Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

auf sich vereinend, wofür das Leibeigenthum zunächst als
passende Form erscheinen mag. Endlich die freie kapita-
listische Gutswirthschaft mit eigenen Geräthen und Ma-
schinen, durch freie, wechselnde, in Taglohn bezahlte Ar-
beiter, die bewusste Ausbeutung des Bodens und der
Arbeit zum Behuf des grössten Reinertrages; der Grund-
satz: profit is the sole end of trade, auch auf diese älteste
und eigentliche "Oekonomie" angewandt.

§ 32.

So ist überall, wo diese Tendenzen sich vollenden,
die fruchtbare (productive) menschliche Arbeit zu einem
blossen Mittel geworden, welches dem Zwecke eines vor-
theilhaften Wieder-Verkaufes jener höchst sonderbaren
Waare dient. Der Kaufmann oder Kapitalist selber maskirt
sich durch diesen Process in einen Arbeiter oder Arbeits-
Urheber, einen Bauern oder Handwerker, oder Künstler --
er wird Unternehmer von Arbeits-Processen. Der Vorgang
kann, als historischer, ebensowohl in umgekehrter Folge
geschehen: der Besitzer eines Gutes, der Meister eines
Gewerkes, kann Fabrikant, und also Kaufmann werden.
Für den Begriff ist es einerlei. Das Gewerbe des Handels
wird als vorhanden vorausgesetzt; Problem ist: wie wird
es zum herrschenden? Der zum Fabrikanten gewordene
Meister ist nicht weniger als der mit solchem Betriebe sich
abgebende Kaufmann, wesentlich Kapitalist oder ab-
stracte, vermögende Person (welches zugleich der allge-
meine Begriff des Kaufmannes selber ist) und kann also
gleichermassen angesehen werden, als habe er diese seine
Nacktheit a posteriore bekleidet mit der Hülle des schein-
baren Meisterthums. Der Fabrikant oder Unternehmer mag
aber in Wirklichkeit irgendwelche eigene Arbeit oder doch:
Thätigkeit und Dienstleistung in den Productions-Process
hineinfügen, so dass sie zum Ergebnisse mitwirkt und zur
Constitution des actuellen Werthes der hervorgebrachten
Sachen beiträgt; und am ehesten ist von dieser Beschaffen-
heit, was als Leitung und Anweisung, als Disposition der
vorhandenen Kräfte, oberste Aufsicht, kurz als: die Re-

auf sich vereinend, wofür das Leibeigenthum zunächst als
passende Form erscheinen mag. Endlich die freie kapita-
listische Gutswirthschaft mit eigenen Geräthen und Ma-
schinen, durch freie, wechselnde, in Taglohn bezahlte Ar-
beiter, die bewusste Ausbeutung des Bodens und der
Arbeit zum Behuf des grössten Reinertrages; der Grund-
satz: profit is the sole end of trade, auch auf diese älteste
und eigentliche »Oekonomie« angewandt.

§ 32.

