Gegen das Geräusch und den Glanz des Pariser Aufent¬ halts machte die Einsamkeit und Stille, die wir beim Eintritt in Westphalen empfanden, den schneidendsten Gegensatz. Die ganze Beschaffenheit des Landes, die Art wie dasselbe bewohnt und bebaut wird, alles giebt ihm ein stilles, düstres Ansehn. Bewaldete Hügel be¬ schränken den Blick, in der Fläche wechseln Sand und Wald, und Moor und Haide, zwischen denen sich Acker¬ felder mühsam hervorarbeiten. Da es keine Dörfer giebt, sondern die Bauerhöfe vereinzelt liegen, und zwar meist abseits der Straße im Gebüsch versteckt, so scheint die Bevölkerung noch geringer, als sie wirklich ist. Wie abgesondert diese Leute von der übrigen Welt leben, ergab sich unter andern in der treuherzigen Neugier, mit der sie uns fragten, ob es denn wirklich wahr sei, was man erzähle, daß der Kaiser Napoleon seine erste Gemahlin verstoßen und zur zweiten eine Tochter des Kaisers Franz bekommen habe! Sie wollten es nicht
Steinfurt 1810, 1811.
Gegen das Geraͤuſch und den Glanz des Pariſer Aufent¬ halts machte die Einſamkeit und Stille, die wir beim Eintritt in Weſtphalen empfanden, den ſchneidendſten Gegenſatz. Die ganze Beſchaffenheit des Landes, die Art wie daſſelbe bewohnt und bebaut wird, alles giebt ihm ein ſtilles, duͤſtres Anſehn. Bewaldete Huͤgel be¬ ſchraͤnken den Blick, in der Flaͤche wechſeln Sand und Wald, und Moor und Haide, zwiſchen denen ſich Acker¬ felder muͤhſam hervorarbeiten. Da es keine Doͤrfer giebt, ſondern die Bauerhoͤfe vereinzelt liegen, und zwar meiſt abſeits der Straße im Gebuͤſch verſteckt, ſo ſcheint die Bevoͤlkerung noch geringer, als ſie wirklich iſt. Wie abgeſondert dieſe Leute von der uͤbrigen Welt leben, ergab ſich unter andern in der treuherzigen Neugier, mit der ſie uns fragten, ob es denn wirklich wahr ſei, was man erzaͤhle, daß der Kaiſer Napoleon ſeine erſte Gemahlin verſtoßen und zur zweiten eine Tochter des Kaiſers Franz bekommen habe! Sie wollten es nicht
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Steinfurt 1810, 1811.
Gegen das Geraͤuſch und den Glanz des Pariſer Aufent¬
halts machte die Einſamkeit und Stille, die wir beim
Eintritt in Weſtphalen empfanden, den ſchneidendſten
Gegenſatz. Die ganze Beſchaffenheit des Landes, die
Art wie daſſelbe bewohnt und bebaut wird, alles giebt
ihm ein ſtilles, duͤſtres Anſehn. Bewaldete Huͤgel be¬
ſchraͤnken den Blick, in der Flaͤche wechſeln Sand und
Wald, und Moor und Haide, zwiſchen denen ſich Acker¬
felder muͤhſam hervorarbeiten. Da es keine Doͤrfer
giebt, ſondern die Bauerhoͤfe vereinzelt liegen, und zwar
meiſt abſeits der Straße im Gebuͤſch verſteckt, ſo ſcheint
die Bevoͤlkerung noch geringer, als ſie wirklich iſt. Wie
abgeſondert dieſe Leute von der uͤbrigen Welt leben,
ergab ſich unter andern in der treuherzigen Neugier,
mit der ſie uns fragten, ob es denn wirklich wahr ſei,
was man erzaͤhle, daß der Kaiſer Napoleon ſeine erſte
Gemahlin verſtoßen und zur zweiten eine Tochter des
Kaiſers Franz bekommen habe! Sie wollten es nicht
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. [127]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/139>, abgerufen am 20.11.2024.
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