Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Heerwesen und Verwaltung.
hehlten nicht ihre Verachtung gegen den Schulmeister Scharnhorst. Da
nur vier oder fünf Rekruten jährlich in die Compagnie eingestellt wurden,
so war die schwere und dankbare Aufgabe der militärischen Volkserziehung,
die für die Linienoffiziere der modernen Volksheere den besten Lebens-
inhalt bildet, für jene Zeit noch gar nicht vorhanden; die ewige Wieder-
holung derselben Paradekünste mit denselben alten Berufssoldaten wurde
für feurige Naturen unerträglich. Die schüchternen Berliner Bürger
entsetzten sich, und der König griff mit strengen Strafen ein, da die
jungen Offiziere des verrufenen Regiments der Gensdarmes in lärmen-
dem Maskenzuge die Straßen durchrasten und der baumlange Karl Nostitz,
als Katharina von Bora verkleidet, hinter dem Doctor Luther die Hetz-
peitsche schwenkte; in solchen rohen Späßen tobte sich das heiße jugend-
liche Blut aus, das in der Langeweile des Kamaschendienstes nichts mit
sich anzufangen wußte. Der ganze Jammer dieses Friedensheeres ver-
körpert sich in dem tragischen Schicksale des Prinzen Louis Ferdinand;
ein trauriger Anblick, wie der freie und kühne, zu allem Herrlichen ge-
borene junge Held in wildem Genuß und tollen Abenteuern seine Kraft
vergeudete, weil er ein leeres Dasein nicht zu tragen vermochte. Mehr
und mehr gerieth der eigentliche Zweck des Heerwesens in Vergessenheit.
Der Orden pour le merite, vordem nur auf dem Schlachtfelde verliehen,
wurde jetzt schon zum Lohne für die Heldenthaten des friedlichen Manöver-
feldes. Pedantische Kleinmeisterei überwachte die Länge der Zöpfe, die
Form der Heubündel, das Geklirr der präsentirten Musketen; aber die
Geschütze waren der Ersparniß halber ohne Bespannung. Eine majestätische
Langsamkeit schien der fridericianischen Armee allein noch würdig zu sein;
es kam vor, daß ein Artillerieregiment für den Marsch von Berlin nach
Breslau vier Wochen brauchte. Der gemeine Soldat, der nebenbei mit
Weib und Kind ein bürgerliches Gewerbe trieb, dachte ebenso friedfertig
wie die Mehrzahl der ergrauten Capitäne, denen die Beurlaubungen der
Friedensjahre einträgliche Ersparnisse für den eigenen Beutel brachten.
Es schien, als sollte der preußische Degen nie mehr aus der Scheide
fahren. Wörtlich erfüllte sich die Weissagung Friedrichs, der einst "die
Lieblingskinder des Mars" gewarnt hatte, sie möchten ihre männlichen
Sitten nicht verderben lassen durch Trägheit, Hochmuth, Weichlichkeit.

Ebenso wenig gelang eine durchgreifende Reform der Verwaltung.
Der König getraute sich nicht, nach der Weise seines Großoheims Alles
selber zu entscheiden, schon weil sein Billigkeitsgefühl zurückschrak vor dem
harten, von solcher Allmacht unzertrennlichen fridericianischen Grundsatze,
daß der Monarch niemals einen Irrthum eingestehen dürfe. Er wies
daher alle Bittschriften wo irgend thunlich an die zuständigen Behörden.
Dadurch wuchs die ohnedies erdrückende Geschäftslast der Beamten. Seit
die neuen Provinzen in Polen und Franken endlich dem Generaldirectorium
unterstellt wurden, zeigte sich die einst in einfacheren Verhältnissen so

Heerweſen und Verwaltung.
