Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Die schöne Magelone.
11.
Wie Peter die schöne Magelone verließ.

Peter war durch seinen Gesang beinahe auch ein-
geschläfert, aber er ermunterte sich wieder, und
betrachtete das holdselige Angesicht der schönen Ma-
gelone, die im Schlafe süß lächelte. Dann sah er
über sich und bemerkte, wie eine Menge schöner
und zarter Vögel oben in den Zweigen sich ver-
sammelten, die nicht scheu thaten, sondern hin und
her hüpften, auch jezuweilen auf den kleinen Gras-
platz zu ihm herunter kamen. Es ergötzte ihn, daß
diese unvernünftigen Creaturen an der schönen Ma-
gelone ein Wohlgefallen zu bezeigen schienen. Da
sah er aber in dem Baume einen schwarzen Ra-
ben sitzen, und dachte bei sich: wie kommt doch
dieser häßliche Vogel in die Gesellschaft dieser bun-
ten Thierchen, es dünkt mir nicht anders, als
wenn sich ein grober ungeschliffener Knecht unter
edle Ritter eindrängen wollte.

Ihm däuchte, als wenn Magelone mit Ban-
gigkeit Athem holte, er schnürte sie daher etwas
auf, und ihr weißer schöner Busen trat aus den
verhüllenden Gewändern hervor. Peter war über
die unaussprechliche Schönheit entzückt, er glaubte
im Himmel zu seyn und alle seine Sinne wandten
sich um; er konnte nicht aufhören, seine Augen
zu weiden und sich an dem Glanze zu berauschen.
Mit jedem Athemzuge hob sich die zarte Brust und
sank wieder. Der Ritter fühlte, daß er Magelonen

Die ſchoͤne Magelone.
11.
Wie Peter die ſchoͤne Magelone verließ.

Peter war durch ſeinen Geſang beinahe auch ein-
geſchlaͤfert, aber er ermunterte ſich wieder, und
betrachtete das holdſelige Angeſicht der ſchoͤnen Ma-
gelone, die im Schlafe ſuͤß laͤchelte. Dann ſah er
uͤber ſich und bemerkte, wie eine Menge ſchoͤner
und zarter Voͤgel oben in den Zweigen ſich ver-
ſammelten, die nicht ſcheu thaten, ſondern hin und
her huͤpften, auch jezuweilen auf den kleinen Gras-
platz zu ihm herunter kamen. Es ergoͤtzte ihn, daß
dieſe unvernuͤnftigen Creaturen an der ſchoͤnen Ma-
gelone ein Wohlgefallen zu bezeigen ſchienen. Da
ſah er aber in dem Baume einen ſchwarzen Ra-
ben ſitzen, und dachte bei ſich: wie kommt doch
dieſer haͤßliche Vogel in die Geſellſchaft dieſer bun-
ten Thierchen, es duͤnkt mir nicht anders, als
wenn ſich ein grober ungeſchliffener Knecht unter
edle Ritter eindraͤngen wollte.

