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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Neujahrsnacht 1834.
trat die Thüringer auf den Conferenzen des Zollvereins, gab in Tarif-
sachen nur eine Gesammtstimme ab; in einigen anderen Fällen sollte er
die Meinung jedes einzelnen thüringischen Staates gesondert vortragen.
Dieser Bund im Bunde, welchen Preußens Staatsmänner seit dem Jahre
1819 erstrebt hatten, erwies sich als so einfach und naturgemäß, daß nie-
mals, auch nicht in den schwersten Krisen des Zollvereins, an die Auf-
lösung des thüringischen Vereins gedacht worden ist. --

Also war des großen Werkes schwerster Theil gelungen. Ein uner-
hörter Ordenssegen belohnte die treue Arbeit des Beamtenthums; die
Jahrgänge der deutschen Gesetzsammlungen schwollen zu unförmlichen
Bänden an, von allen den neuen Verträgen und Gesetzen. Dann kam
jene folgenschwere Neujahrsnacht des Jahres 1834, die auch den Massen
das Nahen einer besseren Zeit verkündete. Auf allen Landstraßen Mittel-
deutschlands harrten die Frachtwagen hochbeladen in langen Zügen vor
den Mauthhäusern, umringt von fröhlich lärmenden Volkshaufen. Mit
dem letzten Glockenschlage des alten Jahres hoben sich die Schlagbäume;
die Rosse zogen an, unter Jubelruf und Peitschenknall ging es vorwärts
durch das befreite Land. Ein neues Glied, fest und unscheinbar, war
eingefügt in die lange Kette der Zeiten, die den Markgrafenstaat der
Hohenzollern hinaufgeführt hat zur kaiserlichen Krone. Das Adlerauge
des großen Königs blickte aus den Wolken, und aus weiter Ferne erklang
schon der Schlachtendonner von Königgrätz. Glücklicher als sein leiden-
schaftlicher Freund hat Maassen die Stunde der Genugthuung noch ge-
nossen. Er starb am 4. November 1834. Einen ebenbürtigen Nachfolger
fand er nicht; nur in Eichhorn und den Geheimen Räthen des Finanz-
ministeriums lebten die Ueberlieferungen von 1818 fort.

Der erweiterte Handelsbund nahm jetzt den Namen des Deutschen
Zollvereins an. Aus dem dunstigen Nebel des Deutschen Bundes traten
schon erkennbar die Umrisse jenes Kleindeutschlands hervor, das dereinst
den Ruhm und die Macht des heiligen römischen Reiches überbieten sollte.


Im Kampfe mit dem deutschen Liberalismus errang die Krone Preußen
ihre handelspolitischen Erfolge, und nur weil sie selbst nicht durch Reichs-
stände beschränkt war, konnte sie ihr Ziel erreichen. Ebenso wenig wie die
süddeutschen Oppositionsparteien ahnte Czar Nikolaus, was dies beginnende
Anwachsen der preußisch-deutschen Macht bedeutete. Da er noch immer
auf den großen Krieg gegen die Revolution hoffte, so suchte er sich seinem
Schwiegervater in Allem, was Rußlands Interessen nicht unmittelbar zu
bedrohen schien, freundlich zu erweisen und vermied sorgsam jeden Schritt,
der die Bahnen des Zollvereins durchkreuzen konnte. Die unverhohlene
Feindschaft, welche England und Frankreich dem werdenden Handelsbunde

Die Neujahrsnacht 1834.
trat die Thüringer auf den Conferenzen des Zollvereins, gab in Tarif-
ſachen nur eine Geſammtſtimme ab; in einigen anderen Fällen ſollte er
die Meinung jedes einzelnen thüringiſchen Staates geſondert vortragen.
Dieſer Bund im Bunde, welchen Preußens Staatsmänner ſeit dem Jahre
1819 erſtrebt hatten, erwies ſich als ſo einfach und naturgemäß, daß nie-
mals, auch nicht in den ſchwerſten Kriſen des Zollvereins, an die Auf-
löſung des thüringiſchen Vereins gedacht worden iſt. —

Alſo war des großen Werkes ſchwerſter Theil gelungen. Ein uner-
hörter Ordensſegen belohnte die treue Arbeit des Beamtenthums; die
Jahrgänge der deutſchen Geſetzſammlungen ſchwollen zu unförmlichen
Bänden an, von allen den neuen Verträgen und Geſetzen. Dann kam
jene folgenſchwere Neujahrsnacht des Jahres 1834, die auch den Maſſen
das Nahen einer beſſeren Zeit verkündete. Auf allen Landſtraßen Mittel-
deutſchlands harrten die Frachtwagen hochbeladen in langen Zügen vor
den Mauthhäuſern, umringt von fröhlich lärmenden Volkshaufen. Mit
dem letzten Glockenſchlage des alten Jahres hoben ſich die Schlagbäume;
die Roſſe zogen an, unter Jubelruf und Peitſchenknall ging es vorwärts
durch das befreite Land. Ein neues Glied, feſt und unſcheinbar, war
eingefügt in die lange Kette der Zeiten, die den Markgrafenſtaat der
Hohenzollern hinaufgeführt hat zur kaiſerlichen Krone. Das Adlerauge
des großen Königs blickte aus den Wolken, und aus weiter Ferne erklang
ſchon der Schlachtendonner von Königgrätz. Glücklicher als ſein leiden-
ſchaftlicher Freund hat Maaſſen die Stunde der Genugthuung noch ge-
noſſen. Er ſtarb am 4. November 1834. Einen ebenbürtigen Nachfolger
fand er nicht; nur in Eichhorn und den Geheimen Räthen des Finanz-
miniſteriums lebten die Ueberlieferungen von 1818 fort.

