Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.DRITTER ABSCHNITT. FORMEN DES VERBUNDENEN WILLENS -- GEMEINWESEN UND STAAT. § 21. Wenn nun die gegenwärtige Theorie den Begriff des DRITTER ABSCHNITT. FORMEN DES VERBUNDENEN WILLENS — GEMEINWESEN UND STAAT. § 21. Wenn nun die gegenwärtige Theorie den Begriff des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0283" n="[247]"/> <div n="2"> <head>DRITTER ABSCHNITT.<lb/><hi rendition="#b">FORMEN DES VERBUNDENEN WILLENS —<lb/> GEMEINWESEN UND STAAT.</hi></head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="3"> <head>§ 21.</head><lb/> <p>Wenn nun die gegenwärtige Theorie den Begriff des<lb/> natürlichen Rechtes in einem zwiefachen Sinne festhalten<lb/> will, so ist darin die Behauptung enthalten, dass Recht so-<lb/> wohl als gemeinsamer Wesenwille, wie als gemeinsame<lb/> Willkür verstanden werden kann. Die Wurzel des indivi-<lb/> dualen Wesenwillens aber wurde im vegetativen Leben ge-<lb/> funden, die der individualen Willkür ist ihre allgemeine<lb/> Möglichkeit als Vereinigung zweier Gedanken von gleichem<lb/> und entgegengesetztem Lustwerth. So ist auch die Wurzel<lb/> des gemeinschaftlichen Willens im vegetativen Leben ver-<lb/> borgen; denn das Gattungs- und Familienwesen ist vege-<lb/> tatives Leben im sociologischen Sinne: als die substanzielle<lb/> Basis menschlichen Zusammenlebens überhaupt. Die Wurzel<lb/> des gesellschaftlichen Willens ist das Zusammentreffen indi-<lb/> vidueller Willküren, welche in einem Punkte des Tausches,<lb/> der für beide vernünftig oder richtig ist, sich schneiden.<lb/> Wie aber jedes Verständniss seine Abstammung aus einem<lb/> Allgemeineren hat, das wir als Eintracht bezeichnet haben,<lb/> so wurde gelehrt, dass die vereinzelte sociale Willkür den<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[247]/0283]
DRITTER ABSCHNITT.
FORMEN DES VERBUNDENEN WILLENS —
GEMEINWESEN UND STAAT.
§ 21.
Wenn nun die gegenwärtige Theorie den Begriff des
natürlichen Rechtes in einem zwiefachen Sinne festhalten
will, so ist darin die Behauptung enthalten, dass Recht so-
wohl als gemeinsamer Wesenwille, wie als gemeinsame
Willkür verstanden werden kann. Die Wurzel des indivi-
dualen Wesenwillens aber wurde im vegetativen Leben ge-
funden, die der individualen Willkür ist ihre allgemeine
Möglichkeit als Vereinigung zweier Gedanken von gleichem
und entgegengesetztem Lustwerth. So ist auch die Wurzel
des gemeinschaftlichen Willens im vegetativen Leben ver-
borgen; denn das Gattungs- und Familienwesen ist vege-
tatives Leben im sociologischen Sinne: als die substanzielle
Basis menschlichen Zusammenlebens überhaupt. Die Wurzel
des gesellschaftlichen Willens ist das Zusammentreffen indi-
vidueller Willküren, welche in einem Punkte des Tausches,
der für beide vernünftig oder richtig ist, sich schneiden.
Wie aber jedes Verständniss seine Abstammung aus einem
Allgemeineren hat, das wir als Eintracht bezeichnet haben,
so wurde gelehrt, dass die vereinzelte sociale Willkür den
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Zitationshilfe: | Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. [247]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/283>, abgerufen am 22.02.2025. |