ferntern Nebenzweige blos mechanischer Weise erschüttert. Die durch dergleichen mechanische Bewegung im Nerven erregten Eindrücke werden zuweilen, wie eine andre äußere Berührung desselben, sinnlich, pflanzen sich aufwärts zum Gehirne fort und machen wiederum äußere Empfindungen. So kann sich ein äußerer sinnlicher Eindruck unterwärts auszubreiten scheinen, ohne daß dem wirklich also wäre. Ein Beyspiel hiervon giebt die Dröhnung von einem Stoße an den Ellenbogen, die bis in die Fingerspitzen em- pfunden wird, weil der Stoß den Nerven mechanisch er- schüttert, und man kann hier nicht sagen, daß der äußere sinnliche Eindruck am Ellenbogen, der empfunden wird, sich rückwärts fortgepflanzet hätte und durch die Finger em- pfunden würde.
§. 38.
Die Seele bestimmet sich im Raume ihres Körpers den Punkt des äußern sinnlichen Eindrucks bey den äußern Empfindungen durch ein Urtheil. Anfangs lernet sie durch genaue Beobachtung ihrer äußern Empfindungen und de- ren Vergleichung mit den Stellen, wo die äußern sinnli- chen Eindrücke geschehen, den Berührungspunkt bestim- men: durch öftere Wiederholung aber bestimmet sie ihn nachher kürzer, nach analogischen Gründen. So gewöh- net sie sich z. E. von äußern Empfindungen, welche sie durch die Nervenspitzen in der linken Hand, die ihre Ein- drücke durch den Nervenstamm des linken Arms zu ihr ins Gehirn bringen, empfängt, zu urtheilen, daß der äußere sinnliche Eindruck in der linken Hand geschehen sey. Ge- setzt aber, daß diese Hand abgehauen worden, und diese Nervenspitzen verloren gegangen wären; so wird ein jeder äußerlicher sinnlicher Eindruck in die Endung des Nerven- stammes des linken Arms, weil er ihr auf dieselbe Weise durchs Gehirn zukömmt, beym Mangel gehöriger Auf- merksamkeit, nach ihrer angewöhnten Art der Schätzung oder Berechnung des Berührungspunkts, aus der linken
Hand
D 4
3 Abſchn. Der Nerven. Aeußere Empfindungen.
ferntern Nebenzweige blos mechaniſcher Weiſe erſchuͤttert. Die durch dergleichen mechaniſche Bewegung im Nerven erregten Eindruͤcke werden zuweilen, wie eine andre aͤußere Beruͤhrung deſſelben, ſinnlich, pflanzen ſich aufwaͤrts zum Gehirne fort und machen wiederum aͤußere Empfindungen. So kann ſich ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck unterwaͤrts auszubreiten ſcheinen, ohne daß dem wirklich alſo waͤre. Ein Beyſpiel hiervon giebt die Droͤhnung von einem Stoße an den Ellenbogen, die bis in die Fingerſpitzen em- pfunden wird, weil der Stoß den Nerven mechaniſch er- ſchuͤttert, und man kann hier nicht ſagen, daß der aͤußere ſinnliche Eindruck am Ellenbogen, der empfunden wird, ſich ruͤckwaͤrts fortgepflanzet haͤtte und durch die Finger em- pfunden wuͤrde.
§. 38.
Die Seele beſtimmet ſich im Raume ihres Koͤrpers den Punkt des aͤußern ſinnlichen Eindrucks bey den aͤußern Empfindungen durch ein Urtheil. Anfangs lernet ſie durch genaue Beobachtung ihrer aͤußern Empfindungen und de- ren Vergleichung mit den Stellen, wo die aͤußern ſinnli- chen Eindruͤcke geſchehen, den Beruͤhrungspunkt beſtim- men: durch oͤftere Wiederholung aber beſtimmet ſie ihn nachher kuͤrzer, nach analogiſchen Gruͤnden. So gewoͤh- net ſie ſich z. E. von aͤußern Empfindungen, welche ſie durch die Nervenſpitzen in der linken Hand, die ihre Ein- druͤcke durch den Nervenſtamm des linken Arms zu ihr ins Gehirn bringen, empfaͤngt, zu urtheilen, daß der aͤußere ſinnliche Eindruck in der linken Hand geſchehen ſey. Ge- ſetzt aber, daß dieſe Hand abgehauen worden, und dieſe Nervenſpitzen verloren gegangen waͤren; ſo wird ein jeder aͤußerlicher ſinnlicher Eindruck in die Endung des Nerven- ſtammes des linken Arms, weil er ihr auf dieſelbe Weiſe durchs Gehirn zukoͤmmt, beym Mangel gehoͤriger Auf- merkſamkeit, nach ihrer angewoͤhnten Art der Schaͤtzung oder Berechnung des Beruͤhrungspunkts, aus der linken
Hand
D 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0079"n="55"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">3 Abſchn. Der Nerven. Aeußere Empfindungen.</hi></fw><lb/>
ferntern Nebenzweige blos mechaniſcher Weiſe erſchuͤttert.<lb/>
Die durch dergleichen mechaniſche Bewegung im Nerven<lb/>
