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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Paul Pfizer.

Und doch barg dieser süddeutsche Liberalismus, der so blind für
Deutschlands Feinde schwärmte, eine unverwüstliche Kraft treuer Vater-
landsliebe. Seine Selbstüberhebung entsprang dem Gefühle der Leere,
das der Mangel eines großartigen öffentlichen Lebens in einem geistreichen
Volke erzeugen mußte, seine lärmende Ungeduld der Sehnsucht nach na-
tionalem Ruhme. In einem Wuste von Thorheiten und halbreifen Ein-
fällen brachte die süddeutsche Presse doch auch einige gesunde Ideen her-
vor, welche die politische Entwicklung der Nation förderten. Wilhelm
Schulz, jener hessische Offizier, der einst wegen seinen radicalen Schriften
den Kriegsdienst hatte verlassen müssen*) und mittlerweile durch ernste
Arbeit gereift war, versuchte in einem Buche "Deutschlands Einheit durch
Nationalrepräsentation" den Grundgedanken der Welcker'schen Motion
deutlicher auszuführen. Er zeigte sich noch keineswegs frei von den Selbst-
täuschungen des jugendlichen Liberalismus, glaubte fest an die unüberwind-
liche Macht der öffentlichen Meinung und der kleinen Landtage -- falls sie
nur ihr Steuerverweigerungsrecht rücksichtslos zur Beseitigung böswilliger
Minister gebrauchten; indessen sah er schon ein, daß ein Parlament neben
dem Bundestage keinen Platz finden könne, und verlangte darum außer dem
Reichstage auch eine fester geordnete Centralgewalt, sei es ein Kaiserthum
oder eine Bundesrepublik. Oesterreich ließ er kaum noch für einen deutschen
Staat gelten, Preußen aber, "dies Deutschland im Kleinen" habe sich
leider durch seine polnische Politik augenblicklich so verhaßt gemacht, daß
man vorderhand nur einen constitutionellen Bund im Bunde bilden
könne. Also tastend und zweifelnd näherte er sich der Lösung des großen
Problems. Aehnlich, nur meist noch günstiger für Preußen, sprachen mehrere
Artikel in Rotteck's Annalen und in den Staatsrechtlichen Beiträgen des
wackeren hessischen Liberalen K. H. Hofmann.

Wie dünn und matt erklangen alle diese Laute unbestimmter Sehn-
sucht neben den tiefen, ernsten Tönen, welche der junge Paul Pfizer in
seinem "Briefwechsel zweier Deutschen" (1831) anschlug -- der Prophet
des neuen preußischen Reiches deutscher Nation, ein echter Schwabe,
ernst, gedankenreich, voll dichterischer Phantasie und philosophischen Tief-
sinnes, und dabei nüchtern genug um das Wirkliche, das Lebendige aus
der Flucht der Erscheinungen herauszufinden, ohne jeden Vergleich der
erste Publicist seiner Tage. Sein Buch trug in Form und Inhalt noch
das Gepräge einer Uebergangszeit, die vom literarischen Schaffen zur
politischen That aufzusteigen begann. Durch die freie Bearbeitung philo-
sophischer Briefe, die er einst mit seinem Freunde, dem Dichter Friedrich
Notter gewechselt hatte, bahnte er sich erst den Weg zu der Erkenntniß,
daß die Freiheit, nicht die Nothwendigkeit das sittliche Leben der Völker
beherrsche. Nun erst, im zweiten Theile des Buches, der ihm allein an-

*) s. o. III. 66.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 17
Paul Pfizer.

Und doch barg dieſer ſüddeutſche Liberalismus, der ſo blind für
Deutſchlands Feinde ſchwärmte, eine unverwüſtliche Kraft treuer Vater-
landsliebe. Seine Selbſtüberhebung entſprang dem Gefühle der Leere,
das der Mangel eines großartigen öffentlichen Lebens in einem geiſtreichen
Volke erzeugen mußte, ſeine lärmende Ungeduld der Sehnſucht nach na-
tionalem Ruhme. In einem Wuſte von Thorheiten und halbreifen Ein-
fällen brachte die ſüddeutſche Preſſe doch auch einige geſunde Ideen her-
vor, welche die politiſche Entwicklung der Nation förderten. Wilhelm
Schulz, jener heſſiſche Offizier, der einſt wegen ſeinen radicalen Schriften
den Kriegsdienſt hatte verlaſſen müſſen*) und mittlerweile durch ernſte
Arbeit gereift war, verſuchte in einem Buche „Deutſchlands Einheit durch
Nationalrepräſentation“ den Grundgedanken der Welcker’ſchen Motion
deutlicher auszuführen. Er zeigte ſich noch keineswegs frei von den Selbſt-
täuſchungen des jugendlichen Liberalismus, glaubte feſt an die unüberwind-
liche Macht der öffentlichen Meinung und der kleinen Landtage — falls ſie
nur ihr Steuerverweigerungsrecht rückſichtslos zur Beſeitigung böswilliger
Miniſter gebrauchten; indeſſen ſah er ſchon ein, daß ein Parlament neben
dem Bundestage keinen Platz finden könne, und verlangte darum außer dem
Reichstage auch eine feſter geordnete Centralgewalt, ſei es ein Kaiſerthum
oder eine Bundesrepublik. Oeſterreich ließ er kaum noch für einen deutſchen
Staat gelten, Preußen aber, „dies Deutſchland im Kleinen“ habe ſich
leider durch ſeine polniſche Politik augenblicklich ſo verhaßt gemacht, daß
man vorderhand nur einen conſtitutionellen Bund im Bunde bilden
könne. Alſo taſtend und zweifelnd näherte er ſich der Löſung des großen
Problems. Aehnlich, nur meiſt noch günſtiger für Preußen, ſprachen mehrere
Artikel in Rotteck’s Annalen und in den Staatsrechtlichen Beiträgen des
wackeren heſſiſchen Liberalen K. H. Hofmann.

