Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


Der 28te April.
O Herr! mein Gott! vergib mir doch
Um deines Namens willen!
Du wollst in mir das schwere Joch
Der Uebertretung stillen:
Daß sich mein Herz zufrieden gebe
Und dir hinfort zu Ehren lebe
Jm kindlichen Gehorsam!


Schamroth und mit klopfendem Herzen thu ich jetzt mein
Gebet um Vergebung der Sünden! Und wären
ihrer nicht mehr, als ich heute beging, so getraue ich mir doch
nicht zu sterben, ohne vorher sie abgebeten, und Vergebung der-
selben erlanget zu haben. Denn wenn ich heute frömmer seyn,
und mehr gutes denken und wirken konte, als ich that: so war ich
ein Verräther auf dem mir anvertraueten Posten. Und hätte ich
alles gethan, was mir oblag: so wär ich dennoch ein unnützer
Knecht; denn ich that ja alles nur halb oder gedrungen oder um
Tagelohn.

Aber ich höre das drohende Geschrei meiner vieljährigen
Sünden. Es ist wahr, schon oftmals wurden sie mir vergeben,
und von mir genommen: aber jede vorsetzliche Sünde öfnet ihnen
mein Herz aufs neue. Was hilft es mir, durch ein Gegengift
schon öfters errettet zu seyn, wenn ich aufs neue den Giftbecher
ausleere: meine Natur leidet bei solchem wiederholten Unsinn.
Und so zittre ich denn, Allwissender! vor deinem richterlichen
Ausspruch. Den Sand am Meer und meine Sünden zu zählen,
ist gleich unmöglich. Thiere winseln, welche ich aus Muthwil-
len marterte; versäumte Gelegenheiten zur Tugend und verstorbne

Bettler
Q 3


Der 28te April.
O Herr! mein Gott! vergib mir doch
Um deines Namens willen!
Du wollſt in mir das ſchwere Joch
Der Uebertretung ſtillen:
Daß ſich mein Herz zufrieden gebe
Und dir hinfort zu Ehren lebe
Jm kindlichen Gehorſam!


Schamroth und mit klopfendem Herzen thu ich jetzt mein
Gebet um Vergebung der Suͤnden! Und waͤren
ihrer nicht mehr, als ich heute beging, ſo getraue ich mir doch
nicht zu ſterben, ohne vorher ſie abgebeten, und Vergebung der-
ſelben erlanget zu haben. Denn wenn ich heute froͤmmer ſeyn,
und mehr gutes denken und wirken konte, als ich that: ſo war ich
ein Verraͤther auf dem mir anvertraueten Poſten. Und haͤtte ich
alles gethan, was mir oblag: ſo waͤr ich dennoch ein unnuͤtzer
Knecht; denn ich that ja alles nur halb oder gedrungen oder um
Tagelohn.

Aber ich hoͤre das drohende Geſchrei meiner vieljaͤhrigen
Suͤnden. Es iſt wahr, ſchon oftmals wurden ſie mir vergeben,
und von mir genommen: aber jede vorſetzliche Suͤnde oͤfnet ihnen
mein Herz aufs neue. Was hilft es mir, durch ein Gegengift
ſchon oͤfters errettet zu ſeyn, wenn ich aufs neue den Giftbecher
ausleere: meine Natur leidet bei ſolchem wiederholten Unſinn.
Und ſo zittre ich denn, Allwiſſender! vor deinem richterlichen
Ausſpruch. Den Sand am Meer und meine Suͤnden zu zaͤhlen,
iſt gleich unmoͤglich. Thiere winſeln, welche ich aus Muthwil-
len marterte; verſaͤumte Gelegenheiten zur Tugend und verſtorbne

