Ach! Richter, deine Dräuungen beweisen, Daß du gerecht bist! deine Strafen preisen Dich: daß du rein seyst, heilig, der Verbrecher Furchtbarer Rächer!
Du wilst, du mußt die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Das seh ich täg- lich, und könt es noch mehr sehen, wenn ich aufmerksamer wäre auf die bestrafte Nachkommen der Gottlosen.
Noch immer wandeln die Missethaten der Vorwelt vor unsern Augen umher. Die Väter haben Härlinge gegessen, und den Kindern sind die Zähne stumpf davon geworden. Viele Be[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]ler winseln uns den Wucher, die Prozeßsucht, die Verschwendung und Faulheit ihrer Eltern oder Ureltern vor. Sieche Gesichter, welche Schwindsucht, Podagra oder verdorbne Sinnen erbten, sind ein trauriges Gemälde jener Ausschweifungen, welche vor dreißig, funfzig Jahren begangen wurden. Krüppel klagen über Verwahrlosung in der Jugend; und manche verachtete Familie trägt das Brandmal der Schandthaten Eines ihrer Ahnen. Ein Staat, der viele üppige Häuser duldet, hat viele Spitäler nö- thig. Alles das sind furchtbare Ruinen lustiger und glänzender Sünden, welche vieleicht schon im vorigen Jahrhundert ihr keckes Haupt erhoben. Und wie sicher wandern wir nicht mehrentheils unter ihnen herum! Als wenn unsre vertheidigte und schmeichelnde Sünden nicht ebenfals scheußliche Spuren hinterlassen würden!
So wie ein Land es nicht leicht verwindet, wenn es eine Zeitlang einen Tirannen, oder ein Kind zum Regenten hatte: so auch einzelne Familien. Armut, Verachtung und vergiftetes
Blut,
Tiedens Abendand. I. Th. R
Der 3te Mai.
Ach! Richter, deine Draͤuungen beweiſen, Daß du gerecht biſt! deine Strafen preiſen Dich: daß du rein ſeyſt, heilig, der Verbrecher Furchtbarer Raͤcher!
Du wilſt, du mußt die Suͤnden der Vaͤter heimſuchen an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Das ſeh ich taͤg- lich, und koͤnt es noch mehr ſehen, wenn ich aufmerkſamer waͤre auf die beſtrafte Nachkommen der Gottloſen.
Noch immer wandeln die Miſſethaten der Vorwelt vor unſern Augen umher. Die Vaͤter haben Haͤrlinge gegeſſen, und den Kindern ſind die Zaͤhne ſtumpf davon geworden. Viele Be[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]ler winſeln uns den Wucher, die Prozeßſucht, die Verſchwendung und Faulheit ihrer Eltern oder Ureltern vor. Sieche Geſichter, welche Schwindſucht, Podagra oder verdorbne Sinnen erbten, ſind ein trauriges Gemaͤlde jener Ausſchweifungen, welche vor dreißig, funfzig Jahren begangen wurden. Kruͤppel klagen uͤber Verwahrloſung in der Jugend; und manche verachtete Familie traͤgt das Brandmal der Schandthaten Eines ihrer Ahnen. Ein Staat, der viele uͤppige Haͤuſer duldet, hat viele Spitaͤler noͤ- thig. Alles das ſind furchtbare Ruinen luſtiger und glaͤnzender Suͤnden, welche vieleicht ſchon im vorigen Jahrhundert ihr keckes Haupt erhoben. Und wie ſicher wandern wir nicht mehrentheils unter ihnen herum! Als wenn unſre vertheidigte und ſchmeichelnde Suͤnden nicht ebenfals ſcheußliche Spuren hinterlaſſen wuͤrden!