erregten Eindruͤcke werden zuweilen, wie eine andre aͤußere<lb/>
Beruͤhrung deſſelben, ſinnlich, pflanzen ſich aufwaͤrts zum<lb/>
Gehirne fort und machen wiederum aͤußere Empfindungen.<lb/>
So kann ſich ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck unterwaͤrts<lb/>
auszubreiten ſcheinen, ohne daß dem wirklich alſo waͤre.<lb/>
Ein Beyſpiel hiervon giebt die Droͤhnung von einem<lb/>
Stoße an den Ellenbogen, die bis in die Fingerſpitzen em-<lb/>
pfunden wird, weil der Stoß den Nerven mechaniſch er-<lb/>ſchuͤttert, und man kann hier nicht ſagen, daß der aͤußere<lb/>ſinnliche Eindruck am Ellenbogen, der empfunden wird,<lb/>ſich ruͤckwaͤrts fortgepflanzet haͤtte und durch die Finger em-<lb/>
pfunden wuͤrde.</p></div><lb/><divn="5"><head>§. 38.</head><lb/><p>Die Seele beſtimmet ſich im Raume ihres Koͤrpers den<lb/>
Punkt des aͤußern ſinnlichen Eindrucks bey den aͤußern<lb/>
Empfindungen durch ein Urtheil. Anfangs lernet ſie durch<lb/>
genaue Beobachtung ihrer aͤußern Empfindungen und de-<lb/>
ren Vergleichung mit den Stellen, wo die aͤußern ſinnli-<lb/>
chen Eindruͤcke geſchehen, den Beruͤhrungspunkt beſtim-<lb/>
men: durch oͤftere Wiederholung aber beſtimmet ſie ihn<lb/>
nachher kuͤrzer, nach analogiſchen Gruͤnden. So gewoͤh-<lb/>
net ſie ſich z. E. von aͤußern Empfindungen, welche ſie<lb/>
durch die Nervenſpitzen in der linken Hand, die ihre Ein-<lb/>
druͤcke durch den Nervenſtamm des linken Arms zu ihr ins<lb/>
Gehirn bringen, empfaͤngt, zu urtheilen, daß der aͤußere<lb/>ſinnliche Eindruck in der linken Hand geſchehen ſey. Ge-<lb/>ſetzt aber, daß dieſe Hand abgehauen worden, und dieſe<lb/>
Nervenſpitzen verloren gegangen waͤren; ſo wird ein jeder<lb/>
aͤußerlicher ſinnlicher Eindruck in die Endung des Nerven-<lb/>ſtammes des linken Arms, weil er ihr auf dieſelbe Weiſe<lb/>
durchs Gehirn zukoͤmmt, beym Mangel gehoͤriger Auf-<lb/>
merkſamkeit, nach ihrer angewoͤhnten Art der Schaͤtzung<lb/>
oder Berechnung des Beruͤhrungspunkts, aus der linken<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Hand</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[55/0079]
3 Abſchn. Der Nerven. Aeußere Empfindungen.
ferntern Nebenzweige blos mechaniſcher Weiſe erſchuͤttert.
Die durch dergleichen mechaniſche Bewegung im Nerven
erregten Eindruͤcke werden zuweilen, wie eine andre aͤußere
Beruͤhrung deſſelben, ſinnlich, pflanzen ſich aufwaͤrts zum
Gehirne fort und machen wiederum aͤußere Empfindungen.
So kann ſich ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck unterwaͤrts
auszubreiten ſcheinen, ohne daß dem wirklich alſo waͤre.
Ein Beyſpiel hiervon giebt die Droͤhnung von einem
Stoße an den Ellenbogen, die bis in die Fingerſpitzen em-
pfunden wird, weil der Stoß den Nerven mechaniſch er-
ſchuͤttert, und man kann hier nicht ſagen, daß der aͤußere
ſinnliche Eindruck am Ellenbogen, der empfunden wird,
ſich ruͤckwaͤrts fortgepflanzet haͤtte und durch die Finger em-
pfunden wuͤrde.
§. 38.
Die Seele beſtimmet ſich im Raume ihres Koͤrpers den
Punkt des aͤußern ſinnlichen Eindrucks bey den aͤußern
Empfindungen durch ein Urtheil. Anfangs lernet ſie durch
genaue Beobachtung ihrer aͤußern Empfindungen und de-
ren Vergleichung mit den Stellen, wo die aͤußern ſinnli-
chen Eindruͤcke geſchehen, den Beruͤhrungspunkt beſtim-
men: durch oͤftere Wiederholung aber beſtimmet ſie ihn
nachher kuͤrzer, nach analogiſchen Gruͤnden. So gewoͤh-
net ſie ſich z. E. von aͤußern Empfindungen, welche ſie
durch die Nervenſpitzen in der linken Hand, die ihre Ein-
druͤcke durch den Nervenſtamm des linken Arms zu ihr ins
Gehirn bringen, empfaͤngt, zu urtheilen, daß der aͤußere
ſinnliche Eindruck in der linken Hand geſchehen ſey. Ge-
ſetzt aber, daß dieſe Hand abgehauen worden, und dieſe
Nervenſpitzen verloren gegangen waͤren; ſo wird ein jeder
aͤußerlicher ſinnlicher Eindruck in die Endung des Nerven-
ſtammes des linken Arms, weil er ihr auf dieſelbe Weiſe
durchs Gehirn zukoͤmmt, beym Mangel gehoͤriger Auf-
merkſamkeit, nach ihrer angewoͤhnten Art der Schaͤtzung
oder Berechnung des Beruͤhrungspunkts, aus der linken
Hand
D 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/79>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.