Gehören nicht die Erde Und alle Völker dir? Wen Gott mein Vater segnet, Wie wäre der mein Feind? Wer liebreich mir begegnet, Ist, wo er sey, mein Freund.
Gottlob! die barbarische Zeiten des Aberglaubens neigen sich zum Untergange. Bald wird man allenthalben die Bibel lesen, und den einigen Gott anbeten dürfen, ohne verbrant zu werden. Schreckliche Zeiten, wo erhitzte Menschen des Glau- bens wegen einen Scheiderhaufen anzündeten, ohne selbst zu wis- sen, was Wahrheit und Frömmigkeit sey! Die Toleranz oder Religionsduldung war stets eine Eigenschaft der wahren Re- ligion und der Vernunft. Muhammed hetzte seine dummen Araber gegen alle fremde Glaubensgenossen auf: Jesus gebot Friede und Liebe, so gar gegen die Feinde. Er bestrafte die Pha- risäer: aber nur mit Worten. Er trieb die Wucherer aus dem Tempel: das war aber Bestrafung der Laster und nicht der Reli- gionsmeinungen; sonst hätte er noch ehe die Götzenbilder der Rö- mer stürmen müssen. Er gieng aber vielmehr liebreich mit ih- nen um; und es war eine Zeit, wo er keinen Vertheidiger hatte, als Pilati Weib.
Wolte der blutdürstige Aberglaube (denn der allein mordet im Namen Gottes!) sich auf die Ausrottung der Völker in Ka- naan berufen: so war das ein Fall, der jetzo nicht mehr statt ha- ben kan. Diese Nationen waren die gröbsten Bösewichter und Abgötter; das leichtsinnige Israel konte verführet, oder von ih-
nen
K 3
Der 12te Maͤrz.
Gehoͤren nicht die Erde Und alle Voͤlker dir? Wen Gott mein Vater ſegnet, Wie waͤre der mein Feind? Wer liebreich mir begegnet, Iſt, wo er ſey, mein Freund.
Gottlob! die barbariſche Zeiten des Aberglaubens neigen ſich zum Untergange. Bald wird man allenthalben die Bibel leſen, und den einigen Gott anbeten duͤrfen, ohne verbrant zu werden. Schreckliche Zeiten, wo erhitzte Menſchen des Glau- bens wegen einen Scheiderhaufen anzuͤndeten, ohne ſelbſt zu wiſ- ſen, was Wahrheit und Froͤmmigkeit ſey! Die Toleranz oder Religionsduldung war ſtets eine Eigenſchaft der wahren Re- ligion und der Vernunft. Muhammed hetzte ſeine dummen Araber gegen alle fremde Glaubensgenoſſen auf: Jeſus gebot Friede und Liebe, ſo gar gegen die Feinde. Er beſtrafte die Pha- riſaͤer: aber nur mit Worten. Er trieb die Wucherer aus dem Tempel: das war aber Beſtrafung der Laſter und nicht der Reli- gionsmeinungen; ſonſt haͤtte er noch ehe die Goͤtzenbilder der Roͤ- mer ſtuͤrmen muͤſſen. Er gieng aber vielmehr liebreich mit ih- nen um; und es war eine Zeit, wo er keinen Vertheidiger hatte, als Pilati Weib.
