Ich schrieb Ihnen neulich in der Eil, um nur Ihren Brief zu beantworten, aber jetzt habe ich der Sache reiflicher nachgedacht, und ich schreibe Ihnen jetzt, um Ihnen meine ernstliche Meinung zu sagen.
Ihr Argwohn und Ihre Besorgnisse hatten mich auf einige Tage angesteckt, denn es macht eine große Veränderung in unserm Gemüthe, wenn man uns einen bekannten und geliebten Freund plötzlich in einer andern Gestalt darzu- stellen sucht. Was sind aber alle jene Besorg- nisse, die Sie in Ihrem Briefe äußerten, wenn man sie genauer betrachtet? Vieles ist in der Welt nur Redensart, wenn man es untersucht, was ausgesprochen sehr wichtig klingt; und dies ist, wie ich glaube, auch hier der Fall. -- Sie fragen: wozu können nicht Andrea's Behauptun- gen führen? -- Ich glaube, daß man so etwas niemals fragen müsse: denn es kann doch nichts
10. Roſa an Francesko.
Tivoli.
Ich ſchrieb Ihnen neulich in der Eil, um nur Ihren Brief zu beantworten, aber jetzt habe ich der Sache reiflicher nachgedacht, und ich ſchreibe Ihnen jetzt, um Ihnen meine ernſtliche Meinung zu ſagen.
Ihr Argwohn und Ihre Beſorgniſſe hatten mich auf einige Tage angeſteckt, denn es macht eine große Veraͤnderung in unſerm Gemuͤthe, wenn man uns einen bekannten und geliebten Freund ploͤtzlich in einer andern Geſtalt darzu- ſtellen ſucht. Was ſind aber alle jene Beſorg- niſſe, die Sie in Ihrem Briefe aͤußerten, wenn man ſie genauer betrachtet? Vieles iſt in der Welt nur Redensart, wenn man es unterſucht, was ausgeſprochen ſehr wichtig klingt; und dies iſt, wie ich glaube, auch hier der Fall. — Sie fragen: wozu koͤnnen nicht Andrea's Behauptun- gen fuͤhren? — Ich glaube, daß man ſo etwas niemals fragen muͤſſe: denn es kann doch nichts
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10.
Roſa an Francesko.
Tivoli.
Ich ſchrieb Ihnen neulich in der Eil, um nur
Ihren Brief zu beantworten, aber jetzt habe
ich der Sache reiflicher nachgedacht, und ich
ſchreibe Ihnen jetzt, um Ihnen meine ernſtliche
Meinung zu ſagen.
Ihr Argwohn und Ihre Beſorgniſſe hatten
mich auf einige Tage angeſteckt, denn es macht
eine große Veraͤnderung in unſerm Gemuͤthe,
wenn man uns einen bekannten und geliebten
Freund ploͤtzlich in einer andern Geſtalt darzu-
ſtellen ſucht. Was ſind aber alle jene Beſorg-
niſſe, die Sie in Ihrem Briefe aͤußerten, wenn
man ſie genauer betrachtet? Vieles iſt in der
Welt nur Redensart, wenn man es unterſucht,
was ausgeſprochen ſehr wichtig klingt; und dies
iſt, wie ich glaube, auch hier der Fall. — Sie
fragen: wozu koͤnnen nicht Andrea's Behauptun-
gen fuͤhren? — Ich glaube, daß man ſo etwas
niemals fragen muͤſſe: denn es kann doch nichts
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/196>, abgerufen am 21.11.2024.
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