Fünfter Abschnitt. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
Im Strome der Geschichte scheint oft eine Welle der anderen zu gleichen, weil die neuen Gedanken des Völkerlebens nur langsam, nach vergeblichen Anläufen, unter Kämpfen die einander ähneln, den Sieg er- ringen können; und dies unterscheidet den politischen Kopf von dem Dok- trinär wie von dem gedankenlosen Praktiker, daß er durch solchen Schein der Wiederholung sich nicht täuschen läßt über den unerschöpflichen Wechsel der immer durch Menschen bestimmten Menschengeschicke. Deutschlands Zustand war seit dreizehn Jahren völlig verändert; der Liberalismus hatte an Anhang und Zuversicht, freilich auch an unlauteren und gefährlichen Kräften, erheblich zugenommen, während die Mächte des Beharrens durch den Siegeszug des constitutionellen Systems in Norddeutschland wie durch die veränderte Parteiung der europäischen Staatengesellschaft sich geschwächt sahen. Wer aber nur oberflächlich hinblickte, konnte allerdings glauben, daß der Deutsche Bund sich wieder in der gleichen Lage befinde wie zur Zeit der Karlsbader Conferenzen. Wieder wie damals hatte sich die Oppo- sition arge Blößen gegeben, wieder war die öffentliche Ordnung gefährdet, das Gefühl rathloser Besorgniß an allen kleinen Höfen lebendig, ein kräf- tiges Einschreiten der Staatsgewalten unabweisbar geboten. Begreiflich also, daß überall in der diplomatischen Welt die Frage laut ward, ob man sich nicht wieder nach der alten Karlsbader Weise Ruhe verschaffen solle durch Zwangsmaßregeln gegen die Universitäten, die Landtage, die Presse, die Vereine.
Erschreckt durch den Göttinger Aufruhr, an dem die Studenten doch nur helfend, nicht leitend theilgenommen hatten, beantragte die hannoversche Regierung schon im März 1831 den Erlaß eines neuen Bundesgesetzes gegen die Universitäten: wer jemals einer Burschenschaft angehört, sollte zwei bis vier Jahre lang von allen deutschen Universitäten entfernt bleiben und unter keinen Umständen von seinem Landesherrn begnadigt werden. Diese drakonischen Vorschläge erregten selbst am Bundestage Entrüstung und blieben vorläufig liegen, da erst Instruktionen eingeholt werden mußten. Als sodann der Streit in den Kammern zu München, Karlsruhe, Wies-
Fünfter Abſchnitt. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Im Strome der Geſchichte ſcheint oft eine Welle der anderen zu gleichen, weil die neuen Gedanken des Völkerlebens nur langſam, nach vergeblichen Anläufen, unter Kämpfen die einander ähneln, den Sieg er- ringen können; und dies unterſcheidet den politiſchen Kopf von dem Dok- trinär wie von dem gedankenloſen Praktiker, daß er durch ſolchen Schein der Wiederholung ſich nicht täuſchen läßt über den unerſchöpflichen Wechſel der immer durch Menſchen beſtimmten Menſchengeſchicke. Deutſchlands Zuſtand war ſeit dreizehn Jahren völlig verändert; der Liberalismus hatte an Anhang und Zuverſicht, freilich auch an unlauteren und gefährlichen Kräften, erheblich zugenommen, während die Mächte des Beharrens durch den Siegeszug des conſtitutionellen Syſtems in Norddeutſchland wie durch die veränderte Parteiung der europäiſchen Staatengeſellſchaft ſich geſchwächt ſahen. Wer aber nur oberflächlich hinblickte, konnte allerdings glauben, daß der Deutſche Bund ſich wieder in der gleichen Lage befinde wie zur Zeit der Karlsbader Conferenzen. Wieder wie damals hatte ſich die Oppo- ſition arge Blößen gegeben, wieder war die öffentliche Ordnung gefährdet, das Gefühl rathloſer Beſorgniß an allen kleinen Höfen lebendig, ein kräf- tiges Einſchreiten der Staatsgewalten unabweisbar geboten. Begreiflich alſo, daß überall in der diplomatiſchen Welt die Frage laut ward, ob man ſich nicht wieder nach der alten Karlsbader Weiſe Ruhe verſchaffen ſolle durch Zwangsmaßregeln gegen die Univerſitäten, die Landtage, die Preſſe, die Vereine.