Der erweiterte Handelsbund nahm jetzt den Namen des Deutſchen
Zollvereins an. Aus dem dunſtigen Nebel des Deutſchen Bundes traten
ſchon erkennbar die Umriſſe jenes Kleindeutſchlands hervor, das dereinſt
den Ruhm und die Macht des heiligen römiſchen Reiches überbieten ſollte.


Im Kampfe mit dem deutſchen Liberalismus errang die Krone Preußen
ihre handelspolitiſchen Erfolge, und nur weil ſie ſelbſt nicht durch Reichs-
ſtände beſchränkt war, konnte ſie ihr Ziel erreichen. Ebenſo wenig wie die
ſüddeutſchen Oppoſitionsparteien ahnte Czar Nikolaus, was dies beginnende
Anwachſen der preußiſch-deutſchen Macht bedeutete. Da er noch immer
auf den großen Krieg gegen die Revolution hoffte, ſo ſuchte er ſich ſeinem
Schwiegervater in Allem, was Rußlands Intereſſen nicht unmittelbar zu
bedrohen ſchien, freundlich zu erweiſen und vermied ſorgſam jeden Schritt,
der die Bahnen des Zollvereins durchkreuzen konnte. Die unverhohlene
Feindſchaft, welche England und Frankreich dem werdenden Handelsbunde

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[379/0393] Die Neujahrsnacht 1834. trat die Thüringer auf den Conferenzen des Zollvereins, gab in Tarif- ſachen nur eine Geſammtſtimme ab; in einigen anderen Fällen ſollte er die Meinung jedes einzelnen thüringiſchen Staates geſondert vortragen. Dieſer Bund im Bunde, welchen Preußens Staatsmänner ſeit dem Jahre 1819 erſtrebt hatten, erwies ſich als ſo einfach und naturgemäß, daß nie- mals, auch nicht in den ſchwerſten Kriſen des Zollvereins, an die Auf- löſung des thüringiſchen Vereins gedacht worden iſt. — Alſo war des großen Werkes ſchwerſter Theil gelungen. Ein uner- hörter Ordensſegen belohnte die treue Arbeit des Beamtenthums; die Jahrgänge der deutſchen Geſetzſammlungen ſchwollen zu unförmlichen Bänden an, von allen den neuen Verträgen und Geſetzen. Dann kam jene folgenſchwere Neujahrsnacht des Jahres 1834, die auch den Maſſen das Nahen einer beſſeren Zeit verkündete. Auf allen Landſtraßen Mittel- deutſchlands harrten die Frachtwagen hochbeladen in langen Zügen vor den Mauthhäuſern, umringt von fröhlich lärmenden Volkshaufen. Mit dem letzten Glockenſchlage des alten Jahres hoben ſich die Schlagbäume; die Roſſe zogen an, unter Jubelruf und Peitſchenknall ging es vorwärts durch das befreite Land. Ein neues Glied, feſt und unſcheinbar, war eingefügt in die lange Kette der Zeiten, die den Markgrafenſtaat der Hohenzollern hinaufgeführt hat zur kaiſerlichen Krone. Das Adlerauge des großen Königs blickte aus den Wolken, und aus weiter Ferne erklang ſchon der Schlachtendonner von Königgrätz. Glücklicher als ſein leiden- ſchaftlicher Freund hat Maaſſen die Stunde der Genugthuung noch ge- noſſen. Er ſtarb am 4. November 1834. Einen ebenbürtigen Nachfolger fand er nicht; nur in Eichhorn und den Geheimen Räthen des Finanz- miniſteriums lebten die Ueberlieferungen von 1818 fort. Der erweiterte Handelsbund nahm jetzt den Namen des Deutſchen Zollvereins an. Aus dem dunſtigen Nebel des Deutſchen Bundes traten ſchon erkennbar die Umriſſe jenes Kleindeutſchlands hervor, das dereinſt den Ruhm und die Macht des heiligen römiſchen Reiches überbieten ſollte. Im Kampfe mit dem deutſchen Liberalismus errang die Krone Preußen ihre handelspolitiſchen Erfolge, und nur weil ſie ſelbſt nicht durch Reichs- ſtände beſchränkt war, konnte ſie ihr Ziel erreichen. Ebenſo wenig wie die ſüddeutſchen Oppoſitionsparteien ahnte Czar Nikolaus, was dies beginnende Anwachſen der preußiſch-deutſchen Macht bedeutete. Da er noch immer auf den großen Krieg gegen die Revolution hoffte, ſo ſuchte er ſich ſeinem Schwiegervater in Allem, was Rußlands Intereſſen nicht unmittelbar zu bedrohen ſchien, freundlich zu erweiſen und vermied ſorgſam jeden Schritt, der die Bahnen des Zollvereins durchkreuzen konnte. Die unverhohlene Feindſchaft, welche England und Frankreich dem werdenden Handelsbunde

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/393>, abgerufen am 26.04.2024.