Wir haben nun endlich unser gewöhnliches Le- ben wieder angefangen, und die Zeit fließt uns eben und ohne widrige Abschnitte vorüber. Vie- le Menschen irren darinnen sehr, wenn sie nur immer streben recht viele frohe und glänzende Epochen in ihren Lebenslauf zu bringen, denn jede dieser Epochen zieht mehrere Tage nach sich, die durch ihre Nüchternheit unsere Seele leer und melancholisch machen; je einförmiger und ruhiger die Zeit vorüberfließt, um so mehr genießt man seines Lebens. Wir beyde, lieber Freund, haben uns in diesen Genuß eingelernt, und ich hasse jetzt das Planmachen, wodurch man immer in einer fernen Zukunft lebt, un- sinnigerweise die Gegenwart verschleudert, und sich im Leben gleichsam übereilt, um nur desto früher zu jenem Ziele zu kommen, das man sich aufgesteckt hat.
2. Eduard Burton an ſeinen Freund Mortimer.
Bonſtreet.
Wir haben nun endlich unſer gewoͤhnliches Le- ben wieder angefangen, und die Zeit fließt uns eben und ohne widrige Abſchnitte voruͤber. Vie- le Menſchen irren darinnen ſehr, wenn ſie nur immer ſtreben recht viele frohe und glaͤnzende Epochen in ihren Lebenslauf zu bringen, denn jede dieſer Epochen zieht mehrere Tage nach ſich, die durch ihre Nuͤchternheit unſere Seele leer und melancholiſch machen; je einfoͤrmiger und ruhiger die Zeit voruͤberfließt, um ſo mehr genießt man ſeines Lebens. Wir beyde, lieber Freund, haben uns in dieſen Genuß eingelernt, und ich haſſe jetzt das Planmachen, wodurch man immer in einer fernen Zukunft lebt, un- ſinnigerweiſe die Gegenwart verſchleudert, und ſich im Leben gleichſam uͤbereilt, um nur deſto fruͤher zu jenem Ziele zu kommen, das man ſich aufgeſteckt hat.
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2.
Eduard Burton an ſeinen Freund
Mortimer.
Bonſtreet.
Wir haben nun endlich unſer gewoͤhnliches Le-
ben wieder angefangen, und die Zeit fließt uns
eben und ohne widrige Abſchnitte voruͤber. Vie-
le Menſchen irren darinnen ſehr, wenn ſie nur
immer ſtreben recht viele frohe und glaͤnzende
Epochen in ihren Lebenslauf zu bringen, denn
jede dieſer Epochen zieht mehrere Tage nach
ſich, die durch ihre Nuͤchternheit unſere Seele
leer und melancholiſch machen; je einfoͤrmiger
und ruhiger die Zeit voruͤberfließt, um ſo mehr
genießt man ſeines Lebens. Wir beyde, lieber
Freund, haben uns in dieſen Genuß eingelernt,
und ich haſſe jetzt das Planmachen, wodurch
man immer in einer fernen Zukunft lebt, un-
ſinnigerweiſe die Gegenwart verſchleudert, und
ſich im Leben gleichſam uͤbereilt, um nur deſto
fruͤher zu jenem Ziele zu kommen, das man ſich
aufgeſteckt hat.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/15>, abgerufen am 21.11.2024.
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