Rahel Antonie Friederike Varnhagen von Ense, geborne Rahel Levin, nachher unter dem Familiennamen Robert be- kannt, wurde geboren zu Berlin, am ersten Pfingstfeiertage des Jahres 1771. Sie starb daselbst am 7. März des Jah- res 1833, noch nicht zweiundsechszig Jahr alt, und erst im neunzehnten unsrer durch die tiefste und festeste Liebe geknüpf- ten Vereinigung.
Welches einzige Glück, welchen edlen Schatz und reichen Trost ich mit der ewig theuren Gattin verloren, ist den Freun- den wohlbekannt; meine Trauer braucht es ihnen nicht zu sa- gen; sie fühlen meinen Verlust in demjenigen mit, der auch sie selbst, in mannigfacher Abstufung und Richtung, aber ge- wiß Alle zu schmerzlich hoher Würdigung, durch dieses Schei- den betroffen hat. Und wenn auch der volle Reichthum die- ses von Geist und Liebe beseelten Gemüthes nicht unmittelbar jedem Auge ganz entfaltet lag, so bekennen doch Alle, die auch nur Momente dieses in Wohlwollen und Wahrheits- eifer stets erregten Lebens angeschaut, daß sie von dieser Er- scheinung einen seltenen und ahndungsvollen Eindruck der eigenthümlichsten Kraft und Anmuth empfangen haben, der jeder freigebigsten Voraussetzung Raum giebt, und Alle mit- fühlend unsrer Wehklage beistimmen läßt.
I. 1
Rahel Antonie Friederike Varnhagen von Enſe, geborne Rahel Levin, nachher unter dem Familiennamen Robert be- kannt, wurde geboren zu Berlin, am erſten Pfingſtfeiertage des Jahres 1771. Sie ſtarb daſelbſt am 7. März des Jah- res 1833, noch nicht zweiundſechszig Jahr alt, und erſt im neunzehnten unſrer durch die tiefſte und feſteſte Liebe geknüpf- ten Vereinigung.
Welches einzige Glück, welchen edlen Schatz und reichen Troſt ich mit der ewig theuren Gattin verloren, iſt den Freun- den wohlbekannt; meine Trauer braucht es ihnen nicht zu ſa- gen; ſie fühlen meinen Verluſt in demjenigen mit, der auch ſie ſelbſt, in mannigfacher Abſtufung und Richtung, aber ge- wiß Alle zu ſchmerzlich hoher Würdigung, durch dieſes Schei- den betroffen hat. Und wenn auch der volle Reichthum die- ſes von Geiſt und Liebe beſeelten Gemüthes nicht unmittelbar jedem Auge ganz entfaltet lag, ſo bekennen doch Alle, die auch nur Momente dieſes in Wohlwollen und Wahrheits- eifer ſtets erregten Lebens angeſchaut, daß ſie von dieſer Er- ſcheinung einen ſeltenen und ahndungsvollen Eindruck der eigenthümlichſten Kraft und Anmuth empfangen haben, der jeder freigebigſten Vorausſetzung Raum giebt, und Alle mit- fühlend unſrer Wehklage beiſtimmen läßt.
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Rahel Antonie Friederike Varnhagen von Enſe, geborne
Rahel Levin, nachher unter dem Familiennamen Robert be-
kannt, wurde geboren zu Berlin, am erſten Pfingſtfeiertage
des Jahres 1771. Sie ſtarb daſelbſt am 7. März des Jah-
res 1833, noch nicht zweiundſechszig Jahr alt, und erſt im
neunzehnten unſrer durch die tiefſte und feſteſte Liebe geknüpf-
ten Vereinigung.
Welches einzige Glück, welchen edlen Schatz und reichen
Troſt ich mit der ewig theuren Gattin verloren, iſt den Freun-
den wohlbekannt; meine Trauer braucht es ihnen nicht zu ſa-
gen; ſie fühlen meinen Verluſt in demjenigen mit, der auch
ſie ſelbſt, in mannigfacher Abſtufung und Richtung, aber ge-
wiß Alle zu ſchmerzlich hoher Würdigung, durch dieſes Schei-
den betroffen hat. Und wenn auch der volle Reichthum die-
ſes von Geiſt und Liebe beſeelten Gemüthes nicht unmittelbar
jedem Auge ganz entfaltet lag, ſo bekennen doch Alle, die
auch nur Momente dieſes in Wohlwollen und Wahrheits-
eifer ſtets erregten Lebens angeſchaut, daß ſie von dieſer Er-
ſcheinung einen ſeltenen und ahndungsvollen Eindruck der
eigenthümlichſten Kraft und Anmuth empfangen haben, der
jeder freigebigſten Vorausſetzung Raum giebt, und Alle mit-
fühlend unſrer Wehklage beiſtimmen läßt.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/15>, abgerufen am 20.11.2024.
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