Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

Triebe und Begierden dasjenige in ihm sind, was eigentlich
und im Grunde danach verlangt. So sind dieses die Ver-
gnügungen der unteren "Seelentheile", der grossen Masse;
jenes diejenigen der oberen Theile, der Wenigen, Erlesenen,
Vornehmen. Man mag ein sehr ausgeprägtes willkürliches
Subject sein, auch in mentaler Beziehung, und doch nur
von gemeinem Glück und nichts von den Genüssen des
Denkens wissen; so dass es einem Solchen nicht einfallen
kann, nach dergleichen zu streben -- ausser um anderer,
ihm wahrerer Zwecke willen. Wiederum ist Mancher, der
das gemeine Glück gering achtet, aber um das, was ihm
begehrenswerth scheinet, jegliches Mittel sich recht sein
lässt. Und doch kommen Alle darin überein, dass sie die
Mittel haben wollen oder die Macht, welche ihnen die Sicher-
heit darstellt, durch Anwendung soviel von ihren Genüssen
als jedesmal beliebt, zu erwerben. Daher hat Hobbes
recht, wenn er "als eine allgemeine Neigung der Menschheit
das beständige und rastlose Begehren von Macht über
Macht
, welches nur mit dem Tode auf hört", bezeichnet. "Und
die Ursache davon", sagt er, "ist nicht immer, dass einer
hofft auf ein intensiveres Vergnügen, als er schon erreicht
hat, oder dass er nicht zufrieden sein kann mit einer
mässigen Macht; sondern weil er nicht die Macht und Mittel
zum Wohlleben, welche er zur Verfügung hat, sichern
kann, ohne die Erwerbung von mehr." (Leviath ch. XI.)
Eben darum ist solches Begehren fast gleichen Inhaltes mit
dem Streben nach Geld; da solches -- in einem bestimmten
socialen Zustande -- die Macht über alle Güter und Genüsse,
welche es für sich einzusetzen vermag, ist und bedeutet:
das allgemeine Gut, der abstracte Genuss. -- Dennoch
aber sind die wirklichen Ziele so etwa verschieden, wie sie
nunmehr durch die Arten der Bestrebungen bezeichnet
werden sollen. Im Allgemeinen und an erster Stelle setze
ich neben einander

a) Eigennutz, aa) Eitelkeit.

Eigennutz schreitet von den allgemeinen groben und
"sinnlichen" Gegenständen -- welche in sich eine vielfache
Ausbildung erfahren -- zu besonderen, raffinirten und in-

Triebe und Begierden dasjenige in ihm sind, was eigentlich
und im Grunde danach verlangt. So sind dieses die Ver-
gnügungen der unteren »Seelentheile«, der grossen Masse;
jenes diejenigen der oberen Theile, der Wenigen, Erlesenen,
Vornehmen. Man mag ein sehr ausgeprägtes willkürliches
Subject sein, auch in mentaler Beziehung, und doch nur
von gemeinem Glück und nichts von den Genüssen des
Denkens wissen; so dass es einem Solchen nicht einfallen
kann, nach dergleichen zu streben — ausser um anderer,
ihm wahrerer Zwecke willen. Wiederum ist Mancher, der
das gemeine Glück gering achtet, aber um das, was ihm
begehrenswerth scheinet, jegliches Mittel sich recht sein
lässt. Und doch kommen Alle darin überein, dass sie die
Mittel haben wollen oder die Macht, welche ihnen die Sicher-
heit darstellt, durch Anwendung soviel von ihren Genüssen
als jedesmal beliebt, zu erwerben. Daher hat Hobbes
recht, wenn er »als eine allgemeine Neigung der Menschheit
das beständige und rastlose Begehren von Macht über
Macht
, welches nur mit dem Tode auf hört«, bezeichnet. »Und
die Ursache davon«, sagt er, »ist nicht immer, dass einer
hofft auf ein intensiveres Vergnügen, als er schon erreicht
hat, oder dass er nicht zufrieden sein kann mit einer
mässigen Macht; sondern weil er nicht die Macht und Mittel
zum Wohlleben, welche er zur Verfügung hat, sichern
kann, ohne die Erwerbung von mehr.« (Leviath ch. XI.)
Eben darum ist solches Begehren fast gleichen Inhaltes mit
dem Streben nach Geld; da solches — in einem bestimmten
socialen Zustande — die Macht über alle Güter und Genüsse,
welche es für sich einzusetzen vermag, ist und bedeutet:
das allgemeine Gut, der abstracte Genuss. — Dennoch
aber sind die wirklichen Ziele so etwa verschieden, wie sie
nunmehr durch die Arten der Bestrebungen bezeichnet
werden sollen. Im Allgemeinen und an erster Stelle setze
ich neben einander

a) Eigennutz, aa) Eitelkeit.

