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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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1 Kap. Die Nervenkräfte überhaupt.
drücke ohne Vorstellungen äußere hervorbringen, die nicht
empfunden werden, und doch in den mechanischen Maschi-
nen die Seelenwirkungen ihrer äußern Empfindung nach-
ahmen. So bringt der innere sinnliche Eindruck von der
Berührung des Rückenmarks eines enthaupteten Frosches
mit einer Nadelspitze eben dieselbe thierische Bewegung der
Beine hervor, die der Gedanke, sich aufrecht zu setzen, er-
regen würde. Jndem er seine Muskeln hierzu anstrenget,
erhalten die Nerven derselben von dieser Bewegung einen
äußern sinnlichen Eindruck, der diese und andre Muskeln
zu neuen thierischen Bewegungen reizet, so daß das Thier
entweder sich aufrichtet, ins Gleichgewicht setzet, oder sich
drehet, oder zurückstrebet, oder einen Sprung thut, oder
schwimmt, nachdem der Reiz des Rückenmarks ihm nur
die erste Bewegung beygebracht hat.

§. 402.

Um der nahen Verwandtschaft der sinnlichen Eindrü-
cke willen mit den äußern und innern Empfindungen, ist es
nützlich, auch über ihre Verhältniß untereinander noch ei-
nige Betrachtungen anzustellen. Der äußere sinnliche
Eindruck wird zu allen äußern Empfindungen nothwendig
erfodert, §. 35. und machet also einen Theil derselben aus,
aber nur in so fern er vorgestellet wird: denn die ganze äu-
ßere Empfindung ist in der Seele, ist Vorstellung. §. 34.
An sich aber ist er ein Theil der materiellen äußern Em-
pfindung: aber auch nur in so fern er im Ursprunge des
Nerven, der ihn empfangen hat, eine materielle Jdee mit
bildet. §. 34. Man nennet im gemeinen Leben und selbst
in Schriften, die äußere Empfindung überhaupt und im
weitesten Verstande Gefühl, und schreibt es den fünf äu-
ßerlichen Sinnen selbst zu, indem man saget, das Auge
fühle die Lichtstralen, das Ohr die Schwingungen der
Lufttheilchen beym Schalle, u. s. w. Eben so ist es einge-
führet, die Ausdrücke vom Empfinden und vom Gefühl
dem thierischen Körper beyzulegen, indem man saget, daß

die

1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
druͤcke ohne Vorſtellungen aͤußere hervorbringen, die nicht
empfunden werden, und doch in den mechaniſchen Maſchi-
nen die Seelenwirkungen ihrer aͤußern Empfindung nach-
ahmen. So bringt der innere ſinnliche Eindruck von der
Beruͤhrung des Ruͤckenmarks eines enthaupteten Froſches
mit einer Nadelſpitze eben dieſelbe thieriſche Bewegung der
Beine hervor, die der Gedanke, ſich aufrecht zu ſetzen, er-
regen wuͤrde. Jndem er ſeine Muskeln hierzu anſtrenget,
erhalten die Nerven derſelben von dieſer Bewegung einen
aͤußern ſinnlichen Eindruck, der dieſe und andre Muskeln
zu neuen thieriſchen Bewegungen reizet, ſo daß das Thier
entweder ſich aufrichtet, ins Gleichgewicht ſetzet, oder ſich
drehet, oder zuruͤckſtrebet, oder einen Sprung thut, oder
ſchwimmt, nachdem der Reiz des Ruͤckenmarks ihm nur
die erſte Bewegung beygebracht hat.

§. 402.

