Tübingen, Anfang Novembers 1808. Da sind wir denn in Tübingen! Am 1. spät Abends, bei vollem Mondschein, der die Berge und ihre vom Herbst wun¬ derkräftig gebräunte Waldung schön beleuchtete, fuhren wir munter hier ein, und haben in den ersten Tagen die Stadt und Gegend, die Anstalten und zum Theil auch die Menschen, schon zur Genüge angesehen. Ob wir recht gethan, hieher zu reisen? Es war eine kühne, frische That, alle Gründe waren dafür, -- und doch fürcht' ich schon, daß der Ausgang es als ein unnützes Abentheuer erscheinen läßt. Der Eindruck von manchem Einzelnen war gut, die Gegend ist schön, das Volk unterhaltend, die Männer, die uns anzogen, sind ihres Rufes werth; aber das Ganze wirkt auf uns gräßlich niederschlagend! Wir haben ganz dasselbe Gefühl, Har¬ scher und ich, da doch sonst unsre Seelenstimmungen weit auseinander liegen, so wie die Gegenstände ver¬ schieden sind, von denen wir bewegt werden. Diesmal
Tübingen1808, 1809.
Tuͤbingen, Anfang Novembers 1808. Da ſind wir denn in Tuͤbingen! Am 1. ſpaͤt Abends, bei vollem Mondſchein, der die Berge und ihre vom Herbſt wun¬ derkraͤftig gebraͤunte Waldung ſchoͤn beleuchtete, fuhren wir munter hier ein, und haben in den erſten Tagen die Stadt und Gegend, die Anſtalten und zum Theil auch die Menſchen, ſchon zur Genuͤge angeſehen. Ob wir recht gethan, hieher zu reiſen? Es war eine kuͤhne, friſche That, alle Gruͤnde waren dafuͤr, — und doch fuͤrcht' ich ſchon, daß der Ausgang es als ein unnuͤtzes Abentheuer erſcheinen laͤßt. Der Eindruck von manchem Einzelnen war gut, die Gegend iſt ſchoͤn, das Volk unterhaltend, die Maͤnner, die uns anzogen, ſind ihres Rufes werth; aber das Ganze wirkt auf uns graͤßlich niederſchlagend! Wir haben ganz daſſelbe Gefuͤhl, Har¬ ſcher und ich, da doch ſonſt unſre Seelenſtimmungen weit auseinander liegen, ſo wie die Gegenſtaͤnde ver¬ ſchieden ſind, von denen wir bewegt werden. Diesmal
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Tübingen 1808, 1809.
Tuͤbingen, Anfang Novembers 1808. Da ſind wir
denn in Tuͤbingen! Am 1. ſpaͤt Abends, bei vollem
Mondſchein, der die Berge und ihre vom Herbſt wun¬
derkraͤftig gebraͤunte Waldung ſchoͤn beleuchtete, fuhren
wir munter hier ein, und haben in den erſten Tagen
die Stadt und Gegend, die Anſtalten und zum Theil
auch die Menſchen, ſchon zur Genuͤge angeſehen. Ob
wir recht gethan, hieher zu reiſen? Es war eine kuͤhne,
friſche That, alle Gruͤnde waren dafuͤr, — und doch
fuͤrcht' ich ſchon, daß der Ausgang es als ein unnuͤtzes
Abentheuer erſcheinen laͤßt. Der Eindruck von manchem
Einzelnen war gut, die Gegend iſt ſchoͤn, das Volk
unterhaltend, die Maͤnner, die uns anzogen, ſind ihres
Rufes werth; aber das Ganze wirkt auf uns graͤßlich
niederſchlagend! Wir haben ganz daſſelbe Gefuͤhl, Har¬
ſcher und ich, da doch ſonſt unſre Seelenſtimmungen
weit auseinander liegen, ſo wie die Gegenſtaͤnde ver¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. [87]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/99>, abgerufen am 20.11.2024.
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