Eigennutz schreitet von den allgemeinen groben und
»sinnlichen« Gegenständen — welche in sich eine vielfache
Ausbildung erfahren — zu besonderen, raffinirten und in-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0168" n="132"/>
Triebe und Begierden dasjenige in ihm sind, was eigentlich<lb/>
und im Grunde danach verlangt. So sind dieses die Ver-<lb/>
gnügungen der unteren »Seelentheile«, der grossen Masse;<lb/>
jenes diejenigen der oberen Theile, der Wenigen, Erlesenen,<lb/>
Vornehmen. Man mag ein sehr ausgeprägtes willkürliches<lb/>
Subject sein, auch in mentaler Beziehung, und doch nur<lb/>
von gemeinem Glück und nichts von den Genüssen des<lb/>
Denkens wissen; so dass es einem Solchen nicht einfallen<lb/>
kann, nach dergleichen zu streben &#x2014; ausser um anderer,<lb/>
ihm wahrerer Zwecke willen. Wiederum ist Mancher, der<lb/>
das gemeine Glück gering achtet, aber um das, was ihm<lb/>
begehrenswerth scheinet, jegliches Mittel sich recht sein<lb/>
lässt. Und doch kommen Alle darin überein, dass sie die<lb/>
Mittel haben wollen oder die Macht, welche ihnen die Sicher-<lb/>
heit darstellt, durch Anwendung soviel von ihren Genüssen<lb/>
als jedesmal beliebt, zu erwerben. Daher hat <hi rendition="#k">Hobbes</hi><lb/>
recht, wenn er »als eine allgemeine Neigung der Menschheit<lb/>
das beständige und rastlose Begehren von <hi rendition="#g">Macht über<lb/>
Macht</hi>, welches nur mit dem Tode auf hört«, bezeichnet. »Und<lb/>
die Ursache davon«, sagt er, »ist nicht immer, dass einer<lb/>
hofft auf ein intensiveres Vergnügen, als er schon erreicht<lb/>
hat, oder dass er nicht zufrieden sein kann mit einer<lb/>
mässigen Macht; sondern weil er nicht die Macht und Mittel<lb/>
zum Wohlleben, welche er zur Verfügung <hi rendition="#g">hat</hi>, sichern<lb/>
kann, ohne die Erwerbung von mehr.« <hi rendition="#i">(Leviath ch. XI.)</hi><lb/>
Eben darum ist solches Begehren fast gleichen Inhaltes mit<lb/>
dem Streben nach <hi rendition="#g">Geld</hi>; da solches &#x2014; in einem bestimmten<lb/>
socialen Zustande &#x2014; die Macht über alle Güter und Genüsse,<lb/>
welche es für sich einzusetzen vermag, ist und bedeutet:<lb/>
das allgemeine Gut, der abstracte Genuss. &#x2014; Dennoch<lb/>
aber sind die wirklichen Ziele so etwa verschieden, wie sie<lb/>
nunmehr durch die Arten der Bestrebungen bezeichnet<lb/>
werden sollen. Im Allgemeinen und an erster Stelle setze<lb/>
ich neben einander</p><lb/>
            <div n="4">
              <head>a) Eigennutz, aa) Eitelkeit.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Eigennutz</hi> schreitet von den allgemeinen groben und<lb/>
»sinnlichen« Gegenständen &#x2014; welche in sich eine vielfache<lb/>
Ausbildung erfahren &#x2014; zu besonderen, raffinirten und in-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0168] Triebe und Begierden dasjenige in ihm sind, was eigentlich und im Grunde danach verlangt. So sind dieses die Ver- gnügungen der unteren »Seelentheile«, der grossen Masse; jenes diejenigen der oberen Theile, der Wenigen, Erlesenen, Vornehmen. Man mag ein sehr ausgeprägtes willkürliches Subject sein, auch in mentaler Beziehung, und doch nur von gemeinem Glück und nichts von den Genüssen des Denkens wissen; so dass es einem Solchen nicht einfallen kann, nach dergleichen zu streben — ausser um anderer, ihm wahrerer Zwecke willen. Wiederum ist Mancher, der das gemeine Glück gering achtet, aber um das, was ihm begehrenswerth scheinet, jegliches Mittel sich recht sein lässt. Und doch kommen Alle darin überein, dass sie die Mittel haben wollen oder die Macht, welche ihnen die Sicher- heit darstellt, durch Anwendung soviel von ihren Genüssen als jedesmal beliebt, zu erwerben. Daher hat Hobbes recht, wenn er »als eine allgemeine Neigung der Menschheit das beständige und rastlose Begehren von Macht über Macht, welches nur mit dem Tode auf hört«, bezeichnet. »Und die Ursache davon«, sagt er, »ist nicht immer, dass einer hofft auf ein intensiveres Vergnügen, als er schon erreicht hat, oder dass er nicht zufrieden sein kann mit einer mässigen Macht; sondern weil er nicht die Macht und Mittel zum Wohlleben, welche er zur Verfügung hat, sichern kann, ohne die Erwerbung von mehr.« (Leviath ch. XI.) Eben darum ist solches Begehren fast gleichen Inhaltes mit dem Streben nach Geld; da solches — in einem bestimmten socialen Zustande — die Macht über alle Güter und Genüsse, welche es für sich einzusetzen vermag, ist und bedeutet: das allgemeine Gut, der abstracte Genuss. — Dennoch aber sind die wirklichen Ziele so etwa verschieden, wie sie nunmehr durch die Arten der Bestrebungen bezeichnet werden sollen. Im Allgemeinen und an erster Stelle setze ich neben einander a) Eigennutz, aa) Eitelkeit. Eigennutz schreitet von den allgemeinen groben und »sinnlichen« Gegenständen — welche in sich eine vielfache Ausbildung erfahren — zu besonderen, raffinirten und in-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/168
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/168>, abgerufen am 20.12.2024.