O Herr! mein Gott! vergib mir doch Um deines Namens willen! Du wollst in mir das schwere Joch Der Uebertretung stillen: Daß sich mein Herz zufrieden gebe Und dir hinfort zu Ehren lebe Jm kindlichen Gehorsam!
Schamroth und mit klopfendem Herzen thu ich jetzt mein Gebet um Vergebung der Sünden! Und wären ihrer nicht mehr, als ich heute beging, so getraue ich mir doch nicht zu sterben, ohne vorher sie abgebeten, und Vergebung der- selben erlanget zu haben. Denn wenn ich heute frömmer seyn, und mehr gutes denken und wirken konte, als ich that: so war ich ein Verräther auf dem mir anvertraueten Posten. Und hätte ich alles gethan, was mir oblag: so wär ich dennoch ein unnützer Knecht; denn ich that ja alles nur halb oder gedrungen oder um Tagelohn.
Aber ich höre das drohende Geschrei meiner vieljährigen Sünden. Es ist wahr, schon oftmals wurden sie mir vergeben, und von mir genommen: aber jede vorsetzliche Sünde öfnet ihnen mein Herz aufs neue. Was hilft es mir, durch ein Gegengift schon öfters errettet zu seyn, wenn ich aufs neue den Giftbecher ausleere: meine Natur leidet bei solchem wiederholten Unsinn. Und so zittre ich denn, Allwissender! vor deinem richterlichen Ausspruch. Den Sand am Meer und meine Sünden zu zählen, ist gleich unmöglich. Thiere winseln, welche ich aus Muthwil- len marterte; versäumte Gelegenheiten zur Tugend und verstorbne
Bettler
Q 3
Der 28te April.
O Herr! mein Gott! vergib mir doch Um deines Namens willen! Du wollſt in mir das ſchwere Joch Der Uebertretung ſtillen: Daß ſich mein Herz zufrieden gebe Und dir hinfort zu Ehren lebe Jm kindlichen Gehorſam!
Schamroth und mit klopfendem Herzen thu ich jetzt mein Gebet um Vergebung der Suͤnden! Und waͤren ihrer nicht mehr, als ich heute beging, ſo getraue ich mir doch nicht zu ſterben, ohne vorher ſie abgebeten, und Vergebung der- ſelben erlanget zu haben. Denn wenn ich heute froͤmmer ſeyn, und mehr gutes denken und wirken konte, als ich that: ſo war ich ein Verraͤther auf dem mir anvertraueten Poſten. Und haͤtte ich alles gethan, was mir oblag: ſo waͤr ich dennoch ein unnuͤtzer Knecht; denn ich that ja alles nur halb oder gedrungen oder um Tagelohn.
Aber ich hoͤre das drohende Geſchrei meiner vieljaͤhrigen Suͤnden. Es iſt wahr, ſchon oftmals wurden ſie mir vergeben, und von mir genommen: aber jede vorſetzliche Suͤnde oͤfnet ihnen mein Herz aufs neue. Was hilft es mir, durch ein Gegengift ſchon oͤfters errettet zu ſeyn, wenn ich aufs neue den Giftbecher ausleere: meine Natur leidet bei ſolchem wiederholten Unſinn. Und ſo zittre ich denn, Allwiſſender! vor deinem richterlichen Ausſpruch. Den Sand am Meer und meine Suͤnden zu zaͤhlen, iſt gleich unmoͤglich. Thiere winſeln, welche ich aus Muthwil- len marterte; verſaͤumte Gelegenheiten zur Tugend und verſtorbne
Bettler
Q 3
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[245[275]/0282]
Der 28te April.
O Herr! mein Gott! vergib mir doch
Um deines Namens willen!
Du wollſt in mir das ſchwere Joch
Der Uebertretung ſtillen:
Daß ſich mein Herz zufrieden gebe
Und dir hinfort zu Ehren lebe
Jm kindlichen Gehorſam!
Schamroth und mit klopfendem Herzen thu ich jetzt mein
Gebet um Vergebung der Suͤnden! Und waͤren
ihrer nicht mehr, als ich heute beging, ſo getraue ich mir doch
nicht zu ſterben, ohne vorher ſie abgebeten, und Vergebung der-
ſelben erlanget zu haben. Denn wenn ich heute froͤmmer ſeyn,
und mehr gutes denken und wirken konte, als ich that: ſo war ich
ein Verraͤther auf dem mir anvertraueten Poſten. Und haͤtte ich
alles gethan, was mir oblag: ſo waͤr ich dennoch ein unnuͤtzer
Knecht; denn ich that ja alles nur halb oder gedrungen oder um
Tagelohn.
Aber ich hoͤre das drohende Geſchrei meiner vieljaͤhrigen
Suͤnden. Es iſt wahr, ſchon oftmals wurden ſie mir vergeben,
und von mir genommen: aber jede vorſetzliche Suͤnde oͤfnet ihnen
mein Herz aufs neue. Was hilft es mir, durch ein Gegengift
ſchon oͤfters errettet zu ſeyn, wenn ich aufs neue den Giftbecher
ausleere: meine Natur leidet bei ſolchem wiederholten Unſinn.
Und ſo zittre ich denn, Allwiſſender! vor deinem richterlichen
Ausſpruch. Den Sand am Meer und meine Suͤnden zu zaͤhlen,
iſt gleich unmoͤglich. Thiere winſeln, welche ich aus Muthwil-
len marterte; verſaͤumte Gelegenheiten zur Tugend und verſtorbne
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 245[275]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/282>, abgerufen am 21.12.2024.
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