seinem Meister nie gleich: die ist ein Talent, und unerschöpf- lich wie ein solches.
An David Veit, in Jena.
Berlin, den 21. März 1795.
Wenn man einen Menschen als Freund ansieht, so hat er nichts davon, als daß man ihn eben so schlecht, unhöflich, und hart behandelt, als sich selbst; aber auch keinen andern wieder so -- finden Sie ein Wort -- süß ist mir zu schlecht, und ein anders weiß ich doch nicht. Es war Ihnen äußerst unangenehm, so lang nichts von mir zu hören; das hab' ich jeden Tag gefühlt, jeden Tag Briefe an Sie komponirt, und doch nicht geschrieben. Ich bin Ihnen eine angenehme Empfin- dung schuldig -- sie löschen die unangenehmen, die man hatte, nicht aus, aber sie verdrängen doch neue; ich bin überzeugt -- ich warte auch umsonst -- und noch -- auf einen Brief, und kurz ich kenne das -- es war mir eben so unangenehm, Ih- nen keinen Brief zu schicken, als es Ihnen war, keinen von mir zu bekommen. Sie gestehen mir hierin viel zu: glauben mir also gern, und können doch nicht; Sie werden nachden- kend, und wollen's finden. Ich will Ihnen helfen, ich will mich deutlich machen. Der Grad der Unannehmlichkeit war sich gleich, die Art sehr verschieden. Aber ziehen Sie ein böses Gewissen vor? Ein böses Gewissen war's zwar nicht; denn ich konnte Ihnen wahrlich nicht schreiben, und doch wußt' ich, daß mit vieler Mühe und vieler Zeit, ich wohl könnte. Ich will Sie einmal tief in meine Seele schauen und nichts darin
ſeinem Meiſter nie gleich: die iſt ein Talent, und unerſchöpf- lich wie ein ſolches.
An David Veit, in Jena.
Berlin, den 21. März 1795.
Wenn man einen Menſchen als Freund anſieht, ſo hat er nichts davon, als daß man ihn eben ſo ſchlecht, unhöflich, und hart behandelt, als ſich ſelbſt; aber auch keinen andern wieder ſo — finden Sie ein Wort — ſüß iſt mir zu ſchlecht, und ein anders weiß ich doch nicht. Es war Ihnen äußerſt unangenehm, ſo lang nichts von mir zu hören; das hab’ ich jeden Tag gefühlt, jeden Tag Briefe an Sie komponirt, und doch nicht geſchrieben. Ich bin Ihnen eine angenehme Empfin- dung ſchuldig — ſie löſchen die unangenehmen, die man hatte, nicht aus, aber ſie verdrängen doch neue; ich bin überzeugt — ich warte auch umſonſt — und noch — auf einen Brief, und kurz ich kenne das — es war mir eben ſo unangenehm, Ih- nen keinen Brief zu ſchicken, als es Ihnen war, keinen von mir zu bekommen. Sie geſtehen mir hierin viel zu: glauben mir alſo gern, und können doch nicht; Sie werden nachden- kend, und wollen’s finden. Ich will Ihnen helfen, ich will mich deutlich machen. Der Grad der Unannehmlichkeit war ſich gleich, die Art ſehr verſchieden. Aber ziehen Sie ein böſes Gewiſſen vor? Ein böſes Gewiſſen war’s zwar nicht; denn ich konnte Ihnen wahrlich nicht ſchreiben, und doch wußt’ ich, daß mit vieler Mühe und vieler Zeit, ich wohl könnte. Ich will Sie einmal tief in meine Seele ſchauen und nichts darin
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[130/0144]
ſeinem Meiſter nie gleich: die iſt ein Talent, und unerſchöpf-
lich wie ein ſolches.
An David Veit, in Jena.
Berlin, den 21. März 1795.
Wenn man einen Menſchen als Freund anſieht, ſo hat
er nichts davon, als daß man ihn eben ſo ſchlecht, unhöflich,
und hart behandelt, als ſich ſelbſt; aber auch keinen andern
wieder ſo — finden Sie ein Wort — ſüß iſt mir zu ſchlecht,
und ein anders weiß ich doch nicht. Es war Ihnen äußerſt
unangenehm, ſo lang nichts von mir zu hören; das hab’ ich
jeden Tag gefühlt, jeden Tag Briefe an Sie komponirt, und
doch nicht geſchrieben. Ich bin Ihnen eine angenehme Empfin-
dung ſchuldig — ſie löſchen die unangenehmen, die man hatte,
nicht aus, aber ſie verdrängen doch neue; ich bin überzeugt —
ich warte auch umſonſt — und noch — auf einen Brief, und
kurz ich kenne das — es war mir eben ſo unangenehm, Ih-
nen keinen Brief zu ſchicken, als es Ihnen war, keinen von
mir zu bekommen. Sie geſtehen mir hierin viel zu: glauben
mir alſo gern, und können doch nicht; Sie werden nachden-
kend, und wollen’s finden. Ich will Ihnen helfen, ich will
mich deutlich machen. Der Grad der Unannehmlichkeit war
ſich gleich, die Art ſehr verſchieden. Aber ziehen Sie ein böſes
Gewiſſen vor? Ein böſes Gewiſſen war’s zwar nicht; denn
ich konnte Ihnen wahrlich nicht ſchreiben, und doch wußt’ ich,
daß mit vieler Mühe und vieler Zeit, ich wohl könnte. Ich
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/144>, abgerufen am 20.11.2024.
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