Hier sitz' ich nun, theureste Emilie, in mei- nem engen einsamen Zimmer und denke und träume nur Sie. Mein Fenster stößt auf den Gang, in welchem ich schon damals mit Ama- lien so oft an Ihrer Seite saß -- Amalie, die mich vergessen, die mich niemals geliebt hat. -- Ach, Unglücklicher! und Du darfst noch klagen? Hat sich der huldreichste Engel nicht deiner mit einem himmlischen Mitleid an- genommen? -- Kannst Du von dieser irrdischen Erde noch mehr Glück, noch eine höhere Won- ne erwarten?
Ach, Emilie, immer, immer möcht' ich bey Ihnen seyn und den süßen Ton Ihrer trösten- den Stimme hören, immer den sanften Augen begegnen, die dem Verstoßenen, dem Elenden so kostbare Thränen schenkten. Die ganze Welt verkennt und verläßt mich. Ihr harter Bruder hat mir seine Freundschaft aufgekündigt. -- O, mag er sie zurücknehmen, wenn ich nur die Zu- neigung seiner göttlichen Schwester behalte. --
10. William Lovell an Emilie Burton.
Hier ſitz' ich nun, theureſte Emilie, in mei- nem engen einſamen Zimmer und denke und traͤume nur Sie. Mein Fenſter ſtoͤßt auf den Gang, in welchem ich ſchon damals mit Ama- lien ſo oft an Ihrer Seite ſaß — Amalie, die mich vergeſſen, die mich niemals geliebt hat. — Ach, Ungluͤcklicher! und Du darfſt noch klagen? Hat ſich der huldreichſte Engel nicht deiner mit einem himmliſchen Mitleid an- genommen? — Kannſt Du von dieſer irrdiſchen Erde noch mehr Gluͤck, noch eine hoͤhere Won- ne erwarten?
Ach, Emilie, immer, immer moͤcht' ich bey Ihnen ſeyn und den ſuͤßen Ton Ihrer troͤſten- den Stimme hoͤren, immer den ſanften Augen begegnen, die dem Verſtoßenen, dem Elenden ſo koſtbare Thraͤnen ſchenkten. Die ganze Welt verkennt und verlaͤßt mich. Ihr harter Bruder hat mir ſeine Freundſchaft aufgekuͤndigt. — O, mag er ſie zuruͤcknehmen, wenn ich nur die Zu- neigung ſeiner goͤttlichen Schweſter behalte. —
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10.
William Lovell an Emilie Burton.
Hier ſitz' ich nun, theureſte Emilie, in mei-
nem engen einſamen Zimmer und denke und
traͤume nur Sie. Mein Fenſter ſtoͤßt auf den
Gang, in welchem ich ſchon damals mit Ama-
lien ſo oft an Ihrer Seite ſaß — Amalie,
die mich vergeſſen, die mich niemals geliebt
hat. — Ach, Ungluͤcklicher! und Du darfſt
noch klagen? Hat ſich der huldreichſte Engel
nicht deiner mit einem himmliſchen Mitleid an-
genommen? — Kannſt Du von dieſer irrdiſchen
Erde noch mehr Gluͤck, noch eine hoͤhere Won-
ne erwarten?
Ach, Emilie, immer, immer moͤcht' ich bey
Ihnen ſeyn und den ſuͤßen Ton Ihrer troͤſten-
den Stimme hoͤren, immer den ſanften Augen
begegnen, die dem Verſtoßenen, dem Elenden ſo
koſtbare Thraͤnen ſchenkten. Die ganze Welt
verkennt und verlaͤßt mich. Ihr harter Bruder
hat mir ſeine Freundſchaft aufgekuͤndigt. — O,
mag er ſie zuruͤcknehmen, wenn ich nur die Zu-
neigung ſeiner goͤttlichen Schweſter behalte. —
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/48>, abgerufen am 21.11.2024.
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