O! mögte doch mein Herz Weich, folgsam, kindlich seyn! Kein harter Eigensinn Führt je zum Himmel ein.
Der erste Genuß des heiligen Abendmals bleibt im- mer ein höchst merkwürdiger Zeitpunkt unsers Lebens. Dazu werden in dieser Jahrszeit die meisten jungen Christen zubereitet. Ich will mich jetzt in jene Zeiten zurücksetzen, wo auch ich zube- reitet ward, und will von meinen Kinderjahren lernen.
Mein Verstand war damals einfältiger, als jetzt. Ich kante die Welt und ihre Sünden noch wenig, und befand mich wohl bei dieser glücklichen Unwissenheit. Ich sahe den Katechismus als ein wichtiges Buch, und die Bibel als den heiligsten Schatz an. Gott und meinen Eltern zu gefallen, das war fast meine ganze Bemühung. Es scheuete sich jedermann mir das Laster reizend zu machen; und ich hielte es für eine Ehre, daß man mich wür- dig fand, zum Tisch des Herrn gelassen zu werden. Mehr Gu- tes und in der Ewigkeit geltendes lernte ich damals in einer Wo- che, als ich vieleicht nachher in Monaten oder Jahren nicht ge- lernet habe. Ist wol ein gehöriges Verhältniß unter dem, was ich damals von Religionswahrheiten wußte, und unter dem, was ich jetzt weiß? Wie viel unnütze und schädliche Kleinigkeiten habe ich nicht seit der Zeit erlernt!
Mein Herz war damals weich, folgsam und kindlich. Ich vergoß Thränen, als ich eingesegnet ward; und zwar ganz andre Thränen, als ich nachher des Zeitlichen wegen geweinet habe! Mit zitternder Ehrfurcht nahete ich mich dem Altar, und mit
heiligem
Tiedens Abendand. I. Th. L
Der 18te Maͤrz.
O! moͤgte doch mein Herz Weich, folgſam, kindlich ſeyn! Kein harter Eigenſinn Fuͤhrt je zum Himmel ein.
Der erſte Genuß des heiligen Abendmals bleibt im- mer ein hoͤchſt merkwuͤrdiger Zeitpunkt unſers Lebens. Dazu werden in dieſer Jahrszeit die meiſten jungen Chriſten zubereitet. Ich will mich jetzt in jene Zeiten zuruͤckſetzen, wo auch ich zube- reitet ward, und will von meinen Kinderjahren lernen.
Mein Verſtand war damals einfaͤltiger, als jetzt. Ich kante die Welt und ihre Suͤnden noch wenig, und befand mich wohl bei dieſer gluͤcklichen Unwiſſenheit. Ich ſahe den Katechismus als ein wichtiges Buch, und die Bibel als den heiligſten Schatz an. Gott und meinen Eltern zu gefallen, das war faſt meine ganze Bemuͤhung. Es ſcheuete ſich jedermann mir das Laſter reizend zu machen; und ich hielte es fuͤr eine Ehre, daß man mich wuͤr- dig fand, zum Tiſch des Herrn gelaſſen zu werden. Mehr Gu- tes und in der Ewigkeit geltendes lernte ich damals in einer Wo- che, als ich vieleicht nachher in Monaten oder Jahren nicht ge- lernet habe. Iſt wol ein gehoͤriges Verhaͤltniß unter dem, was ich damals von Religionswahrheiten wußte, und unter dem, was ich jetzt weiß? Wie viel unnuͤtze und ſchaͤdliche Kleinigkeiten habe ich nicht ſeit der Zeit erlernt!
Mein Herz war damals weich, folgſam und kindlich. Ich vergoß Thraͤnen, als ich eingeſegnet ward; und zwar ganz andre Thraͤnen, als ich nachher des Zeitlichen wegen geweinet habe! Mit zitternder Ehrfurcht nahete ich mich dem Altar, und mit
heiligem
Tiedens Abendand. I. Th. L
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[161[191]/0198]
Der 18te Maͤrz.
O! moͤgte doch mein Herz
Weich, folgſam, kindlich ſeyn!
Kein harter Eigenſinn
Fuͤhrt je zum Himmel ein.
Der erſte Genuß des heiligen Abendmals bleibt im-
mer ein hoͤchſt merkwuͤrdiger Zeitpunkt unſers Lebens. Dazu
werden in dieſer Jahrszeit die meiſten jungen Chriſten zubereitet.
Ich will mich jetzt in jene Zeiten zuruͤckſetzen, wo auch ich zube-
reitet ward, und will von meinen Kinderjahren lernen.
Mein Verſtand war damals einfaͤltiger, als jetzt. Ich kante
die Welt und ihre Suͤnden noch wenig, und befand mich wohl
bei dieſer gluͤcklichen Unwiſſenheit. Ich ſahe den Katechismus als
ein wichtiges Buch, und die Bibel als den heiligſten Schatz an.
Gott und meinen Eltern zu gefallen, das war faſt meine ganze
Bemuͤhung. Es ſcheuete ſich jedermann mir das Laſter reizend
zu machen; und ich hielte es fuͤr eine Ehre, daß man mich wuͤr-
dig fand, zum Tiſch des Herrn gelaſſen zu werden. Mehr Gu-
tes und in der Ewigkeit geltendes lernte ich damals in einer Wo-
che, als ich vieleicht nachher in Monaten oder Jahren nicht ge-
lernet habe. Iſt wol ein gehoͤriges Verhaͤltniß unter dem, was
ich damals von Religionswahrheiten wußte, und unter dem, was
ich jetzt weiß? Wie viel unnuͤtze und ſchaͤdliche Kleinigkeiten habe
ich nicht ſeit der Zeit erlernt!
Mein Herz war damals weich, folgſam und kindlich. Ich
vergoß Thraͤnen, als ich eingeſegnet ward; und zwar ganz andre
Thraͤnen, als ich nachher des Zeitlichen wegen geweinet habe!
Mit zitternder Ehrfurcht nahete ich mich dem Altar, und mit
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 161[191]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/198>, abgerufen am 21.11.2024.
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