Wolte der blutduͤrſtige Aberglaube (denn der allein mordet im Namen Gottes!) ſich auf die Ausrottung der Voͤlker in Ka- naan berufen: ſo war das ein Fall, der jetzo nicht mehr ſtatt ha- ben kan. Dieſe Nationen waren die groͤbſten Boͤſewichter und Abgoͤtter; das leichtſinnige Iſrael konte verfuͤhret, oder von ih-
nen
K 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0186"n="149[179]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head>Der 12<hirendition="#sup">te</hi> Maͤrz.</head><lb/><lgtype="poem"><l>Gehoͤren nicht die Erde</l><lb/><l>Und alle Voͤlker dir?</l><lb/><l>Wen Gott mein Vater ſegnet,</l><lb/><l>Wie waͤre der mein Feind?</l><lb/><l>Wer liebreich mir begegnet,</l><lb/><l>Iſt, wo er ſey, mein Freund.</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">G</hi>ottlob! die barbariſche Zeiten des Aberglaubens neigen ſich<lb/>
zum Untergange. Bald wird man allenthalben die Bibel<lb/>
leſen, und den einigen Gott anbeten duͤrfen, ohne verbrant zu<lb/>
werden. Schreckliche Zeiten, wo erhitzte Menſchen des Glau-<lb/>
bens wegen einen Scheiderhaufen anzuͤndeten, ohne ſelbſt zu wiſ-<lb/>ſen, was Wahrheit und Froͤmmigkeit ſey! <hirendition="#fr">Die Toleranz</hi> oder<lb/>
Religionsduldung war ſtets eine Eigenſchaft der wahren Re-<lb/>
ligion und der Vernunft. Muhammed hetzte ſeine dummen<lb/>
Araber gegen alle fremde Glaubensgenoſſen auf: Jeſus gebot<lb/>
Friede und Liebe, ſo gar gegen die Feinde. Er beſtrafte die Pha-<lb/>
riſaͤer: aber nur mit Worten. Er trieb die Wucherer aus dem<lb/>
Tempel: das war aber Beſtrafung der Laſter und nicht der Reli-<lb/>
gionsmeinungen; ſonſt haͤtte er noch ehe die Goͤtzenbilder der Roͤ-<lb/>
mer ſtuͤrmen muͤſſen. Er gieng aber vielmehr liebreich mit ih-<lb/>
nen um; und es war eine Zeit, wo er keinen Vertheidiger hatte,<lb/>
als Pilati Weib.</p><lb/><p>Wolte der blutduͤrſtige Aberglaube (denn der allein mordet<lb/>
im Namen Gottes!) ſich auf die Ausrottung der Voͤlker in Ka-<lb/>
naan berufen: ſo war das ein Fall, der jetzo nicht mehr ſtatt ha-<lb/>
ben kan. Dieſe Nationen waren die groͤbſten Boͤſewichter und<lb/>
Abgoͤtter; das leichtſinnige Iſrael konte verfuͤhret, oder von ih-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">nen</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[149[179]/0186]
Der 12te Maͤrz.
Gehoͤren nicht die Erde
Und alle Voͤlker dir?
Wen Gott mein Vater ſegnet,
Wie waͤre der mein Feind?
Wer liebreich mir begegnet,
Iſt, wo er ſey, mein Freund.
Gottlob! die barbariſche Zeiten des Aberglaubens neigen ſich
zum Untergange. Bald wird man allenthalben die Bibel
leſen, und den einigen Gott anbeten duͤrfen, ohne verbrant zu
werden. Schreckliche Zeiten, wo erhitzte Menſchen des Glau-
bens wegen einen Scheiderhaufen anzuͤndeten, ohne ſelbſt zu wiſ-
ſen, was Wahrheit und Froͤmmigkeit ſey! Die Toleranz oder
Religionsduldung war ſtets eine Eigenſchaft der wahren Re-
ligion und der Vernunft. Muhammed hetzte ſeine dummen
Araber gegen alle fremde Glaubensgenoſſen auf: Jeſus gebot
Friede und Liebe, ſo gar gegen die Feinde. Er beſtrafte die Pha-
riſaͤer: aber nur mit Worten. Er trieb die Wucherer aus dem
Tempel: das war aber Beſtrafung der Laſter und nicht der Reli-
gionsmeinungen; ſonſt haͤtte er noch ehe die Goͤtzenbilder der Roͤ-
mer ſtuͤrmen muͤſſen. Er gieng aber vielmehr liebreich mit ih-
nen um; und es war eine Zeit, wo er keinen Vertheidiger hatte,
als Pilati Weib.
Wolte der blutduͤrſtige Aberglaube (denn der allein mordet
im Namen Gottes!) ſich auf die Ausrottung der Voͤlker in Ka-
naan berufen: ſo war das ein Fall, der jetzo nicht mehr ſtatt ha-
ben kan. Dieſe Nationen waren die groͤbſten Boͤſewichter und
Abgoͤtter; das leichtſinnige Iſrael konte verfuͤhret, oder von ih-
nen
K 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 149[179]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/186>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.