Uhse, Erdmann: Wohl-informirter Poët. 2. Aufl. Leipzig, 1719.Das I. Capitul Als ich im Buche blätterte Und zu der Weißheit kletterte, Da war ich der Gesegnete, Dem nie kein Schmertz begegnete. 9. Kan man denn gantze Carmina machen; welche aus lauter weiblichen Reimen bestehen? Man kan zwar solches thun, allein es klinget nicht all- Mein GOtt, so trauret dann der Himmel alle Stunden, Wenn hat sich wohl ein Strahl der Sonnen eingefunden, Und unser Land erquickt? Die Wolcken sind voll Regen, Und wollen unser Feld mit Feuchtigkeit belegen. Ach! alle Frucht erstickt; das Korn will gar nicht reiffen, Der Meyher darff noch nicht, wie sonst die Sense schleiften, Und ist die Zeit doch da; die Städt und Dörffer weinen Und will uns gar kein Rath nach aller Noth erscheinen. Die Angst nimmt immer zu Die Böden sind geleeret, Drum wird die neue Frucht viel hefftiger begehret; Der grosse Mißwachs ist schon manches Jahr gewesen, Und das verderbte Feld kan noch nicht recht genesen. Der Mensch das Vieh erstirbt: Dir, Höchster sey's geklaget, Denn bloß von dir wird uns die Segens-Krafft versaget, Wer ist doch Schuld daran, ist deine Hand verkürtzet? Vielleicht macht uns dein Haß ohn' uns're Schuld bestürtzet. Ach nein! Wir haben diß mit unserm Thun verdienet, Weil unser Sünden-Feld von lauter Lastern grünet; Sonst ists ja deine Lust uns gutes zu erweisen, Pflegst du doch auch das Vieh aufs reichlichste zu speisen: Deßhalben wollen wir die Schuld gantz frey bekennen, Die Kleinmuth soll uns nicht von deiner Liebe trennen; Du
Das I. Capitul Als ich im Buche blaͤtterte Und zu der Weißheit kletterte, Da war ich der Geſegnete, Dem nie kein Schmertz begegnete. 9. Kan man denn gantze Carmina machen; welche aus lauter weiblichen Reimen beſtehen? Man kan zwar ſolches thun, allein es klinget nicht all- Mein GOtt, ſo trauret dann der Himmel alle Stunden, Wenn hat ſich wohl ein Strahl der Sonnen eingefunden, Und unſer Land erquickt? Die Wolcken ſind voll Regen, Und wollen unſer Feld mit Feuchtigkeit belegen. Ach! alle Frucht erſtickt; das Korn will gar nicht reiffen, Der Meyher darff noch nicht, wie ſonſt die Senſe ſchleiften, Und iſt die Zeit doch da; die Staͤdt und Doͤrffer weinen Und will uns gar kein Rath nach aller Noth erſcheinen. Die Angſt nimmt immer zu Die Boͤden ſind geleeret, Drum wird die neue Frucht viel hefftiger begehret; Der groſſe Mißwachs iſt ſchon manches Jahr geweſen, Und das verderbte Feld kan noch nicht recht geneſen. Der Menſch das Vieh erſtirbt: Dir, Hoͤchſter ſey’s geklaget, Denn bloß von dir wird uns die Segens-Krafft verſaget, Wer iſt doch Schuld daran, iſt deine Hand verkuͤrtzet? Vielleicht macht uns dein Haß ohn’ unſ’re Schuld beſtuͤrtzet. Ach nein! Wir haben diß mit unſerm Thun verdienet, Weil unſer Suͤnden-Feld von lauter Laſtern gruͤnet; Sonſt iſts ja deine Luſt uns gutes zu erweiſen, Pflegſt du doch auch das Vieh aufs reichlichſte zu ſpeiſen: Deßhalben wollen wir die Schuld gantz frey bekennen, Die Kleinmuth ſoll uns nicht von deiner Liebe trennen; Du
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb n="18" facs="#f0022"/> <fw type="header" place="top"> <hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">I.</hi> Capitul</hi> </fw><lb/> <lg type="poem"> <l>Als ich im Buche <hi rendition="#fr">blaͤtterte</hi></l><lb/> <l>Und zu der Weißheit <hi rendition="#fr">kletterte,</hi></l><lb/> <l>Da war ich der <hi rendition="#fr">Geſegnete,</hi></l><lb/> <l>Dem nie kein Schmertz <hi rendition="#fr">begegnete.</hi></l> </lg> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">9. Kan man denn gantze <hi rendition="#aq">Carmina</hi> machen;<lb/> welche aus lauter weiblichen Reimen<lb/> beſtehen?