wär’ ich ja in Goethe verliebt, und ich bet’ ihn ja nur
an. — Das „Nur“ iſt hier kein Unſinn. — Ich hab’ in mei-
nem vorigen Briefe geſagt, daß ich zu gut wüßte, was bei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/164>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.