Wie dünn und matt erklangen alle dieſe Laute unbeſtimmter Sehn-
ſucht neben den tiefen, ernſten Tönen, welche der junge Paul Pfizer in
ſeinem „Briefwechſel zweier Deutſchen“ (1831) anſchlug — der Prophet
des neuen preußiſchen Reiches deutſcher Nation, ein echter Schwabe,
ernſt, gedankenreich, voll dichteriſcher Phantaſie und philoſophiſchen Tief-
ſinnes, und dabei nüchtern genug um das Wirkliche, das Lebendige aus
der Flucht der Erſcheinungen herauszufinden, ohne jeden Vergleich der
erſte Publiciſt ſeiner Tage. Sein Buch trug in Form und Inhalt noch
das Gepräge einer Uebergangszeit, die vom literariſchen Schaffen zur
politiſchen That aufzuſteigen begann. Durch die freie Bearbeitung philo-
ſophiſcher Briefe, die er einſt mit ſeinem Freunde, dem Dichter Friedrich
Notter gewechſelt hatte, bahnte er ſich erſt den Weg zu der Erkenntniß,
daß die Freiheit, nicht die Nothwendigkeit das ſittliche Leben der Völker
beherrſche. Nun erſt, im zweiten Theile des Buches, der ihm allein an-

*) ſ. o. III. 66.
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[257/0271] Paul Pfizer. Und doch barg dieſer ſüddeutſche Liberalismus, der ſo blind für Deutſchlands Feinde ſchwärmte, eine unverwüſtliche Kraft treuer Vater- landsliebe. Seine Selbſtüberhebung entſprang dem Gefühle der Leere, das der Mangel eines großartigen öffentlichen Lebens in einem geiſtreichen Volke erzeugen mußte, ſeine lärmende Ungeduld der Sehnſucht nach na- tionalem Ruhme. In einem Wuſte von Thorheiten und halbreifen Ein- fällen brachte die ſüddeutſche Preſſe doch auch einige geſunde Ideen her- vor, welche die politiſche Entwicklung der Nation förderten. Wilhelm Schulz, jener heſſiſche Offizier, der einſt wegen ſeinen radicalen Schriften den Kriegsdienſt hatte verlaſſen müſſen *) und mittlerweile durch ernſte Arbeit gereift war, verſuchte in einem Buche „Deutſchlands Einheit durch Nationalrepräſentation“ den Grundgedanken der Welcker’ſchen Motion deutlicher auszuführen. Er zeigte ſich noch keineswegs frei von den Selbſt- täuſchungen des jugendlichen Liberalismus, glaubte feſt an die unüberwind- liche Macht der öffentlichen Meinung und der kleinen Landtage — falls ſie nur ihr Steuerverweigerungsrecht rückſichtslos zur Beſeitigung böswilliger Miniſter gebrauchten; indeſſen ſah er ſchon ein, daß ein Parlament neben dem Bundestage keinen Platz finden könne, und verlangte darum außer dem Reichstage auch eine feſter geordnete Centralgewalt, ſei es ein Kaiſerthum oder eine Bundesrepublik. Oeſterreich ließ er kaum noch für einen deutſchen Staat gelten, Preußen aber, „dies Deutſchland im Kleinen“ habe ſich leider durch ſeine polniſche Politik augenblicklich ſo verhaßt gemacht, daß man vorderhand nur einen conſtitutionellen Bund im Bunde bilden könne. Alſo taſtend und zweifelnd näherte er ſich der Löſung des großen Problems. Aehnlich, nur meiſt noch günſtiger für Preußen, ſprachen mehrere Artikel in Rotteck’s Annalen und in den Staatsrechtlichen Beiträgen des wackeren heſſiſchen Liberalen K. H. Hofmann. Wie dünn und matt erklangen alle dieſe Laute unbeſtimmter Sehn- ſucht neben den tiefen, ernſten Tönen, welche der junge Paul Pfizer in ſeinem „Briefwechſel zweier Deutſchen“ (1831) anſchlug — der Prophet des neuen preußiſchen Reiches deutſcher Nation, ein echter Schwabe, ernſt, gedankenreich, voll dichteriſcher Phantaſie und philoſophiſchen Tief- ſinnes, und dabei nüchtern genug um das Wirkliche, das Lebendige aus der Flucht der Erſcheinungen herauszufinden, ohne jeden Vergleich der erſte Publiciſt ſeiner Tage. Sein Buch trug in Form und Inhalt noch das Gepräge einer Uebergangszeit, die vom literariſchen Schaffen zur politiſchen That aufzuſteigen begann. Durch die freie Bearbeitung philo- ſophiſcher Briefe, die er einſt mit ſeinem Freunde, dem Dichter Friedrich Notter gewechſelt hatte, bahnte er ſich erſt den Weg zu der Erkenntniß, daß die Freiheit, nicht die Nothwendigkeit das ſittliche Leben der Völker beherrſche. Nun erſt, im zweiten Theile des Buches, der ihm allein an- *) ſ. o. III. 66. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 17

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/271>, abgerufen am 27.04.2024.