So wie ein Land es nicht leicht verwindet, wenn es eine Zeitlang einen Tirannen, oder ein Kind zum Regenten hatte: ſo auch einzelne Familien. Armut, Verachtung und vergiftetes
Blut,
Tiedens Abendand. I. Th. R
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0294"n="257[287]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Der 3<hirendition="#sup">te</hi> Mai.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">A</hi>ch! Richter, deine Draͤuungen beweiſen,</l><lb/><l>Daß du gerecht biſt! deine Strafen preiſen</l><lb/><l>Dich: daß du rein ſeyſt, heilig, der Verbrecher</l><lb/><l><hirendition="#et">Furchtbarer Raͤcher!</hi></l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>u wilſt, du mußt die Suͤnden der Vaͤter heimſuchen an den<lb/>
Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Das ſeh ich taͤg-<lb/>
lich, und koͤnt es noch mehr ſehen, wenn ich aufmerkſamer waͤre<lb/>
auf <hirendition="#fr">die beſtrafte Nachkommen der Gottloſen.</hi></p><lb/><p>Noch immer wandeln die Miſſethaten der Vorwelt vor unſern<lb/>
Augen umher. Die Vaͤter haben Haͤrlinge gegeſſen, und den<lb/>
Kindern ſind die Zaͤhne ſtumpf davon geworden. Viele Be<gapreason="illegible"unit="chars"quantity="1"/>ler<lb/>
winſeln uns den Wucher, die Prozeßſucht, die Verſchwendung<lb/>
und Faulheit ihrer Eltern oder Ureltern vor. Sieche Geſichter,<lb/>
welche Schwindſucht, Podagra oder verdorbne Sinnen erbten,<lb/>ſind ein trauriges Gemaͤlde jener Ausſchweifungen, welche vor<lb/>
dreißig, funfzig Jahren begangen wurden. Kruͤppel klagen uͤber<lb/>
Verwahrloſung in der Jugend; und manche verachtete Familie<lb/>
traͤgt das Brandmal der Schandthaten Eines ihrer Ahnen. Ein<lb/>
Staat, der viele uͤppige Haͤuſer duldet, hat viele Spitaͤler noͤ-<lb/>
thig. Alles das ſind furchtbare Ruinen luſtiger und glaͤnzender<lb/>
Suͤnden, welche vieleicht ſchon im vorigen Jahrhundert ihr keckes<lb/>
Haupt erhoben. Und wie ſicher wandern wir nicht mehrentheils<lb/>
unter ihnen herum! Als wenn unſre vertheidigte und ſchmeichelnde<lb/>
Suͤnden nicht ebenfals ſcheußliche Spuren hinterlaſſen wuͤrden!</p><lb/><p>So wie ein Land es nicht leicht verwindet, wenn es eine<lb/>
Zeitlang einen Tirannen, oder ein Kind zum Regenten hatte: ſo<lb/>
auch einzelne Familien. Armut, Verachtung und vergiftetes<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Tiedens Abendand. <hirendition="#aq">I.</hi> Th. R</fw><fwplace="bottom"type="catch">Blut,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[257[287]/0294]
Der 3te Mai.
Ach! Richter, deine Draͤuungen beweiſen,
Daß du gerecht biſt! deine Strafen preiſen
Dich: daß du rein ſeyſt, heilig, der Verbrecher
Furchtbarer Raͤcher!
Du wilſt, du mußt die Suͤnden der Vaͤter heimſuchen an den
Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Das ſeh ich taͤg-
lich, und koͤnt es noch mehr ſehen, wenn ich aufmerkſamer waͤre
auf die beſtrafte Nachkommen der Gottloſen.
Noch immer wandeln die Miſſethaten der Vorwelt vor unſern
Augen umher. Die Vaͤter haben Haͤrlinge gegeſſen, und den
Kindern ſind die Zaͤhne ſtumpf davon geworden. Viele Be_ler
winſeln uns den Wucher, die Prozeßſucht, die Verſchwendung
und Faulheit ihrer Eltern oder Ureltern vor. Sieche Geſichter,
welche Schwindſucht, Podagra oder verdorbne Sinnen erbten,
ſind ein trauriges Gemaͤlde jener Ausſchweifungen, welche vor
dreißig, funfzig Jahren begangen wurden. Kruͤppel klagen uͤber
Verwahrloſung in der Jugend; und manche verachtete Familie
traͤgt das Brandmal der Schandthaten Eines ihrer Ahnen. Ein
Staat, der viele uͤppige Haͤuſer duldet, hat viele Spitaͤler noͤ-
thig. Alles das ſind furchtbare Ruinen luſtiger und glaͤnzender
Suͤnden, welche vieleicht ſchon im vorigen Jahrhundert ihr keckes
Haupt erhoben. Und wie ſicher wandern wir nicht mehrentheils
unter ihnen herum! Als wenn unſre vertheidigte und ſchmeichelnde
Suͤnden nicht ebenfals ſcheußliche Spuren hinterlaſſen wuͤrden!
So wie ein Land es nicht leicht verwindet, wenn es eine
Zeitlang einen Tirannen, oder ein Kind zum Regenten hatte: ſo
auch einzelne Familien. Armut, Verachtung und vergiftetes
Blut,
Tiedens Abendand. I. Th. R
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 257[287]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/294>, abgerufen am 21.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.