Wie still ist alles um mich her! Gewissen! rede laut! Sonst macht es Fleisch und Blut dir schwer: Jetzt aber rede laut!
Wie wenig wird die Wohlthat Gottes erkannt, daß er die Menschen am Abend von einander trennet, und jeden gleichsam zu sich selber, in die Gesellschaft seines Gewissens bringt! Die Farben der Natur verlieren ihren Glanz bey der Nacht, und die Sünder den ihrigen auch. Die Stimme des Gewis- sens wird desto lauter, je stiller alles umher ist. Wo sind nun die Götzen, welche heute so viel neidische Blicke auf sich zogen? Die Befehle des Stolzen in seinem Nachtkleide, werden nur noch von den ihn zunächst umgebenden Sklaven befolgt. In sei- nem Sterbekleide wäre er seinen Verehrern vollends unaussteh- lich. So lebhaft und wild heut alles war, so zahm und Todten ähnlich liegen nun schon viele da, und andre lassen auch schon von ihrer Grösse, von ihrem Liebäugeln oder Geldscharren nach.
Da liegen sie denn in deiner Hand vor dir, Allerhöchster! ohne den sie sich am Tage leben zu können dünkten. Der Spöt- ter, dessen Witz heur, auf Kosten der Religion, eine horchende Gesellschaft belustigte, lieget jetzt gedankenlos vor dir, und du, o! Jesu, blickest mit Erbarmen auf ihn herab! Der Menschen- feind, der jeden seiner Nächsten für einen Betrüger oder Teufel hielte, wird von dir beschirmt; seine Wohnung von ehrlichen Wächtern bewacht, und einige Menschen arbeiten jetzt noch für diesen Undankbaren, oder kämpfen jetzt mit dem Sturme auf der See, um ihm Gewürze und Arzeneien zuzuführen.
Bei
Der 6te Januar.
Wie ſtill iſt alles um mich her! Gewiſſen! rede laut! Sonſt macht es Fleiſch und Blut dir ſchwer: Jetzt aber rede laut!
Wie wenig wird die Wohlthat Gottes erkannt, daß er die Menſchen am Abend von einander trennet, und jeden gleichſam zu ſich ſelber, in die Geſellſchaft ſeines Gewiſſens bringt! Die Farben der Natur verlieren ihren Glanz bey der Nacht, und die Suͤnder den ihrigen auch. Die Stimme des Gewiſ- ſens wird deſto lauter, je ſtiller alles umher iſt. Wo ſind nun die Goͤtzen, welche heute ſo viel neidiſche Blicke auf ſich zogen? Die Befehle des Stolzen in ſeinem Nachtkleide, werden nur noch von den ihn zunaͤchſt umgebenden Sklaven befolgt. In ſei- nem Sterbekleide waͤre er ſeinen Verehrern vollends unausſteh- lich. So lebhaft und wild heut alles war, ſo zahm und Todten aͤhnlich liegen nun ſchon viele da, und andre laſſen auch ſchon von ihrer Groͤſſe, von ihrem Liebaͤugeln oder Geldſcharren nach.
Da liegen ſie denn in deiner Hand vor dir, Allerhoͤchſter! ohne den ſie ſich am Tage leben zu koͤnnen duͤnkten. Der Spoͤt- ter, deſſen Witz heur, auf Koſten der Religion, eine horchende Geſellſchaft beluſtigte, lieget jetzt gedankenlos vor dir, und du, o! Jeſu, blickeſt mit Erbarmen auf ihn herab! Der Menſchen- feind, der jeden ſeiner Naͤchſten fuͤr einen Betruͤger oder Teufel hielte, wird von dir beſchirmt; ſeine Wohnung von ehrlichen Waͤchtern bewacht, und einige Menſchen arbeiten jetzt noch fuͤr dieſen Undankbaren, oder kaͤmpfen jetzt mit dem Sturme auf der See, um ihm Gewuͤrze und Arzeneien zuzufuͤhren.