Erſchreckt durch den Göttinger Aufruhr, an dem die Studenten doch nur helfend, nicht leitend theilgenommen hatten, beantragte die hannoverſche Regierung ſchon im März 1831 den Erlaß eines neuen Bundesgeſetzes gegen die Univerſitäten: wer jemals einer Burſchenſchaft angehört, ſollte zwei bis vier Jahre lang von allen deutſchen Univerſitäten entfernt bleiben und unter keinen Umſtänden von ſeinem Landesherrn begnadigt werden. Dieſe drakoniſchen Vorſchläge erregten ſelbſt am Bundestage Entrüſtung und blieben vorläufig liegen, da erſt Inſtruktionen eingeholt werden mußten. Als ſodann der Streit in den Kammern zu München, Karlsruhe, Wies-
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[[267]/0281]
Fünfter Abſchnitt.
Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Im Strome der Geſchichte ſcheint oft eine Welle der anderen zu
gleichen, weil die neuen Gedanken des Völkerlebens nur langſam, nach
vergeblichen Anläufen, unter Kämpfen die einander ähneln, den Sieg er-
ringen können; und dies unterſcheidet den politiſchen Kopf von dem Dok-
trinär wie von dem gedankenloſen Praktiker, daß er durch ſolchen Schein
der Wiederholung ſich nicht täuſchen läßt über den unerſchöpflichen Wechſel
der immer durch Menſchen beſtimmten Menſchengeſchicke. Deutſchlands
Zuſtand war ſeit dreizehn Jahren völlig verändert; der Liberalismus hatte
an Anhang und Zuverſicht, freilich auch an unlauteren und gefährlichen
Kräften, erheblich zugenommen, während die Mächte des Beharrens durch
den Siegeszug des conſtitutionellen Syſtems in Norddeutſchland wie durch
die veränderte Parteiung der europäiſchen Staatengeſellſchaft ſich geſchwächt
ſahen. Wer aber nur oberflächlich hinblickte, konnte allerdings glauben,
daß der Deutſche Bund ſich wieder in der gleichen Lage befinde wie zur
Zeit der Karlsbader Conferenzen. Wieder wie damals hatte ſich die Oppo-
ſition arge Blößen gegeben, wieder war die öffentliche Ordnung gefährdet,
das Gefühl rathloſer Beſorgniß an allen kleinen Höfen lebendig, ein kräf-
tiges Einſchreiten der Staatsgewalten unabweisbar geboten. Begreiflich
alſo, daß überall in der diplomatiſchen Welt die Frage laut ward, ob
man ſich nicht wieder nach der alten Karlsbader Weiſe Ruhe verſchaffen
ſolle durch Zwangsmaßregeln gegen die Univerſitäten, die Landtage, die
Preſſe, die Vereine.
Erſchreckt durch den Göttinger Aufruhr, an dem die Studenten doch
nur helfend, nicht leitend theilgenommen hatten, beantragte die hannoverſche
Regierung ſchon im März 1831 den Erlaß eines neuen Bundesgeſetzes
gegen die Univerſitäten: wer jemals einer Burſchenſchaft angehört, ſollte
zwei bis vier Jahre lang von allen deutſchen Univerſitäten entfernt bleiben
und unter keinen Umſtänden von ſeinem Landesherrn begnadigt werden.
Dieſe drakoniſchen Vorſchläge erregten ſelbſt am Bundestage Entrüſtung
und blieben vorläufig liegen, da erſt Inſtruktionen eingeholt werden mußten.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. [267]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/281>, abgerufen am 22.12.2024.
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