hehlten nicht ihre Verachtung gegen den Schulmeiſter Scharnhorſt. Da
nur vier oder fünf Rekruten jährlich in die Compagnie eingeſtellt wurden,
ſo war die ſchwere und dankbare Aufgabe der militäriſchen Volkserziehung,
die für die Linienoffiziere der modernen Volksheere den beſten Lebens-
inhalt bildet, für jene Zeit noch gar nicht vorhanden; die ewige Wieder-
holung derſelben Paradekünſte mit denſelben alten Berufsſoldaten wurde
für feurige Naturen unerträglich. Die ſchüchternen Berliner Bürger
entſetzten ſich, und der König griff mit ſtrengen Strafen ein, da die
jungen Offiziere des verrufenen Regiments der Gensdarmes in lärmen-
dem Maskenzuge die Straßen durchraſten und der baumlange Karl Noſtitz,
als Katharina von Bora verkleidet, hinter dem Doctor Luther die Hetz-
peitſche ſchwenkte; in ſolchen rohen Späßen tobte ſich das heiße jugend-
liche Blut aus, das in der Langeweile des Kamaſchendienſtes nichts mit
ſich anzufangen wußte. Der ganze Jammer dieſes Friedensheeres ver-
körpert ſich in dem tragiſchen Schickſale des Prinzen Louis Ferdinand;
ein trauriger Anblick, wie der freie und kühne, zu allem Herrlichen ge-
borene junge Held in wildem Genuß und tollen Abenteuern ſeine Kraft
vergeudete, weil er ein leeres Daſein nicht zu tragen vermochte. Mehr
und mehr gerieth der eigentliche Zweck des Heerweſens in Vergeſſenheit.
Der Orden pour le mérite, vordem nur auf dem Schlachtfelde verliehen,
wurde jetzt ſchon zum Lohne für die Heldenthaten des friedlichen Manöver-
feldes. Pedantiſche Kleinmeiſterei überwachte die Länge der Zöpfe, die
Form der Heubündel, das Geklirr der präſentirten Musketen; aber die
Geſchütze waren der Erſparniß halber ohne Beſpannung. Eine majeſtätiſche
Langſamkeit ſchien der fridericianiſchen Armee allein noch würdig zu ſein;
es kam vor, daß ein Artillerieregiment für den Marſch von Berlin nach
Breslau vier Wochen brauchte. Der gemeine Soldat, der nebenbei mit
Weib und Kind ein bürgerliches Gewerbe trieb, dachte ebenſo friedfertig
wie die Mehrzahl der ergrauten Capitäne, denen die Beurlaubungen der
Friedensjahre einträgliche Erſparniſſe für den eigenen Beutel brachten.
Es ſchien, als ſollte der preußiſche Degen nie mehr aus der Scheide
fahren. Wörtlich erfüllte ſich die Weiſſagung Friedrichs, der einſt „die
Lieblingskinder des Mars“ gewarnt hatte, ſie möchten ihre männlichen
Sitten nicht verderben laſſen durch Trägheit, Hochmuth, Weichlichkeit.

Ebenſo wenig gelang eine durchgreifende Reform der Verwaltung.
Der König getraute ſich nicht, nach der Weiſe ſeines Großoheims Alles
ſelber zu entſcheiden, ſchon weil ſein Billigkeitsgefühl zurückſchrak vor dem
harten, von ſolcher Allmacht unzertrennlichen fridericianiſchen Grundſatze,
daß der Monarch niemals einen Irrthum eingeſtehen dürfe. Er wies
daher alle Bittſchriften wo irgend thunlich an die zuſtändigen Behörden.