</hi> </head><lb/> <p>Man kan zwar ſolches thun, allein es klinget nicht all-<lb/> zu lieblich. Siehe das Muſen-Cabinet 1143. & 1287.<lb/> Alſo machteich vor einiger Zeit auf das ſtetige Regen-<lb/> wetter zur Erndte-Zeit folgende Zeilen:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Mein GOtt, ſo trauret dann der Himmel alle Stunden,</l><lb/> <l>Wenn hat ſich wohl ein Strahl der Sonnen eingefunden,</l><lb/> <l>Und unſer Land erquickt? Die Wolcken ſind voll Regen,</l><lb/> <l>Und wollen unſer Feld mit Feuchtigkeit belegen.</l><lb/> <l>Ach! alle Frucht erſtickt; das Korn will gar nicht reiffen,</l><lb/> <l>Der Meyher darff noch nicht, wie ſonſt die Senſe ſchleiften,</l><lb/> <l>Und iſt die Zeit doch da; die Staͤdt und Doͤrffer weinen</l><lb/> <l>Und will uns gar kein Rath nach aller Noth erſcheinen.</l><lb/> <l>Die Angſt nimmt immer zu Die Boͤden ſind geleeret,</l><lb/> <l>Drum wird die neue Frucht viel hefftiger begehret;</l><lb/> <l>Der groſſe Mißwachs iſt ſchon manches Jahr geweſen,</l><lb/> <l>Und das verderbte Feld kan noch nicht recht geneſen.</l><lb/> <l>Der Menſch das Vieh erſtirbt: Dir, Hoͤchſter ſey’s geklaget,</l><lb/> <l>Denn bloß von dir wird uns die Segens-Krafft verſaget,</l><lb/> <l>Wer iſt doch Schuld daran, iſt deine Hand verkuͤrtzet?</l><lb/> <l>Vielleicht macht uns dein Haß ohn’ unſ’re Schuld beſtuͤrtzet.</l><lb/> <l>Ach nein! Wir haben diß mit unſerm Thun verdienet,</l><lb/> <l>Weil unſer Suͤnden-Feld von lauter Laſtern gruͤnet;</l><lb/> <l>Sonſt iſts ja deine Luſt uns gutes zu erweiſen,</l><lb/> <l>Pflegſt du doch auch das Vieh aufs reichlichſte zu ſpeiſen:</l><lb/> <l>Deßhalben wollen wir die Schuld gantz frey bekennen,</l><lb/> <l>Die Kleinmuth ſoll uns nicht von deiner Liebe trennen;</l><lb/> <fw type="catch" place="bottom">Du</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [18/0022]
Das I. Capitul
Als ich im Buche blaͤtterte
Und zu der Weißheit kletterte,
Da war ich der Geſegnete,
Dem nie kein Schmertz begegnete.
9. Kan man denn gantze Carmina machen;
welche aus lauter weiblichen Reimen
beſtehen?
Man kan zwar ſolches thun, allein es klinget nicht all-
zu lieblich. Siehe das Muſen-Cabinet 1143. & 1287.
Alſo machteich vor einiger Zeit auf das ſtetige Regen-
wetter zur Erndte-Zeit folgende Zeilen:
Mein GOtt, ſo trauret dann der Himmel alle Stunden,
Wenn hat ſich wohl ein Strahl der Sonnen eingefunden,
Und unſer Land erquickt? Die Wolcken ſind voll Regen,
Und wollen unſer Feld mit Feuchtigkeit belegen.
Ach! alle Frucht erſtickt; das Korn will gar nicht reiffen,
Der Meyher darff noch nicht, wie ſonſt die Senſe ſchleiften,
Und iſt die Zeit doch da; die Staͤdt und Doͤrffer weinen
Und will uns gar kein Rath nach aller Noth erſcheinen.
Die Angſt nimmt immer zu Die Boͤden ſind geleeret,
Drum wird die neue Frucht viel hefftiger begehret;
Der groſſe Mißwachs iſt ſchon manches Jahr geweſen,
Und das verderbte Feld kan noch nicht recht geneſen.
Der Menſch das Vieh erſtirbt: Dir, Hoͤchſter ſey’s geklaget,
Denn bloß von dir wird uns die Segens-Krafft verſaget,
Wer iſt doch Schuld daran, iſt deine Hand verkuͤrtzet?
Vielleicht macht uns dein Haß ohn’ unſ’re Schuld beſtuͤrtzet.
Ach nein! Wir haben diß mit unſerm Thun verdienet,
Weil unſer Suͤnden-Feld von lauter Laſtern gruͤnet;
Sonſt iſts ja deine Luſt uns gutes zu erweiſen,
Pflegſt du doch auch das Vieh aufs reichlichſte zu ſpeiſen:
Deßhalben wollen wir die Schuld gantz frey bekennen,
Die Kleinmuth ſoll uns nicht von deiner Liebe trennen;
Du
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719/22 |
Zitationshilfe: | Uhse, Erdmann: Wohl-informirter Poët. 2. Aufl. Leipzig, 1719, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719/22>, abgerufen am 03.03.2025. |