Bettler
Q 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0282" n="245[275]"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Der 28<hi rendition="#sup">te</hi> April.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">O</hi> Herr! mein Gott! vergib mir doch</l><lb/>
              <l>Um deines Namens willen!</l><lb/>
              <l>Du woll&#x017F;t in mir das &#x017F;chwere Joch</l><lb/>
              <l>Der Uebertretung &#x017F;tillen:</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ich mein Herz zufrieden gebe</l><lb/>
              <l>Und dir hinfort zu Ehren lebe</l><lb/>
              <l>Jm kindlichen Gehor&#x017F;am!</l>
            </lg><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p><hi rendition="#in">S</hi>chamroth und mit klopfendem Herzen thu ich jetzt mein<lb/><hi rendition="#fr">Gebet um Vergebung der Su&#x0364;nden!</hi> Und wa&#x0364;ren<lb/>
ihrer nicht mehr, als ich heute beging, &#x017F;o getraue ich mir doch<lb/>
nicht zu &#x017F;terben, ohne vorher &#x017F;ie abgebeten, und Vergebung der-<lb/>
&#x017F;elben erlanget zu haben. Denn wenn ich heute fro&#x0364;mmer &#x017F;eyn,<lb/>
und mehr gutes denken und wirken konte, als ich that: &#x017F;o war ich<lb/>
ein Verra&#x0364;ther auf dem mir anvertraueten Po&#x017F;ten. Und ha&#x0364;tte ich<lb/>
alles gethan, was mir oblag: &#x017F;o wa&#x0364;r ich dennoch ein unnu&#x0364;tzer<lb/>
Knecht; denn ich that ja alles nur halb oder gedrungen oder um<lb/>
Tagelohn.</p><lb/>
            <p>Aber ich ho&#x0364;re das drohende Ge&#x017F;chrei meiner vielja&#x0364;hrigen<lb/>
Su&#x0364;nden. Es i&#x017F;t wahr, &#x017F;chon oftmals wurden &#x017F;ie mir vergeben,<lb/>
und von mir genommen: aber jede vor&#x017F;etzliche Su&#x0364;nde o&#x0364;fnet ihnen<lb/>
mein Herz aufs neue. Was hilft es mir, durch ein Gegengift<lb/>
&#x017F;chon o&#x0364;fters errettet zu &#x017F;eyn, wenn ich aufs neue den Giftbecher<lb/>
ausleere: meine Natur leidet bei &#x017F;olchem wiederholten Un&#x017F;inn.<lb/>
Und &#x017F;o zittre ich denn, Allwi&#x017F;&#x017F;ender! vor deinem richterlichen<lb/>
Aus&#x017F;pruch. Den Sand am Meer und meine Su&#x0364;nden zu za&#x0364;hlen,<lb/>
i&#x017F;t gleich unmo&#x0364;glich. Thiere win&#x017F;eln, welche ich aus Muthwil-<lb/>
len marterte; ver&#x017F;a&#x0364;umte Gelegenheiten zur Tugend und ver&#x017F;torbne<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Bettler</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245[275]/0282] Der 28te April. O Herr! mein Gott! vergib mir doch Um deines Namens willen! Du wollſt in mir das ſchwere Joch Der Uebertretung ſtillen: Daß ſich mein Herz zufrieden gebe Und dir hinfort zu Ehren lebe Jm kindlichen Gehorſam! Schamroth und mit klopfendem Herzen thu ich jetzt mein Gebet um Vergebung der Suͤnden! Und waͤren ihrer nicht mehr, als ich heute beging, ſo getraue ich mir doch nicht zu ſterben, ohne vorher ſie abgebeten, und Vergebung der- ſelben erlanget zu haben. Denn wenn ich heute froͤmmer ſeyn, und mehr gutes denken und wirken konte, als ich that: ſo war ich ein Verraͤther auf dem mir anvertraueten Poſten. Und haͤtte ich alles gethan, was mir oblag: ſo waͤr ich dennoch ein unnuͤtzer Knecht; denn ich that ja alles nur halb oder gedrungen oder um Tagelohn. Aber ich hoͤre das drohende Geſchrei meiner vieljaͤhrigen Suͤnden. Es iſt wahr, ſchon oftmals wurden ſie mir vergeben, und von mir genommen: aber jede vorſetzliche Suͤnde oͤfnet ihnen mein Herz aufs neue. Was hilft es mir, durch ein Gegengift ſchon oͤfters errettet zu ſeyn, wenn ich aufs neue den Giftbecher ausleere: meine Natur leidet bei ſolchem wiederholten Unſinn. Und ſo zittre ich denn, Allwiſſender! vor deinem richterlichen Ausſpruch. Den Sand am Meer und meine Suͤnden zu zaͤhlen, iſt gleich unmoͤglich. Thiere winſeln, welche ich aus Muthwil- len marterte; verſaͤumte Gelegenheiten zur Tugend und verſtorbne Bettler Q 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-05-24T12:24:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/282
Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 245[275]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/282>, abgerufen am 03.07.2024.