bin noch nicht frisirt, es ist vier Uhr, oder so was. -- Ich finde es nicht so sonderbar, daß Sie mich um Rath fragen, ob Sie sich die preußischen Staaten, oder auch Deutsch- land, verschlagen sollen; oder nur so, wie mir denn das Rath- fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über Sie besonders; denn ein Mensch, der gar glauben kann, daß eine Frage stattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung ist, die ein halbes Jahr betrifft, das doch in keinem Fall ohne Fleiß verloren geht, in Vergleich von immerwäh- render, wahrscheinlicher Versagung seiner, unserer, Staa- ten: der muß fragen; worauf denn ich antworte: Sie gehen ohne alle weitere Überlegung nach Halle. Nicht, als könnt' ich Sie mir jemals als einen Doktor vorstellen, so wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich's jemals gethan hätte; aber Sie müssen's doch immer sein können, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken, daß Sie etwas Bestimmtes sein können: auf diese Weise ein Amt oder Stand, gleicht mir so sehr einer Einschränkung, als eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem verständigen Mann oder einer solchen Frau, als einem solchen Amt oder Stand! "Man muß aber leben!" hallt es vom Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt schlug, ich weiß es; "daher aber die schlechten Ehen," hau' ich wieder zu; "wie ist es zu ändern?" hallt es wieder; das weiß ich nicht, ich sag' auch nur, es ist schlecht. --
Den 11. December.
Apropos! Keinem Menschen antwort' ich mehr auf so etwas; nicht aus Eigensinn oder Vorsatz, nein, weil ich nicht
bin noch nicht friſirt, es iſt vier Uhr, oder ſo was. — Ich finde es nicht ſo ſonderbar, daß Sie mich um Rath fragen, ob Sie ſich die preußiſchen Staaten, oder auch Deutſch- land, verſchlagen ſollen; oder nur ſo, wie mir denn das Rath- fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über Sie beſonders; denn ein Menſch, der gar glauben kann, daß eine Frage ſtattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung iſt, die ein halbes Jahr betrifft, das doch in keinem Fall ohne Fleiß verloren geht, in Vergleich von immerwäh- render, wahrſcheinlicher Verſagung ſeiner, unſerer, Staa- ten: der muß fragen; worauf denn ich antworte: Sie gehen ohne alle weitere Überlegung nach Halle. Nicht, als könnt’ ich Sie mir jemals als einen Doktor vorſtellen, ſo wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich’s jemals gethan hätte; aber Sie müſſen’s doch immer ſein können, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken, daß Sie etwas Beſtimmtes ſein können: auf dieſe Weiſe ein Amt oder Stand, gleicht mir ſo ſehr einer Einſchränkung, als eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem verſtändigen Mann oder einer ſolchen Frau, als einem ſolchen Amt oder Stand! „Man muß aber leben!“ hallt es vom Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt ſchlug, ich weiß es; „daher aber die ſchlechten Ehen,“ hau’ ich wieder zu; „wie iſt es zu ändern?“ hallt es wieder; das weiß ich nicht, ich ſag’ auch nur, es iſt ſchlecht. —
Den 11. December.
Apropos! Keinem Menſchen antwort’ ich mehr auf ſo etwas; nicht aus Eigenſinn oder Vorſatz, nein, weil ich nicht
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bin noch nicht friſirt, es iſt vier Uhr, oder ſo was. — Ich
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ob Sie ſich die preußiſchen Staaten, oder auch Deutſch-
land, verſchlagen ſollen; oder nur ſo, wie mir denn das Rath-
fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über
Sie beſonders; denn ein Menſch, der gar glauben kann, daß
eine Frage ſtattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung
iſt, die ein halbes Jahr betrifft, das doch in keinem Fall
ohne Fleiß verloren geht, in Vergleich von immerwäh-
render, wahrſcheinlicher Verſagung ſeiner, unſerer, Staa-
ten: der muß fragen; worauf denn ich antworte: Sie gehen
ohne alle weitere Überlegung nach Halle. Nicht,
als könnt’ ich Sie mir jemals als einen Doktor vorſtellen,
ſo wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich’s
jemals gethan hätte; aber Sie müſſen’s doch immer ſein
können, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken,
daß Sie etwas Beſtimmtes ſein können: auf dieſe Weiſe ein
Amt oder Stand, gleicht mir ſo ſehr einer Einſchränkung, als
eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem
verſtändigen Mann oder einer ſolchen Frau, als einem ſolchen
Amt oder Stand! „Man muß aber leben!“ hallt es vom
Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt ſchlug, ich
weiß es; „daher aber die ſchlechten Ehen,“ hau’ ich wieder
zu; „wie iſt es zu ändern?“ hallt es wieder; das weiß ich
nicht, ich ſag’ auch nur, es iſt ſchlecht. —
Den 11. December.
Apropos! Keinem Menſchen antwort’ ich mehr auf ſo
etwas; nicht aus Eigenſinn oder Vorſatz, nein, weil ich nicht
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/134>, abgerufen am 20.11.2024.
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