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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Abschluß mit Sachsen.
zu befestigen, gefährdet werden oder mindestens Aufschub erleiden würde.
Auch mag ich mir selbst nicht verschweigen, daß eine erfolglose Verhand-
lung in der gegenwärtigen Zeit auch hier nicht ohne einen sehr ungün-
stigen Eindruck bleiben würde."*) Ein solcher Mittelweg schien aber den
besten Köpfen der preußischen Regierung kleinlich und nutzlos. Eichhorn
bewies in einem ausführlichen Gutachten: sofortige Handelserleichterungen
würden, nach der Lage der Dinge, nur dem preußischen Staate einseitige
Opfer auferlegen; wolle Sachsen dagegen zu Preußen in ein ähnliches
Verhältniß treten, wie bisher Baiern und Württemberg, so sei dazu eine
vollständige Neugestaltung seines Zollsystems erforderlich; warum also
nicht sogleich das höchste Ziel, den Zollverein, ins Auge fassen? Auch
der geistvolle Beuth meinte traurig: "wäre die Zeit nicht so schlecht und
ungünstig, so konnte man die Sache großartiger behandeln." Die letzten
mündlichen Verhandlungen erfolgten im Juli, bald nachher stockte auch
der schriftliche Verkehr. Die deutschen Cabinette begannen zu fürchten,
daß Sachsen den Plan aufgegeben habe; der Dresdner Hof sah sich um
die Wende des Jahres genöthigt, in einer langen Denkschrift seine Handels-
politik vor den oberdeutschen Königen zu vertheidigen.

Erst als Baiern und Württemberg ihre Zollvereinsverhandlungen
in Berlin eröffneten, faßte man sich in Dresden wieder ein Herz. Im
März 1832 erschien Zeschau zum zweiten male in Berlin. Abermals
kam man einen Schritt weit vorwärts; Sachsen erklärte sich bereit das
preußische System der indirekten Steuern anzunehmen. Doch über die
Messen konnte man sich wieder nicht verständigen. Nun wirkte auch die
Staatsweisheit Moritz Mohl's lähmend auf Sachsen zurück; ohne die
süddeutschen Höfe, die jetzt ihre Verhandlungen abbrachen, wollte das
Dresdner Cabinet, wie begreiflich, nicht beitreten. Im Mai wurde die
letzte Berathung gehalten; der Sommer verlief in peinlicher Verlegenheit.
Die amtliche Leipziger Zeitung schlug bereits jenen salbungsvollen Ton
an, der immer ein Zeichen der Rathlosigkeit ist; sie mahnte: "der Ent-
schluß, welchen die Staatsregierung mit den Landständen ergreift, wird
jedem Staatsbürger heilig sein."

Inzwischen beging der sächsische Hof einen schweren politischen Fehler,
der den schlimmsten Verdacht zu rechtfertigen schien. Hannover hatte am
Bundestage wieder einmal die Ausführung des unsterblichen Art. 19 be-
antragt -- in der unverhohlenen Absicht, den Gang der preußischen
Handelspolitik zu stören. Ohne jede Rücksprache mit Preußen, ohne auch
nur den Bericht der Bundestagscommission abzuwarten, stimmte Sachsen
als die erste deutsche Regierung dem thörichten Antrage zu und erklärte:
Höchster Zweck des Bundes in Zollsachen ist, dasjenige durch gemein-
schaftliche Gesetze zu erreichen, was durch Einzelverhandlungen nur schwer

*) Prinz Friedrich August an König Friedrich Wilhelm, 11. April 1831.

Abſchluß mit Sachſen.
zu befeſtigen, gefährdet werden oder mindeſtens Aufſchub erleiden würde.
Auch mag ich mir ſelbſt nicht verſchweigen, daß eine erfolgloſe Verhand-
lung in der gegenwärtigen Zeit auch hier nicht ohne einen ſehr ungün-
ſtigen Eindruck bleiben würde.“*) Ein ſolcher Mittelweg ſchien aber den
beſten Köpfen der preußiſchen Regierung kleinlich und nutzlos. Eichhorn
bewies in einem ausführlichen Gutachten: ſofortige Handelserleichterungen
würden, nach der Lage der Dinge, nur dem preußiſchen Staate einſeitige
Opfer auferlegen; wolle Sachſen dagegen zu Preußen in ein ähnliches
Verhältniß treten, wie bisher Baiern und Württemberg, ſo ſei dazu eine
vollſtändige Neugeſtaltung ſeines Zollſyſtems erforderlich; warum alſo
nicht ſogleich das höchſte Ziel, den Zollverein, ins Auge faſſen? Auch
der geiſtvolle Beuth meinte traurig: „wäre die Zeit nicht ſo ſchlecht und
ungünſtig, ſo konnte man die Sache großartiger behandeln.“ Die letzten
mündlichen Verhandlungen erfolgten im Juli, bald nachher ſtockte auch
der ſchriftliche Verkehr. Die deutſchen Cabinette begannen zu fürchten,
daß Sachſen den Plan aufgegeben habe; der Dresdner Hof ſah ſich um
die Wende des Jahres genöthigt, in einer langen Denkſchrift ſeine Handels-
politik vor den oberdeutſchen Königen zu vertheidigen.

