sach, warum ein Ziegeldecker ein Dach bedeckt? Darum nicht: Weil zwar niemals ein Dach gedeckt wird, wenn die Sonne nicht zugegen ist, weil man aber auch nicht nothwendig ein Dach besteigen muß, wenn die Sonne nicht da ist. Kan ich aber alles dieses gewiß sa- gen? Keinesweges. Denn weil in zwey be- nachbarten Städten immer zu einer Zeit Nacht ist, wenn in der andern Nacht ist, und umge- kehrt, und weil ich hieraus doch nicht schliessen kan, daß die Nacht in einer Stadt die in der andern Stadt würcke; so kan ich auch nicht einmal mit Gewißheit behaupten, daß zwi- schen Sonne und Licht Ursach und Würckung statt habe. Also ist es nothwendig, daß wir uns um neue Regeln bekümmern, wodurch wir mit Gewißheit behaupten können, daß Ursach und Würckung zwischen einem A und B statt habe, oder daß dieses nicht sey. Lasset uns se- hen, worin diese Regel bestehe.
§. 21.
Wenn ich mich davon gewiß überzeugen will, daß die Sonne das Licht auf dem Erdboden würcke, wie fange ich dieses an? Vorher ist nöthig, daß ich es durch obigen Schluß §. 20. so weit bringe, daß ich den höchsten Grad der Wahrscheinlichkeit davon erhalte. Wir wol- len denen Naturkündigern zusehen, die sich ei- gentlich hiermit beschäftigen, wie sie dieses Werck ohngefehr angreifen. Sie muthmassen daß Sonne und Licht in einander würcken
müssen,
ſach, warum ein Ziegeldecker ein Dach bedeckt? Darum nicht: Weil zwar niemals ein Dach gedeckt wird, wenn die Sonne nicht zugegen iſt, weil man aber auch nicht nothwendig ein Dach beſteigen muß, wenn die Sonne nicht da iſt. Kan ich aber alles dieſes gewiß ſa- gen? Keinesweges. Denn weil in zwey be- nachbarten Staͤdten immer zu einer Zeit Nacht iſt, wenn in der andern Nacht iſt, und umge- kehrt, und weil ich hieraus doch nicht ſchlieſſen kan, daß die Nacht in einer Stadt die in der andern Stadt wuͤrcke; ſo kan ich auch nicht einmal mit Gewißheit behaupten, daß zwi- ſchen Sonne und Licht Urſach und Wuͤrckung ſtatt habe. Alſo iſt es nothwendig, daß wir uns um neue Regeln bekuͤmmern, wodurch wir mit Gewißheit behaupten koͤnnen, daß Urſach und Wuͤrckung zwiſchen einem A und B ſtatt habe, oder daß dieſes nicht ſey. Laſſet uns ſe- hen, worin dieſe Regel beſtehe.
§. 21.