Dadurch wuchs die ohnedies erdrückende Geſchäftslaſt der Beamten. Seit
die neuen Provinzen in Polen und Franken endlich dem Generaldirectorium
unterſtellt wurden, zeigte ſich die einſt in einfacheren Verhältniſſen ſo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0171" n="155"/><fw place="top" type="header">Heerwe&#x017F;en und Verwaltung.</fw><lb/>
hehlten nicht ihre Verachtung gegen den Schulmei&#x017F;ter Scharnhor&#x017F;t. Da<lb/>
nur vier oder fünf Rekruten jährlich in die Compagnie einge&#x017F;tellt wurden,<lb/>
&#x017F;o war die &#x017F;chwere und dankbare Aufgabe der militäri&#x017F;chen Volkserziehung,<lb/>
die für die Linienoffiziere der modernen Volksheere den be&#x017F;ten Lebens-<lb/>
inhalt bildet, für jene Zeit noch gar nicht vorhanden; die ewige Wieder-<lb/>
holung der&#x017F;elben Paradekün&#x017F;te mit den&#x017F;elben alten Berufs&#x017F;oldaten wurde<lb/>
für feurige Naturen unerträglich. Die &#x017F;chüchternen Berliner Bürger<lb/>
ent&#x017F;etzten &#x017F;ich, und der König griff mit &#x017F;trengen Strafen ein, da die<lb/>
jungen Offiziere des verrufenen Regiments der Gensdarmes in lärmen-<lb/>
dem Maskenzuge die Straßen durchra&#x017F;ten und der baumlange Karl No&#x017F;titz,<lb/>
als Katharina von Bora verkleidet, hinter dem Doctor Luther die Hetz-<lb/>
peit&#x017F;che &#x017F;chwenkte; in &#x017F;olchen rohen Späßen tobte &#x017F;ich das heiße jugend-<lb/>
liche Blut aus, das in der Langeweile des Kama&#x017F;chendien&#x017F;tes nichts mit<lb/>
&#x017F;ich anzufangen wußte. Der ganze Jammer die&#x017F;es Friedensheeres ver-<lb/>
körpert &#x017F;ich in dem tragi&#x017F;chen Schick&#x017F;ale des Prinzen Louis Ferdinand;<lb/>
ein trauriger Anblick, wie der freie und kühne, zu allem Herrlichen ge-<lb/>
borene junge Held in wildem Genuß und tollen Abenteuern &#x017F;eine Kraft<lb/>
vergeudete, weil er ein leeres Da&#x017F;ein nicht zu tragen vermochte. Mehr<lb/>
und mehr gerieth der eigentliche Zweck des Heerwe&#x017F;ens in Verge&#x017F;&#x017F;enheit.<lb/>
Der Orden <hi rendition="#aq">pour le mérite,</hi> vordem nur auf dem Schlachtfelde verliehen,<lb/>
wurde jetzt &#x017F;chon zum Lohne für die Heldenthaten des friedlichen Manöver-<lb/>
feldes. Pedanti&#x017F;che Kleinmei&#x017F;terei überwachte die Länge der Zöpfe, die<lb/>
Form der Heubündel, das Geklirr der prä&#x017F;entirten Musketen; aber die<lb/>
Ge&#x017F;chütze waren der Er&#x017F;parniß halber ohne Be&#x017F;pannung. Eine maje&#x017F;täti&#x017F;che<lb/>
Lang&#x017F;amkeit &#x017F;chien der fridericiani&#x017F;chen Armee allein noch würdig zu &#x017F;ein;<lb/>
es kam vor, daß ein Artillerieregiment für den Mar&#x017F;ch von Berlin nach<lb/>
Breslau vier Wochen brauchte. Der gemeine Soldat, der nebenbei mit<lb/>
Weib und Kind ein bürgerliches Gewerbe trieb, dachte eben&#x017F;o friedfertig<lb/>
wie die Mehrzahl der ergrauten Capitäne, denen die Beurlaubungen der<lb/>
Friedensjahre einträgliche Er&#x017F;parni&#x017F;&#x017F;e für den eigenen Beutel brachten.<lb/>
Es &#x017F;chien, als &#x017F;ollte der preußi&#x017F;che Degen nie mehr aus der Scheide<lb/>
fahren. Wörtlich erfüllte &#x017F;ich die Wei&#x017F;&#x017F;agung Friedrichs, der ein&#x017F;t &#x201E;die<lb/>
Lieblingskinder des Mars&#x201C; gewarnt hatte, &#x017F;ie möchten ihre männlichen<lb/>
Sitten nicht verderben la&#x017F;&#x017F;en durch Trägheit, Hochmuth, Weichlichkeit.</p><lb/>
            <p>Eben&#x017F;o wenig gelang eine durchgreifende Reform der Verwaltung.<lb/>
Der König getraute &#x017F;ich nicht, nach der Wei&#x017F;e &#x017F;eines Großoheims Alles<lb/>
&#x017F;elber zu ent&#x017F;cheiden, &#x017F;chon weil &#x017F;ein Billigkeitsgefühl zurück&#x017F;chrak vor dem<lb/>