Erſt als Baiern und Württemberg ihre Zollvereinsverhandlungen
in Berlin eröffneten, faßte man ſich in Dresden wieder ein Herz. Im
März 1832 erſchien Zeſchau zum zweiten male in Berlin. Abermals
kam man einen Schritt weit vorwärts; Sachſen erklärte ſich bereit das
preußiſche Syſtem der indirekten Steuern anzunehmen. Doch über die
Meſſen konnte man ſich wieder nicht verſtändigen. Nun wirkte auch die
Staatsweisheit Moritz Mohl’s lähmend auf Sachſen zurück; ohne die
ſüddeutſchen Höfe, die jetzt ihre Verhandlungen abbrachen, wollte das
Dresdner Cabinet, wie begreiflich, nicht beitreten. Im Mai wurde die
letzte Berathung gehalten; der Sommer verlief in peinlicher Verlegenheit.
Die amtliche Leipziger Zeitung ſchlug bereits jenen ſalbungsvollen Ton
an, der immer ein Zeichen der Rathloſigkeit iſt; ſie mahnte: „der Ent-
ſchluß, welchen die Staatsregierung mit den Landſtänden ergreift, wird
jedem Staatsbürger heilig ſein.“

Inzwiſchen beging der ſächſiſche Hof einen ſchweren politiſchen Fehler,
der den ſchlimmſten Verdacht zu rechtfertigen ſchien. Hannover hatte am
Bundestage wieder einmal die Ausführung des unſterblichen Art. 19 be-
antragt — in der unverhohlenen Abſicht, den Gang der preußiſchen
Handelspolitik zu ſtören. Ohne jede Rückſprache mit Preußen, ohne auch
nur den Bericht der Bundestagscommiſſion abzuwarten, ſtimmte Sachſen
als die erſte deutſche Regierung dem thörichten Antrage zu und erklärte:
Höchſter Zweck des Bundes in Zollſachen iſt, dasjenige durch gemein-
ſchaftliche Geſetze zu erreichen, was durch Einzelverhandlungen nur ſchwer

*) Prinz Friedrich Auguſt an König Friedrich Wilhelm, 11. April 1831.
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[375/0389] Abſchluß mit Sachſen. zu befeſtigen, gefährdet werden oder mindeſtens Aufſchub erleiden würde. Auch mag ich mir ſelbſt nicht verſchweigen, daß eine erfolgloſe Verhand- lung in der gegenwärtigen Zeit auch hier nicht ohne einen ſehr ungün- ſtigen Eindruck bleiben würde.“ *) Ein ſolcher Mittelweg ſchien aber den beſten Köpfen der preußiſchen Regierung kleinlich und nutzlos. Eichhorn bewies in einem ausführlichen Gutachten: ſofortige Handelserleichterungen würden, nach der Lage der Dinge, nur dem preußiſchen Staate einſeitige Opfer auferlegen; wolle Sachſen dagegen zu Preußen in ein ähnliches Verhältniß treten, wie bisher Baiern und Württemberg, ſo ſei dazu eine vollſtändige Neugeſtaltung ſeines Zollſyſtems erforderlich; warum alſo nicht ſogleich das höchſte Ziel, den Zollverein, ins Auge faſſen? Auch der geiſtvolle Beuth meinte traurig: „wäre die Zeit nicht ſo ſchlecht und ungünſtig, ſo konnte man die Sache großartiger behandeln.“ Die letzten mündlichen Verhandlungen erfolgten im Juli, bald nachher ſtockte auch der ſchriftliche Verkehr. Die deutſchen Cabinette begannen zu fürchten, daß Sachſen den Plan aufgegeben habe; der Dresdner Hof ſah ſich um die Wende des Jahres genöthigt, in einer langen Denkſchrift ſeine Handels- politik vor den oberdeutſchen Königen zu vertheidigen. Erſt als Baiern und Württemberg ihre Zollvereinsverhandlungen in Berlin eröffneten, faßte man ſich in Dresden wieder ein Herz. Im März 1832 erſchien Zeſchau zum zweiten male in Berlin. Abermals kam man einen Schritt weit vorwärts; Sachſen erklärte ſich bereit das preußiſche Syſtem der indirekten Steuern anzunehmen. Doch über die Meſſen konnte man ſich wieder nicht verſtändigen. Nun wirkte auch die Staatsweisheit Moritz Mohl’s lähmend auf Sachſen zurück; ohne die ſüddeutſchen Höfe, die jetzt ihre Verhandlungen abbrachen, wollte das Dresdner Cabinet, wie begreiflich, nicht beitreten. Im Mai wurde die letzte Berathung gehalten; der Sommer verlief in peinlicher Verlegenheit. Die amtliche Leipziger Zeitung ſchlug bereits jenen ſalbungsvollen Ton an, der immer ein Zeichen der Rathloſigkeit iſt; ſie mahnte: „der Ent- ſchluß, welchen die Staatsregierung mit den Landſtänden ergreift, wird jedem Staatsbürger heilig ſein.“ Inzwiſchen beging der ſächſiſche Hof einen ſchweren politiſchen Fehler, der den ſchlimmſten Verdacht zu rechtfertigen ſchien. Hannover hatte am Bundestage wieder einmal die Ausführung des unſterblichen Art. 19 be- antragt — in der unverhohlenen Abſicht, den Gang der preußiſchen Handelspolitik zu ſtören. Ohne jede Rückſprache mit Preußen, ohne auch nur den Bericht der Bundestagscommiſſion abzuwarten, ſtimmte Sachſen als die erſte deutſche Regierung dem thörichten Antrage zu und erklärte: Höchſter Zweck des Bundes in Zollſachen iſt, dasjenige durch gemein- ſchaftliche Geſetze zu erreichen, was durch Einzelverhandlungen nur ſchwer *) Prinz Friedrich Auguſt an König Friedrich Wilhelm, 11. April 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/389>, abgerufen am 26.04.2024.