So ist überall, wo diese Tendenzen sich vollenden,
die fruchtbare (productive) menschliche Arbeit zu einem
blossen Mittel geworden, welches dem Zwecke eines vor-
theilhaften Wieder-Verkaufes jener höchst sonderbaren
Waare dient. Der Kaufmann oder Kapitalist selber maskirt
sich durch diesen Process in einen Arbeiter oder Arbeits-
Urheber, einen Bauern oder Handwerker, oder Künstler —
er wird Unternehmer von Arbeits-Processen. Der Vorgang
kann, als historischer, ebensowohl in umgekehrter Folge
geschehen: der Besitzer eines Gutes, der Meister eines
Gewerkes, kann Fabrikant, und also Kaufmann werden.
Für den Begriff ist es einerlei. Das Gewerbe des Handels
wird als vorhanden vorausgesetzt; Problem ist: wie wird
es zum herrschenden? Der zum Fabrikanten gewordene
Meister ist nicht weniger als der mit solchem Betriebe sich
abgebende Kaufmann, wesentlich Kapitalist oder ab-
stracte, vermögende Person (welches zugleich der allge-
meine Begriff des Kaufmannes selber ist) und kann also
gleichermassen angesehen werden, als habe er diese seine
Nacktheit a posteriore bekleidet mit der Hülle des schein-
baren Meisterthums. Der Fabrikant oder Unternehmer mag
aber in Wirklichkeit irgendwelche eigene Arbeit oder doch:
Thätigkeit und Dienstleistung in den Productions-Process
hineinfügen, so dass sie zum Ergebnisse mitwirkt und zur
Constitution des actuellen Werthes der hervorgebrachten
Sachen beiträgt; und am ehesten ist von dieser Beschaffen-
heit, was als Leitung und Anweisung, als Disposition der
vorhandenen Kräfte, oberste Aufsicht, kurz als: die Re-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0115" n="79"/>
auf sich vereinend, wofür das Leibeigenthum zunächst als<lb/>
passende Form erscheinen mag. Endlich die freie kapita-<lb/>
listische Gutswirthschaft mit eigenen Geräthen und Ma-<lb/>
schinen, durch freie, wechselnde, in Taglohn bezahlte Ar-<lb/>
beiter, die bewusste Ausbeutung des Bodens <hi rendition="#g">und</hi> der<lb/>
Arbeit zum Behuf des grössten Reinertrages; der Grund-<lb/>
satz: <hi rendition="#i">profit is the sole end of trade</hi>, auch auf diese älteste<lb/>
und eigentliche »Oekonomie« angewandt.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 32.</head><lb/>
            <p>So ist überall, wo diese Tendenzen sich vollenden,<lb/>
die fruchtbare (productive) menschliche Arbeit zu einem<lb/>
blossen Mittel geworden, welches dem Zwecke eines vor-<lb/>
theilhaften Wieder-Verkaufes jener höchst sonderbaren<lb/>
Waare dient. Der Kaufmann oder Kapitalist selber maskirt<lb/>
sich durch diesen Process in einen Arbeiter oder Arbeits-<lb/>
Urheber, einen Bauern oder Handwerker, oder Künstler &#x2014;<lb/>
er wird Unternehmer von Arbeits-Processen. Der Vorgang<lb/>
kann, als historischer, ebensowohl in umgekehrter Folge<lb/>
geschehen: der Besitzer eines Gutes, der Meister eines<lb/>
Gewerkes, kann Fabrikant, und also Kaufmann werden.<lb/>
Für den Begriff ist es einerlei. Das Gewerbe des Handels<lb/>
wird als vorhanden vorausgesetzt; Problem ist: wie wird<lb/>
es zum herrschenden? Der zum Fabrikanten gewordene<lb/>
Meister ist nicht weniger als der mit solchem Betriebe sich<lb/>
abgebende Kaufmann, <hi rendition="#g">wesentlich</hi> Kapitalist oder ab-<lb/>
stracte, vermögende Person (welches zugleich der allge-<lb/>
meine Begriff des Kaufmannes selber ist) und kann also<lb/>
gleichermassen angesehen werden, als habe er diese seine<lb/>
Nacktheit <hi rendition="#i">a posteriore</hi> bekleidet mit der Hülle des schein-<lb/>
baren Meisterthums. Der Fabrikant oder Unternehmer mag<lb/>
aber in Wirklichkeit irgendwelche eigene Arbeit oder doch:<lb/>
Thätigkeit und Dienstleistung in den Productions-Process<lb/>
hineinfügen, so dass sie zum Ergebnisse mitwirkt und zur<lb/>
Constitution des actuellen <hi rendition="#g">Werthes</hi> der hervorgebrachten<lb/>
Sachen beiträgt; und am ehesten ist von dieser Beschaffen-<lb/>
heit, was als Leitung und Anweisung, als Disposition der<lb/>
vorhandenen Kräfte, oberste Aufsicht, kurz als: die Re-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0115] auf sich vereinend, wofür das Leibeigenthum zunächst als passende Form erscheinen mag. Endlich die freie kapita- listische Gutswirthschaft mit eigenen Geräthen und Ma- schinen, durch freie, wechselnde, in Taglohn bezahlte Ar- beiter, die bewusste Ausbeutung des Bodens und der Arbeit zum Behuf des grössten Reinertrages; der Grund- satz: profit is the sole end of trade, auch auf diese älteste und eigentliche »Oekonomie« angewandt. § 32. So ist überall, wo diese Tendenzen sich vollenden, die fruchtbare (productive) menschliche Arbeit zu einem blossen Mittel geworden, welches dem Zwecke eines vor- theilhaften Wieder-Verkaufes jener höchst sonderbaren Waare dient. Der Kaufmann oder Kapitalist selber maskirt sich durch diesen Process in einen Arbeiter oder Arbeits- Urheber, einen Bauern oder Handwerker, oder Künstler — er wird Unternehmer von Arbeits-Processen. Der Vorgang kann, als historischer, ebensowohl in umgekehrter Folge geschehen: der Besitzer eines Gutes, der Meister eines Gewerkes, kann Fabrikant, und also Kaufmann werden. Für den Begriff ist es einerlei. Das Gewerbe des Handels wird als vorhanden vorausgesetzt; Problem ist: wie wird es zum herrschenden? Der zum Fabrikanten gewordene Meister ist nicht weniger als der mit solchem Betriebe sich abgebende Kaufmann, wesentlich Kapitalist oder ab- stracte, vermögende Person (welches zugleich der allge- meine Begriff des Kaufmannes selber ist) und kann also gleichermassen angesehen werden, als habe er diese seine Nacktheit a posteriore bekleidet mit der Hülle des schein- baren Meisterthums. Der Fabrikant oder Unternehmer mag aber in Wirklichkeit irgendwelche eigene Arbeit oder doch: Thätigkeit und Dienstleistung in den Productions-Process hineinfügen, so dass sie zum Ergebnisse mitwirkt und zur Constitution des actuellen Werthes der hervorgebrachten Sachen beiträgt; und am ehesten ist von dieser Beschaffen- heit, was als Leitung und Anweisung, als Disposition der vorhandenen Kräfte, oberste Aufsicht, kurz als: die Re-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/115
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/115>, abgerufen am 20.12.2024.