besser ergangen, denn er hat während seinem Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechselt.
Vielleicht, sagte Lothar, kann die Erzäh- lung, die ich Ihnen nun vorzutragen habe, durch ihr grelles Colorit jene zu trübe Empfindung unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich erbitte mir also einige Aufmerksamkeit für den Inhalt dieser Blätter.
Liebeszauber.
Tief denkend saß Emil an seinem Tische und er- wartete seinen Freund Roderich. Das Licht brannte vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wünschte heut seinen Reisegefährten herbei, so gern er wohl sonst dessen Gesellschaft vermied, denn an diesem Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und sich Rath von ihm erbitten. Der menschenscheue Emil fand bei allen Geschäften und Vorfällen des Lebens so viele Schwierigkeiten, so unübersteigliche Hindernisse, daß ihm das Schicksal fast in einer ironischen Laune diesen Roderich zugeführt zu ha- ben schien, der in allen Dingen das Gegentheil seines Freundes zu nennen war. Unstät, flatter- haft, von jedem ersten Eindruck bestimmt und be- geistert, unternahm er alles, wußte für alles Rath, war ihm keine Unternehmung zu schwierig, konnte ihn kein Hinderniß abschrecken: aber im Verlaufe eines Geschäftes ermüdete und erlahmte er eben so
I. [ 18 ]
Liebeszauber.
beſſer ergangen, denn er hat waͤhrend ſeinem Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechſelt.
Vielleicht, ſagte Lothar, kann die Erzaͤh- lung, die ich Ihnen nun vorzutragen habe, durch ihr grelles Colorit jene zu truͤbe Empfindung unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich erbitte mir alſo einige Aufmerkſamkeit fuͤr den Inhalt dieſer Blaͤtter.
Liebeszauber.
Tief denkend ſaß Emil an ſeinem Tiſche und er- wartete ſeinen Freund Roderich. Das Licht brannte vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wuͤnſchte heut ſeinen Reiſegefaͤhrten herbei, ſo gern er wohl ſonſt deſſen Geſellſchaft vermied, denn an dieſem Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und ſich Rath von ihm erbitten. Der menſchenſcheue Emil fand bei allen Geſchaͤften und Vorfaͤllen des Lebens ſo viele Schwierigkeiten, ſo unuͤberſteigliche Hinderniſſe, daß ihm das Schickſal faſt in einer ironiſchen Laune dieſen Roderich zugefuͤhrt zu ha- ben ſchien, der in allen Dingen das Gegentheil ſeines Freundes zu nennen war. Unſtaͤt, flatter- haft, von jedem erſten Eindruck beſtimmt und be- geiſtert, unternahm er alles, wußte fuͤr alles Rath, war ihm keine Unternehmung zu ſchwierig, konnte ihn kein Hinderniß abſchrecken: aber im Verlaufe eines Geſchaͤftes ermuͤdete und erlahmte er eben ſo
I. [ 18 ]
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0284"n="273"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Liebeszauber</hi>.</fw><lb/>
beſſer ergangen, denn er hat waͤhrend ſeinem<lb/>
Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechſelt.</p><lb/><p>Vielleicht, ſagte <hirendition="#g">Lothar</hi>, kann die Erzaͤh-<lb/>
lung, die ich Ihnen nun vorzutragen habe, durch<lb/>
ihr grelles Colorit jene zu truͤbe Empfindung<lb/>
unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich<lb/>
erbitte mir alſo einige Aufmerkſamkeit fuͤr den<lb/>
Inhalt dieſer Blaͤtter.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head><hirendition="#g">Liebeszauber</hi>.</head><lb/><p><hirendition="#in">T</hi>ief denkend ſaß Emil an ſeinem Tiſche und er-<lb/>
wartete ſeinen Freund Roderich. Das Licht brannte<lb/>
vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wuͤnſchte<lb/>
heut ſeinen Reiſegefaͤhrten herbei, ſo gern er wohl<lb/>ſonſt deſſen Geſellſchaft vermied, denn an dieſem<lb/>
Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und<lb/>ſich Rath von ihm erbitten. Der menſchenſcheue<lb/>
Emil fand bei allen Geſchaͤften und Vorfaͤllen des<lb/>
Lebens ſo viele Schwierigkeiten, ſo unuͤberſteigliche<lb/>
Hinderniſſe, daß ihm das Schickſal faſt in einer<lb/>
ironiſchen Laune dieſen Roderich zugefuͤhrt zu ha-<lb/>
ben ſchien, der in allen Dingen das Gegentheil<lb/>ſeines Freundes zu nennen war. Unſtaͤt, flatter-<lb/>
haft, von jedem erſten Eindruck beſtimmt und be-<lb/>
geiſtert, unternahm er alles, wußte fuͤr alles Rath,<lb/>
war ihm keine Unternehmung zu ſchwierig, konnte<lb/>
ihn kein Hinderniß abſchrecken: aber im Verlaufe<lb/>
eines Geſchaͤftes ermuͤdete und erlahmte er eben ſo<lb/><fwplace="bottom"type="sig">I. [ 18 ]</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[273/0284]
Liebeszauber.
beſſer ergangen, denn er hat waͤhrend ſeinem
Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechſelt.
Vielleicht, ſagte Lothar, kann die Erzaͤh-
lung, die ich Ihnen nun vorzutragen habe, durch
ihr grelles Colorit jene zu truͤbe Empfindung
unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich
erbitte mir alſo einige Aufmerkſamkeit fuͤr den
Inhalt dieſer Blaͤtter.
Liebeszauber.
Tief denkend ſaß Emil an ſeinem Tiſche und er-
wartete ſeinen Freund Roderich. Das Licht brannte
vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wuͤnſchte
heut ſeinen Reiſegefaͤhrten herbei, ſo gern er wohl
ſonſt deſſen Geſellſchaft vermied, denn an dieſem
Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und
ſich Rath von ihm erbitten. Der menſchenſcheue
Emil fand bei allen Geſchaͤften und Vorfaͤllen des
Lebens ſo viele Schwierigkeiten, ſo unuͤberſteigliche
Hinderniſſe, daß ihm das Schickſal faſt in einer
ironiſchen Laune dieſen Roderich zugefuͤhrt zu ha-
ben ſchien, der in allen Dingen das Gegentheil
ſeines Freundes zu nennen war. Unſtaͤt, flatter-
haft, von jedem erſten Eindruck beſtimmt und be-
geiſtert, unternahm er alles, wußte fuͤr alles Rath,
war ihm keine Unternehmung zu ſchwierig, konnte
ihn kein Hinderniß abſchrecken: aber im Verlaufe
eines Geſchaͤftes ermuͤdete und erlahmte er eben ſo
I. [ 18 ]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/284>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.