harten, von &#x017F;olcher Allmacht unzertrennlichen fridericiani&#x017F;chen Grund&#x017F;atze,<lb/>
daß der Monarch niemals einen Irrthum einge&#x017F;tehen dürfe. Er wies<lb/>
daher alle Bitt&#x017F;chriften wo irgend thunlich an die zu&#x017F;tändigen Behörden.<lb/>
Dadurch wuchs die ohnedies erdrückende Ge&#x017F;chäftsla&#x017F;t der Beamten. Seit<lb/>
die neuen Provinzen in Polen und Franken endlich dem Generaldirectorium<lb/>
unter&#x017F;tellt wurden, zeigte &#x017F;ich die ein&#x017F;t in einfacheren Verhältni&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0171] Heerweſen und Verwaltung. hehlten nicht ihre Verachtung gegen den Schulmeiſter Scharnhorſt. Da nur vier oder fünf Rekruten jährlich in die Compagnie eingeſtellt wurden, ſo war die ſchwere und dankbare Aufgabe der militäriſchen Volkserziehung, die für die Linienoffiziere der modernen Volksheere den beſten Lebens- inhalt bildet, für jene Zeit noch gar nicht vorhanden; die ewige Wieder- holung derſelben Paradekünſte mit denſelben alten Berufsſoldaten wurde für feurige Naturen unerträglich. Die ſchüchternen Berliner Bürger entſetzten ſich, und der König griff mit ſtrengen Strafen ein, da die jungen Offiziere des verrufenen Regiments der Gensdarmes in lärmen- dem Maskenzuge die Straßen durchraſten und der baumlange Karl Noſtitz, als Katharina von Bora verkleidet, hinter dem Doctor Luther die Hetz- peitſche ſchwenkte; in ſolchen rohen Späßen tobte ſich das heiße jugend- liche Blut aus, das in der Langeweile des Kamaſchendienſtes nichts mit ſich anzufangen wußte. Der ganze Jammer dieſes Friedensheeres ver- körpert ſich in dem tragiſchen Schickſale des Prinzen Louis Ferdinand; ein trauriger Anblick, wie der freie und kühne, zu allem Herrlichen ge- borene junge Held in wildem Genuß und tollen Abenteuern ſeine Kraft vergeudete, weil er ein leeres Daſein nicht zu tragen vermochte. Mehr und mehr gerieth der eigentliche Zweck des Heerweſens in Vergeſſenheit. Der Orden pour le mérite, vordem nur auf dem Schlachtfelde verliehen, wurde jetzt ſchon zum Lohne für die Heldenthaten des friedlichen Manöver- feldes. Pedantiſche Kleinmeiſterei überwachte die Länge der Zöpfe, die Form der Heubündel, das Geklirr der präſentirten Musketen; aber die Geſchütze waren der Erſparniß halber ohne Beſpannung. Eine majeſtätiſche Langſamkeit ſchien der fridericianiſchen Armee allein noch würdig zu ſein; es kam vor, daß ein Artillerieregiment für den Marſch von Berlin nach Breslau vier Wochen brauchte. Der gemeine Soldat, der nebenbei mit Weib und Kind ein bürgerliches Gewerbe trieb, dachte ebenſo friedfertig wie die Mehrzahl der ergrauten Capitäne, denen die Beurlaubungen der Friedensjahre einträgliche Erſparniſſe für den eigenen Beutel brachten. Es ſchien, als ſollte der preußiſche Degen nie mehr aus der Scheide fahren. Wörtlich erfüllte ſich die Weiſſagung Friedrichs, der einſt „die Lieblingskinder des Mars“ gewarnt hatte, ſie möchten ihre männlichen Sitten nicht verderben laſſen durch Trägheit, Hochmuth, Weichlichkeit. Ebenſo wenig gelang eine durchgreifende Reform der Verwaltung. Der König getraute ſich nicht, nach der Weiſe ſeines Großoheims Alles ſelber zu entſcheiden, ſchon weil ſein Billigkeitsgefühl zurückſchrak vor dem harten, von ſolcher Allmacht unzertrennlichen fridericianiſchen Grundſatze, daß der Monarch niemals einen Irrthum eingeſtehen dürfe. Er wies daher alle Bittſchriften wo irgend thunlich an die zuſtändigen Behörden. Dadurch wuchs die ohnedies erdrückende Geſchäftslaſt der Beamten. Seit die neuen Provinzen in Polen und Franken endlich dem Generaldirectorium unterſtellt wurden, zeigte ſich die einſt in einfacheren Verhältniſſen ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/171
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/171>, abgerufen am 26.04.2024.