Bei
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0050"n="13[43]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Der 6<hirendition="#sup">te</hi> Januar.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">W</hi>ie ſtill iſt alles um mich her!</l><lb/><l>Gewiſſen! rede laut!</l><lb/><l>Sonſt macht es Fleiſch und Blut dir ſchwer:</l><lb/><l>Jetzt aber rede laut!</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>ie wenig wird die Wohlthat Gottes erkannt, daß er die<lb/>
Menſchen am Abend von einander trennet, und jeden<lb/>
gleichſam zu ſich ſelber, in die Geſellſchaft ſeines Gewiſſens bringt!<lb/>
Die Farben der Natur verlieren ihren Glanz bey der Nacht, und<lb/>
die Suͤnder den ihrigen auch. <hirendition="#fr">Die Stimme des Gewiſ-<lb/>ſens</hi> wird deſto lauter, je ſtiller alles umher iſt. Wo ſind nun<lb/>
die Goͤtzen, welche heute ſo viel neidiſche Blicke auf ſich zogen?<lb/>
Die Befehle des Stolzen in ſeinem Nachtkleide, werden nur<lb/>
noch von den ihn zunaͤchſt umgebenden Sklaven befolgt. In ſei-<lb/>
nem Sterbekleide waͤre er ſeinen Verehrern vollends unausſteh-<lb/>
lich. So lebhaft und wild heut alles war, ſo zahm und Todten<lb/>
aͤhnlich liegen nun ſchon viele da, und andre laſſen auch ſchon<lb/>
von ihrer Groͤſſe, von ihrem Liebaͤugeln oder Geldſcharren nach.</p><lb/><p>Da liegen ſie denn in deiner Hand vor dir, Allerhoͤchſter!<lb/>
ohne den ſie ſich am Tage leben zu koͤnnen duͤnkten. Der Spoͤt-<lb/>
ter, deſſen Witz heur, auf Koſten der Religion, eine horchende<lb/>
Geſellſchaft beluſtigte, lieget jetzt gedankenlos vor dir, und du,<lb/>
o! Jeſu, blickeſt mit Erbarmen auf ihn herab! Der Menſchen-<lb/>
feind, der jeden ſeiner Naͤchſten fuͤr einen Betruͤger oder Teufel<lb/>
hielte, wird von dir beſchirmt; ſeine Wohnung von ehrlichen<lb/>
Waͤchtern bewacht, und einige Menſchen arbeiten jetzt noch fuͤr<lb/>
dieſen Undankbaren, oder kaͤmpfen jetzt mit dem Sturme auf<lb/>
der See, um ihm Gewuͤrze und Arzeneien zuzufuͤhren.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Bei</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[13[43]/0050]
Der 6te Januar.
Wie ſtill iſt alles um mich her!
Gewiſſen! rede laut!
Sonſt macht es Fleiſch und Blut dir ſchwer:
Jetzt aber rede laut!
Wie wenig wird die Wohlthat Gottes erkannt, daß er die
Menſchen am Abend von einander trennet, und jeden
gleichſam zu ſich ſelber, in die Geſellſchaft ſeines Gewiſſens bringt!
Die Farben der Natur verlieren ihren Glanz bey der Nacht, und
die Suͤnder den ihrigen auch. Die Stimme des Gewiſ-
ſens wird deſto lauter, je ſtiller alles umher iſt. Wo ſind nun
die Goͤtzen, welche heute ſo viel neidiſche Blicke auf ſich zogen?
Die Befehle des Stolzen in ſeinem Nachtkleide, werden nur
noch von den ihn zunaͤchſt umgebenden Sklaven befolgt. In ſei-
nem Sterbekleide waͤre er ſeinen Verehrern vollends unausſteh-
lich. So lebhaft und wild heut alles war, ſo zahm und Todten
aͤhnlich liegen nun ſchon viele da, und andre laſſen auch ſchon
von ihrer Groͤſſe, von ihrem Liebaͤugeln oder Geldſcharren nach.
Da liegen ſie denn in deiner Hand vor dir, Allerhoͤchſter!
ohne den ſie ſich am Tage leben zu koͤnnen duͤnkten. Der Spoͤt-
ter, deſſen Witz heur, auf Koſten der Religion, eine horchende
Geſellſchaft beluſtigte, lieget jetzt gedankenlos vor dir, und du,
o! Jeſu, blickeſt mit Erbarmen auf ihn herab! Der Menſchen-
feind, der jeden ſeiner Naͤchſten fuͤr einen Betruͤger oder Teufel
hielte, wird von dir beſchirmt; ſeine Wohnung von ehrlichen
Waͤchtern bewacht, und einige Menſchen arbeiten jetzt noch fuͤr
dieſen Undankbaren, oder kaͤmpfen jetzt mit dem Sturme auf
der See, um ihm Gewuͤrze und Arzeneien zuzufuͤhren.
Bei
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 13[43]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/50>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.