Vor Schrecken, bösen Träumen, Sünden Und Krankheit schütz mich diese Nacht: Mein dankbar Herz soll es empfinden, Wenn's morgen dir zum Ruhm erwacht. Doch wird mein Lager heunt mein Grab, So ruf mich, Herr! in Frieden ab!
Rohe, ungesittete Nationen brauchen zu ihres Lebens Unterhalt nicht viel, haben aber auch desto weniger Gelegenheit zu se- hen und zu schmecken, wie freundlich der Herr ist. Uns haben Handlung, Wohlstand und Mode weit mehr Bedürfnisse zuge- zogen, so daß selbst die Reichen jährlich mehr in Verlegenheit sind, wie sie alles, ihrem Stande gemäß, erschwingen sollen. Ein Haus von mittelmäßigem Vermögen verthut bei uns in Ei- nem Tage dem Werthe nach mehr, als mancher indische König mit allen seinen Unterthanen die Woche hindurch bedarf. Aber der Schlaf macht den Ausgaben ein Ende, und die verrin- gerte Bedürfnisse bei der Nacht sind eine heilsame Anord- nung Gottes. Wir bedürfen nur des Schlafs, und den erhal- ten wir unentgeldlich. Die Mode kan bis hieher ihre Gewalt nicht erstrecken: der Arme und Reiche schlafen bei gleichem Auf- wande. Ja, je weniger Aufwand vorher gieng, desto angeneh- mer und stolzer ist die Ruhe. Je prächtiger das Bette, desto unruhiger pflegt der Schlaf zu seyn.
Ungestörter Schlaf und süsse Träume, das ist alles, was ich mir jetzo wünschen kan, und hiezu ist die Gottseligkeit, welche zu allen Dingen nütze ist, überaus beförderlich. Die meisten La- ster hingegen sind damit gebrandmarkt, daß sie den Schlaf, wie sonst Alter und Krankheit nur zu thun pflegen, in Nachtwachen und auffahrenden Schlummer verwandeln. Daß unsre Bedürf- nisse bei der Nacht verringert, und alle unsre Sinne zum Still- schweigen und zur Genügsamkeit gebracht werden, das ist eine
Wohl-
Der 14te Januar.
Vor Schrecken, boͤſen Traͤumen, Suͤnden Und Krankheit ſchuͤtz mich dieſe Nacht: Mein dankbar Herz ſoll es empfinden, Wenn’s morgen dir zum Ruhm erwacht. Doch wird mein Lager heunt mein Grab, So ruf mich, Herr! in Frieden ab!
Rohe, ungeſittete Nationen brauchen zu ihres Lebens Unterhalt nicht viel, haben aber auch deſto weniger Gelegenheit zu ſe- hen und zu ſchmecken, wie freundlich der Herr iſt. Uns haben Handlung, Wohlſtand und Mode weit mehr Beduͤrfniſſe zuge- zogen, ſo daß ſelbſt die Reichen jaͤhrlich mehr in Verlegenheit ſind, wie ſie alles, ihrem Stande gemaͤß, erſchwingen ſollen. Ein Haus von mittelmaͤßigem Vermoͤgen verthut bei uns in Ei- nem Tage dem Werthe nach mehr, als mancher indiſche Koͤnig mit allen ſeinen Unterthanen die Woche hindurch bedarf. Aber der Schlaf macht den Ausgaben ein Ende, und die verrin- gerte Beduͤrfniſſe bei der Nacht ſind eine heilſame Anord- nung Gottes. Wir beduͤrfen nur des Schlafs, und den erhal- ten wir unentgeldlich. Die Mode kan bis hieher ihre Gewalt nicht erſtrecken: der Arme und Reiche ſchlafen bei gleichem Auf- wande. Ja, je weniger Aufwand vorher gieng, deſto angeneh- mer und ſtolzer iſt die Ruhe. Je praͤchtiger das Bette, deſto unruhiger pflegt der Schlaf zu ſeyn.
Ungeſtoͤrter Schlaf und ſuͤſſe Traͤume, das iſt alles, was ich mir jetzo wuͤnſchen kan, und hiezu iſt die Gottſeligkeit, welche zu allen Dingen nuͤtze iſt, uͤberaus befoͤrderlich. Die meiſten La- ſter hingegen ſind damit gebrandmarkt, daß ſie den Schlaf, wie ſonſt Alter und Krankheit nur zu thun pflegen, in Nachtwachen und auffahrenden Schlummer verwandeln. Daß unſre Beduͤrf- niſſe bei der Nacht verringert, und alle unſre Sinne zum Still- ſchweigen und zur Genuͤgſamkeit gebracht werden, das iſt eine
Wohl-
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[29[59]/0066]
Der 14te Januar.
Vor Schrecken, boͤſen Traͤumen, Suͤnden
Und Krankheit ſchuͤtz mich dieſe Nacht:
Mein dankbar Herz ſoll es empfinden,
Wenn’s morgen dir zum Ruhm erwacht.
Doch wird mein Lager heunt mein Grab,
So ruf mich, Herr! in Frieden ab!
Rohe, ungeſittete Nationen brauchen zu ihres Lebens Unterhalt
nicht viel, haben aber auch deſto weniger Gelegenheit zu ſe-
hen und zu ſchmecken, wie freundlich der Herr iſt. Uns haben
Handlung, Wohlſtand und Mode weit mehr Beduͤrfniſſe zuge-
zogen, ſo daß ſelbſt die Reichen jaͤhrlich mehr in Verlegenheit
ſind, wie ſie alles, ihrem Stande gemaͤß, erſchwingen ſollen.
Ein Haus von mittelmaͤßigem Vermoͤgen verthut bei uns in Ei-
nem Tage dem Werthe nach mehr, als mancher indiſche Koͤnig
mit allen ſeinen Unterthanen die Woche hindurch bedarf. Aber
der Schlaf macht den Ausgaben ein Ende, und die verrin-
gerte Beduͤrfniſſe bei der Nacht ſind eine heilſame Anord-
nung Gottes. Wir beduͤrfen nur des Schlafs, und den erhal-
ten wir unentgeldlich. Die Mode kan bis hieher ihre Gewalt
nicht erſtrecken: der Arme und Reiche ſchlafen bei gleichem Auf-
wande. Ja, je weniger Aufwand vorher gieng, deſto angeneh-
mer und ſtolzer iſt die Ruhe. Je praͤchtiger das Bette, deſto
unruhiger pflegt der Schlaf zu ſeyn.
Ungeſtoͤrter Schlaf und ſuͤſſe Traͤume, das iſt alles, was
ich mir jetzo wuͤnſchen kan, und hiezu iſt die Gottſeligkeit, welche
zu allen Dingen nuͤtze iſt, uͤberaus befoͤrderlich. Die meiſten La-
ſter hingegen ſind damit gebrandmarkt, daß ſie den Schlaf, wie
ſonſt Alter und Krankheit nur zu thun pflegen, in Nachtwachen
und auffahrenden Schlummer verwandeln. Daß unſre Beduͤrf-
niſſe bei der Nacht verringert, und alle unſre Sinne zum Still-
ſchweigen und zur Genuͤgſamkeit gebracht werden, das iſt eine
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(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 29[59]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/66>, abgerufen am 21.11.2024.
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