Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite
ZWEITER ABSCHNITT.
THEORIE DER GESELLSCHAFT.

§ 19.

Die Theorie der Gesellschaft construirt einen Kreis
von Menschen, welche, wie in Gemeinschaft, auf fried-
liche Art neben einander leben und wohnen, aber nicht
wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind, und
während dort verbunden bleibend trotz aller Trennungen,
hier getrennt bleiben trotz aller Verbundenheiten. Folglich
finden hier keine Thätigkeiten statt, welche aus einer a priori
und nothwendiger Weise vorhandenen Einheit abgeleitet
werden können, welche daher auch insofern, als sie durch
das Individuum geschehen, den Willen und Geist dieser
Einheit in ihm ausdrücken, mithin so sehr für die mit ihm
Verbundenen als für es selber erfolgen. Sondern hier ist
ein Jeder für sich allein, und im Zustande der Spannung
gegen alle Uebrigen. Die Gebiete ihrer Thätigkeit und
ihrer Macht sind mit Schärfe gegen einander abgegrenzt, so
dass Jeder dem Anderen Berührungen und Eintritt verwehrt,
als welche gleich Feindseligkeiten geachtet werden. Solche
negative Haltung ist das normale und immer zu Grunde
liegende Verhältniss dieser Macht-Subjecte gegen einander,
und bezeichnet die Gesellschaft im Zustande der Ruhe.

ZWEITER ABSCHNITT.
THEORIE DER GESELLSCHAFT.

§ 19.

Die Theorie der Gesellschaft construirt einen Kreis
von Menschen, welche, wie in Gemeinschaft, auf fried-
liche Art neben einander leben und wohnen, aber nicht
wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind, und
während dort verbunden bleibend trotz aller Trennungen,
hier getrennt bleiben trotz aller Verbundenheiten. Folglich
finden hier keine Thätigkeiten statt, welche aus einer a priori
und nothwendiger Weise vorhandenen Einheit abgeleitet
werden können, welche daher auch insofern, als sie durch
das Individuum geschehen, den Willen und Geist dieser
Einheit in ihm ausdrücken, mithin so sehr für die mit ihm
Verbundenen als für es selber erfolgen. Sondern hier ist
ein Jeder für sich allein, und im Zustande der Spannung
gegen alle Uebrigen. Die Gebiete ihrer Thätigkeit und
ihrer Macht sind mit Schärfe gegen einander abgegrenzt, so
dass Jeder dem Anderen Berührungen und Eintritt verwehrt,
als welche gleich Feindseligkeiten geachtet werden. Solche
negative Haltung ist das normale und immer zu Grunde
liegende Verhältniss dieser Macht-Subjecte gegen einander,
und bezeichnet die Gesellschaft im Zustande der Ruhe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0082" n="[46]"/>
        <div n="2">
          <head>ZWEITER ABSCHNITT.<lb/><hi rendition="#b">THEORIE DER GESELLSCHAFT.</hi></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head>§ 19.</head><lb/>
            <p>Die Theorie der Gesellschaft construirt einen Kreis<lb/>
von Menschen, welche, wie in Gemeinschaft, auf fried-<lb/>
liche Art neben einander leben und wohnen, aber nicht<lb/>
wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind, und<lb/>
während dort verbunden bleibend trotz aller Trennungen,<lb/>
hier getrennt bleiben trotz aller Verbundenheiten. Folglich<lb/>
finden hier keine Thätigkeiten statt, welche aus einer a priori<lb/>
und nothwendiger Weise vorhandenen Einheit abgeleitet<lb/>
werden können, welche daher auch insofern, als sie durch<lb/>
das Individuum geschehen, den Willen und Geist dieser<lb/>
Einheit in ihm ausdrücken, mithin so sehr <hi rendition="#g">für</hi> die mit ihm<lb/>
Verbundenen als für es selber erfolgen. Sondern hier ist<lb/>
ein Jeder für sich allein, und im Zustande der Spannung<lb/>
gegen alle Uebrigen. Die Gebiete ihrer Thätigkeit und<lb/>
ihrer Macht sind mit Schärfe gegen einander abgegrenzt, so<lb/>
dass Jeder dem Anderen Berührungen und Eintritt verwehrt,<lb/>
als welche gleich Feindseligkeiten geachtet werden. Solche<lb/><hi rendition="#g">negative</hi> Haltung ist das normale und immer zu Grunde<lb/>
liegende Verhältniss dieser Macht-Subjecte gegen einander,<lb/>
und bezeichnet die Gesellschaft im Zustande der Ruhe.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[46]/0082] ZWEITER ABSCHNITT. THEORIE DER GESELLSCHAFT. § 19. Die Theorie der Gesellschaft construirt einen Kreis von Menschen, welche, wie in Gemeinschaft, auf fried- liche Art neben einander leben und wohnen, aber nicht wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind, und während dort verbunden bleibend trotz aller Trennungen, hier getrennt bleiben trotz aller Verbundenheiten. Folglich finden hier keine Thätigkeiten statt, welche aus einer a priori und nothwendiger Weise vorhandenen Einheit abgeleitet werden können, welche daher auch insofern, als sie durch das Individuum geschehen, den Willen und Geist dieser Einheit in ihm ausdrücken, mithin so sehr für die mit ihm Verbundenen als für es selber erfolgen. Sondern hier ist ein Jeder für sich allein, und im Zustande der Spannung gegen alle Uebrigen. Die Gebiete ihrer Thätigkeit und ihrer Macht sind mit Schärfe gegen einander abgegrenzt, so dass Jeder dem Anderen Berührungen und Eintritt verwehrt, als welche gleich Feindseligkeiten geachtet werden. Solche negative Haltung ist das normale und immer zu Grunde liegende Verhältniss dieser Macht-Subjecte gegen einander, und bezeichnet die Gesellschaft im Zustande der Ruhe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/82
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. [46]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/82>, abgerufen am 20.12.2024.