Um der nahen Verwandtſchaft der ſinnlichen Eindruͤ-
cke willen mit den aͤußern und innern Empfindungen, iſt es
nuͤtzlich, auch uͤber ihre Verhaͤltniß untereinander noch ei-
nige Betrachtungen anzuſtellen. Der aͤußere ſinnliche
Eindruck wird zu allen aͤußern Empfindungen nothwendig
erfodert, §. 35. und machet alſo einen Theil derſelben aus,
aber nur in ſo fern er vorgeſtellet wird: denn die ganze aͤu-
ßere Empfindung iſt in der Seele, iſt Vorſtellung. §. 34.
An ſich aber iſt er ein Theil der materiellen aͤußern Em-
pfindung: aber auch nur in ſo fern er im Urſprunge des
Nerven, der ihn empfangen hat, eine materielle Jdee mit
bildet. §. 34. Man nennet im gemeinen Leben und ſelbſt
in Schriften, die aͤußere Empfindung uͤberhaupt und im
weiteſten Verſtande Gefuͤhl, und ſchreibt es den fuͤnf aͤu-
ßerlichen Sinnen ſelbſt zu, indem man ſaget, das Auge
fuͤhle die Lichtſtralen, das Ohr die Schwingungen der
Lufttheilchen beym Schalle, u. ſ. w. Eben ſo iſt es einge-
fuͤhret, die Ausdruͤcke vom Empfinden und vom Gefuͤhl
dem thieriſchen Koͤrper beyzulegen, indem man ſaget, daß

die
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[399/0423] 1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt. druͤcke ohne Vorſtellungen aͤußere hervorbringen, die nicht empfunden werden, und doch in den mechaniſchen Maſchi- nen die Seelenwirkungen ihrer aͤußern Empfindung nach- ahmen. So bringt der innere ſinnliche Eindruck von der Beruͤhrung des Ruͤckenmarks eines enthaupteten Froſches mit einer Nadelſpitze eben dieſelbe thieriſche Bewegung der Beine hervor, die der Gedanke, ſich aufrecht zu ſetzen, er- regen wuͤrde. Jndem er ſeine Muskeln hierzu anſtrenget, erhalten die Nerven derſelben von dieſer Bewegung einen aͤußern ſinnlichen Eindruck, der dieſe und andre Muskeln zu neuen thieriſchen Bewegungen reizet, ſo daß das Thier entweder ſich aufrichtet, ins Gleichgewicht ſetzet, oder ſich drehet, oder zuruͤckſtrebet, oder einen Sprung thut, oder ſchwimmt, nachdem der Reiz des Ruͤckenmarks ihm nur die erſte Bewegung beygebracht hat. §. 402. Um der nahen Verwandtſchaft der ſinnlichen Eindruͤ- cke willen mit den aͤußern und innern Empfindungen, iſt es nuͤtzlich, auch uͤber ihre Verhaͤltniß untereinander noch ei- nige Betrachtungen anzuſtellen. Der aͤußere ſinnliche Eindruck wird zu allen aͤußern Empfindungen nothwendig erfodert, §. 35. und machet alſo einen Theil derſelben aus, aber nur in ſo fern er vorgeſtellet wird: denn die ganze aͤu- ßere Empfindung iſt in der Seele, iſt Vorſtellung. §. 34. An ſich aber iſt er ein Theil der materiellen aͤußern Em- pfindung: aber auch nur in ſo fern er im Urſprunge des Nerven, der ihn empfangen hat, eine materielle Jdee mit bildet. §. 34. Man nennet im gemeinen Leben und ſelbſt in Schriften, die aͤußere Empfindung uͤberhaupt und im weiteſten Verſtande Gefuͤhl, und ſchreibt es den fuͤnf aͤu- ßerlichen Sinnen ſelbſt zu, indem man ſaget, das Auge fuͤhle die Lichtſtralen, das Ohr die Schwingungen der Lufttheilchen beym Schalle, u. ſ. w. Eben ſo iſt es einge- fuͤhret, die Ausdruͤcke vom Empfinden und vom Gefuͤhl dem thieriſchen Koͤrper beyzulegen, indem man ſaget, daß die

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/423>, abgerufen am 21.11.2024.