denn man müßte sonst folgenden Schluß gelten lassen, auf welchem die ganze Verwirrung beruhet, und der doch grundfalsch ist: Wenn eine thierische Bewegung der Mus- keln durch ihre Nerven gewirket werden soll, so muß sie ihren Grund im Gehirne, in der Seele, ja sogar im Wil- len haben: Thierische Bewegungen der Muskeln also, die nicht vom Gehirne, nicht von der Seele, nicht vom Wil- len herrühren können, wie wenn der Nerve eines Muskels abgebunden, abgeschnitten, eine Bewegung des Muskels unwillkührlich ist, etc. die werden auch nicht durch die Ner- ven der Muskeln gewirket. Man sieht augenscheinlich, daß die Voraussetzung nur von den Seelenwirkungen, nicht aber von den thierischen Bewegungen der Muskeln über- haupt wahr sey, §. 357 -- 360. denn es ist schon oben erwiesen worden, daß man nicht schließen könne: Welche thierische Bewegungen Seelenwirkungen (nervigte) sind, das ist, von Vorstellungen und insbesondre vom Willen abhängen, können nie zugleich, auch nie bloße Nervenwir- kungen (angeborne Bewegungen) seyn; §. 363. N. 1. welche thierische Bewegungen keine Seelenwirkungen sind, die werden auch nicht durch die Nerven gewirket; §. 362. N. 1. welche thierische Bewegungen durch die Nerven ge- wirket werden, die sind Seelenwirkungen, oder gar frey- willige; §. 362. welche thierische Bewegungen wider den Willen der Seele erfolgen, die können nicht durch die Ner- ven gewirket werden. §. 367. N. 2.
§. 387.
5. "Die nervigten Bewegungen (Seelenwirkungen) "hören mit dem Leben auf; die angebornen, (Nervenwir- "kungen) dauren noch nach dem Tode eine Zeitlang fort; "jene hebt das Binden des Nerven, die Verletzung des Ge- "hirns, auf, diese nicht, sondern sie erfolgen auch ohne das "Gehirn; Theile, die keine Empfindung haben, werden "beweget; andre, die empfinden, werden nicht beweget. "Der Wille erreget und hemmet die Nervenbewegungen,
"(Seelen-
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1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
denn man muͤßte ſonſt folgenden Schluß gelten laſſen, auf welchem die ganze Verwirrung beruhet, und der doch grundfalſch iſt: Wenn eine thieriſche Bewegung der Mus- keln durch ihre Nerven gewirket werden ſoll, ſo muß ſie ihren Grund im Gehirne, in der Seele, ja ſogar im Wil- len haben: Thieriſche Bewegungen der Muskeln alſo, die nicht vom Gehirne, nicht von der Seele, nicht vom Wil- len herruͤhren koͤnnen, wie wenn der Nerve eines Muskels abgebunden, abgeſchnitten, eine Bewegung des Muskels unwillkuͤhrlich iſt, ꝛc. die werden auch nicht durch die Ner- ven der Muskeln gewirket. Man ſieht augenſcheinlich, daß die Vorausſetzung nur von den Seelenwirkungen, nicht aber von den thieriſchen Bewegungen der Muskeln uͤber- haupt wahr ſey, §. 357 — 360. denn es iſt ſchon oben erwieſen worden, daß man nicht ſchließen koͤnne: Welche thieriſche Bewegungen Seelenwirkungen (nervigte) ſind, das iſt, von Vorſtellungen und insbeſondre vom Willen abhaͤngen, koͤnnen nie zugleich, auch nie bloße Nervenwir- kungen (angeborne Bewegungen) ſeyn; §. 363. N. 1. welche thieriſche Bewegungen keine Seelenwirkungen ſind, die werden auch nicht durch die Nerven gewirket; §. 362. N. 1. welche thieriſche Bewegungen durch die Nerven ge- wirket werden, die ſind Seelenwirkungen, oder gar frey- willige; §. 362. welche thieriſche Bewegungen wider den Willen der Seele erfolgen, die koͤnnen nicht durch die Ner- ven gewirket werden. §. 367. N. 2.
§. 387.
5. „Die nervigten Bewegungen (Seelenwirkungen) „hoͤren mit dem Leben auf; die angebornen, (Nervenwir- „kungen) dauren noch nach dem Tode eine Zeitlang fort; „jene hebt das Binden des Nerven, die Verletzung des Ge- „hirns, auf, dieſe nicht, ſondern ſie erfolgen auch ohne das „Gehirn; Theile, die keine Empfindung haben, werden „beweget; andre, die empfinden, werden nicht beweget. „Der Wille erreget und hemmet die Nervenbewegungen,
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1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
denn man muͤßte ſonſt folgenden Schluß gelten laſſen, auf
welchem die ganze Verwirrung beruhet, und der doch
grundfalſch iſt: Wenn eine thieriſche Bewegung der Mus-
keln durch ihre Nerven gewirket werden ſoll, ſo muß ſie
ihren Grund im Gehirne, in der Seele, ja ſogar im Wil-
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nicht vom Gehirne, nicht von der Seele, nicht vom Wil-
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abgebunden, abgeſchnitten, eine Bewegung des Muskels
unwillkuͤhrlich iſt, ꝛc. die werden auch nicht durch die Ner-
ven der Muskeln gewirket. Man ſieht augenſcheinlich,
daß die Vorausſetzung nur von den Seelenwirkungen, nicht
aber von den thieriſchen Bewegungen der Muskeln uͤber-
haupt wahr ſey, §. 357 — 360. denn es iſt ſchon oben
erwieſen worden, daß man nicht ſchließen koͤnne: Welche
thieriſche Bewegungen Seelenwirkungen (nervigte) ſind,
das iſt, von Vorſtellungen und insbeſondre vom Willen
abhaͤngen, koͤnnen nie zugleich, auch nie bloße Nervenwir-
kungen (angeborne Bewegungen) ſeyn; §. 363. N. 1.
welche thieriſche Bewegungen keine Seelenwirkungen ſind,
die werden auch nicht durch die Nerven gewirket; §. 362.
N. 1. welche thieriſche Bewegungen durch die Nerven ge-
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Willen der Seele erfolgen, die koͤnnen nicht durch die Ner-
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§. 387.
5. „Die nervigten Bewegungen (Seelenwirkungen)
„hoͤren mit dem Leben auf; die angebornen, (Nervenwir-
„kungen) dauren noch nach dem Tode eine Zeitlang fort;
„jene hebt das Binden des Nerven, die Verletzung des Ge-
„hirns, auf, dieſe nicht, ſondern ſie erfolgen auch ohne das
„Gehirn; Theile, die keine Empfindung haben, werden
„beweget; andre, die empfinden, werden nicht beweget.
„Der Wille erreget und hemmet die Nervenbewegungen,
„(Seelen-
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/411>, abgerufen am 22.02.2025.
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