Wenn ich mich davon gewiß uͤberzeugen will, daß die Sonne das Licht auf dem Erdboden wuͤrcke, wie fange ich dieſes an? Vorher iſt noͤthig, daß ich es durch obigen Schluß §. 20. ſo weit bringe, daß ich den hoͤchſten Grad der Wahrſcheinlichkeit davon erhalte. Wir wol- len denen Naturkuͤndigern zuſehen, die ſich ei- gentlich hiermit beſchaͤftigen, wie ſie dieſes Werck ohngefehr angreifen. Sie muthmaſſen daß Sonne und Licht in einander wuͤrcken
muͤſſen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbn="51"facs="#f0081"/>ſach, warum ein Ziegeldecker ein Dach bedeckt?<lb/>
Darum nicht: Weil zwar niemals ein Dach<lb/>
gedeckt wird, wenn die Sonne nicht zugegen<lb/>
iſt, weil man aber auch nicht nothwendig ein<lb/>
Dach beſteigen muß, wenn die Sonne nicht<lb/>
da iſt. Kan ich aber alles dieſes gewiß ſa-<lb/>
gen? Keinesweges. Denn weil in zwey be-<lb/>
nachbarten Staͤdten immer zu einer Zeit Nacht<lb/>
iſt, wenn in der andern Nacht iſt, und umge-<lb/>
kehrt, und weil ich hieraus doch nicht ſchlieſſen<lb/>
kan, daß die Nacht in einer Stadt die in der<lb/>
andern Stadt wuͤrcke; ſo kan ich auch nicht<lb/>
einmal mit Gewißheit behaupten, daß zwi-<lb/>ſchen Sonne und Licht Urſach und Wuͤrckung<lb/>ſtatt habe. Alſo iſt es nothwendig, daß wir<lb/>
uns um neue Regeln bekuͤmmern, wodurch wir<lb/>
mit Gewißheit behaupten koͤnnen, daß Urſach<lb/>
und Wuͤrckung zwiſchen einem <hirendition="#aq">A</hi> und <hirendition="#aq">B</hi>ſtatt<lb/>
habe, oder daß dieſes nicht ſey. Laſſet uns ſe-<lb/>
hen, worin dieſe Regel beſtehe.</p></div><lb/><divn="2"><head>§. 21.</head><lb/><p>Wenn ich mich davon gewiß uͤberzeugen will,<lb/>
daß die Sonne das Licht auf dem Erdboden<lb/>
wuͤrcke, wie fange ich dieſes an? Vorher iſt<lb/>
noͤthig, daß ich es durch obigen Schluß §. 20.<lb/>ſo weit bringe, daß ich den hoͤchſten Grad der<lb/>
Wahrſcheinlichkeit davon erhalte. Wir wol-<lb/>
len denen Naturkuͤndigern zuſehen, die ſich ei-<lb/>
gentlich hiermit beſchaͤftigen, wie ſie dieſes<lb/>
Werck ohngefehr angreifen. Sie muthmaſſen<lb/>
daß Sonne und Licht in einander wuͤrcken<lb/><fwtype="catch"place="bottom">muͤſſen,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[51/0081]
ſach, warum ein Ziegeldecker ein Dach bedeckt?
Darum nicht: Weil zwar niemals ein Dach
gedeckt wird, wenn die Sonne nicht zugegen
iſt, weil man aber auch nicht nothwendig ein
Dach beſteigen muß, wenn die Sonne nicht
da iſt. Kan ich aber alles dieſes gewiß ſa-
gen? Keinesweges. Denn weil in zwey be-
nachbarten Staͤdten immer zu einer Zeit Nacht
iſt, wenn in der andern Nacht iſt, und umge-
kehrt, und weil ich hieraus doch nicht ſchlieſſen
kan, daß die Nacht in einer Stadt die in der
andern Stadt wuͤrcke; ſo kan ich auch nicht
einmal mit Gewißheit behaupten, daß zwi-
ſchen Sonne und Licht Urſach und Wuͤrckung
ſtatt habe. Alſo iſt es nothwendig, daß wir
uns um neue Regeln bekuͤmmern, wodurch wir
mit Gewißheit behaupten koͤnnen, daß Urſach
und Wuͤrckung zwiſchen einem A und B ſtatt
habe, oder daß dieſes nicht ſey. Laſſet uns ſe-
hen, worin dieſe Regel beſtehe.
§. 21.
Wenn ich mich davon gewiß uͤberzeugen will,
daß die Sonne das Licht auf dem Erdboden
wuͤrcke, wie fange ich dieſes an? Vorher iſt
noͤthig, daß ich es durch obigen Schluß §. 20.
ſo weit bringe, daß ich den hoͤchſten Grad der
Wahrſcheinlichkeit davon erhalte. Wir wol-
len denen Naturkuͤndigern zuſehen, die ſich ei-
gentlich hiermit beſchaͤftigen, wie ſie dieſes
Werck ohngefehr angreifen. Sie muthmaſſen
daß Sonne und Licht in einander wuͤrcken
muͤſſen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/81>, abgerufen am 03.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.