Ihm daͤuchte, als wenn Magelone mit Ban-
gigkeit Athem holte, er ſchnuͤrte ſie daher etwas
auf, und ihr weißer ſchoͤner Buſen trat aus den
verhuͤllenden Gewaͤndern hervor. Peter war uͤber
die unausſprechliche Schoͤnheit entzuͤckt, er glaubte
im Himmel zu ſeyn und alle ſeine Sinne wandten
ſich um; er konnte nicht aufhoͤren, ſeine Augen
zu weiden und ſich an dem Glanze zu berauſchen.
Mit jedem Athemzuge hob ſich die zarte Bruſt und
ſank wieder. Der Ritter fuͤhlte, daß er Magelonen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0376" n="365"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die &#x017F;cho&#x0364;ne Magelone</hi>.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>11.<lb/><hi rendition="#g">Wie Peter die &#x017F;cho&#x0364;ne Magelone verließ</hi>.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">P</hi>eter war durch &#x017F;einen Ge&#x017F;ang beinahe auch ein-<lb/>
ge&#x017F;chla&#x0364;fert, aber er ermunterte &#x017F;ich wieder, und<lb/>
betrachtete das hold&#x017F;elige Ange&#x017F;icht der &#x017F;cho&#x0364;nen Ma-<lb/>
gelone, die im Schlafe &#x017F;u&#x0364;ß la&#x0364;chelte. Dann &#x017F;ah er<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;ich und bemerkte, wie eine Menge &#x017F;cho&#x0364;ner<lb/>
und zarter Vo&#x0364;gel oben in den Zweigen &#x017F;ich ver-<lb/>
&#x017F;ammelten, die nicht &#x017F;cheu thaten, &#x017F;ondern hin und<lb/>
her hu&#x0364;pften, auch jezuweilen auf den kleinen Gras-<lb/>
platz zu ihm herunter kamen. Es ergo&#x0364;tzte ihn, daß<lb/>
die&#x017F;e unvernu&#x0364;nftigen Creaturen an der &#x017F;cho&#x0364;nen Ma-<lb/>
gelone ein Wohlgefallen zu bezeigen &#x017F;chienen. Da<lb/>
&#x017F;ah er aber in dem Baume einen &#x017F;chwarzen Ra-<lb/>
ben &#x017F;itzen, und dachte bei &#x017F;ich: wie kommt doch<lb/>
die&#x017F;er ha&#x0364;ßliche Vogel in die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft die&#x017F;er bun-<lb/>
ten Thierchen, es du&#x0364;nkt mir nicht anders, als<lb/>
wenn &#x017F;ich ein grober unge&#x017F;chliffener Knecht unter<lb/>
edle Ritter eindra&#x0364;ngen wollte.</p><lb/>
            <p>Ihm da&#x0364;uchte, als wenn Magelone mit Ban-<lb/>
gigkeit Athem holte, er &#x017F;chnu&#x0364;rte &#x017F;ie daher etwas<lb/>
auf, und ihr weißer &#x017F;cho&#x0364;ner Bu&#x017F;en trat aus den<lb/>
verhu&#x0364;llenden Gewa&#x0364;ndern hervor. Peter war u&#x0364;ber<lb/>
die unaus&#x017F;prechliche Scho&#x0364;nheit entzu&#x0364;ckt, er glaubte<lb/>
im Himmel zu &#x017F;eyn und alle &#x017F;eine Sinne wandten<lb/>
&#x017F;ich um; er konnte nicht aufho&#x0364;ren, &#x017F;eine Augen<lb/>
zu weiden und &#x017F;ich an dem Glanze zu berau&#x017F;chen.<lb/>
Mit jedem Athemzuge hob &#x017F;ich die zarte Bru&#x017F;t und<lb/>
&#x017F;ank wieder. Der Ritter fu&#x0364;hlte, daß er Magelonen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0376] Die ſchoͤne Magelone. 11. Wie Peter die ſchoͤne Magelone verließ. Peter war durch ſeinen Geſang beinahe auch ein- geſchlaͤfert, aber er ermunterte ſich wieder, und betrachtete das holdſelige Angeſicht der ſchoͤnen Ma- gelone, die im Schlafe ſuͤß laͤchelte. Dann ſah er uͤber ſich und bemerkte, wie eine Menge ſchoͤner und zarter Voͤgel oben in den Zweigen ſich ver- ſammelten, die nicht ſcheu thaten, ſondern hin und her huͤpften, auch jezuweilen auf den kleinen Gras- platz zu ihm herunter kamen. Es ergoͤtzte ihn, daß dieſe unvernuͤnftigen Creaturen an der ſchoͤnen Ma- gelone ein Wohlgefallen zu bezeigen ſchienen. Da ſah er aber in dem Baume einen ſchwarzen Ra- ben ſitzen, und dachte bei ſich: wie kommt doch dieſer haͤßliche Vogel in die Geſellſchaft dieſer bun- ten Thierchen, es duͤnkt mir nicht anders, als wenn ſich ein grober ungeſchliffener Knecht unter edle Ritter eindraͤngen wollte. Ihm daͤuchte, als wenn Magelone mit Ban- gigkeit Athem holte, er ſchnuͤrte ſie daher etwas auf, und ihr weißer ſchoͤner Buſen trat aus den verhuͤllenden Gewaͤndern hervor. Peter war uͤber die unausſprechliche Schoͤnheit entzuͤckt, er glaubte im Himmel zu ſeyn und alle ſeine Sinne wandten ſich um; er konnte nicht aufhoͤren, ſeine Augen zu weiden und ſich an dem Glanze zu berauſchen. Mit jedem Athemzuge hob ſich die zarte Bruſt und ſank wieder. Der Ritter fuͤhlte, daß er Magelonen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/376
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/376>, abgerufen am 21.12.2024.