Ihre Briefe, theuerste Freundinn! sind mir um so lieber, je mehr Sie darin von sich spre- chen. Ich wollte, ich könnte bey Ihnen seyn, oder Ihnen in Ihrer Lage Rath ertheilen, aber leider ist mir beides unmöglich. Das Herz des Menschen liegt mit dem Verstande so oft im Kampfe, heute scheint uns das thöricht, was uns gestern edel vorkam, daß ich eben so wenig sagen mag: Handeln Sie nach Ihrem Herzen -- als: ziehn Sie die Vernunft zu Rathe.
Ihr Bruder ist jetzt hier, und will morgen abreisen, ich wünschte ich könnte ihn begleiten, statt daß ich ihm jetzt nur diesen unbedeutenden Brief mitgeben kann. Er hat mir viel von Ih- nen erzählen müssen, viel von Ihren Kinderjah- ren und Ihren frühern Spielwerken; es giebt nichts Reitzenders, als die Kleinigkeiten genau kennen zu lernen, an denen sich schöne Seelen hinaufranken, um schön zu wachsen. Mit Wohl- gefallen denke ich oft daran, welche Kindereyen
14. Emilie Burton an Amalie Willmont.
Bonſtreet.
Ihre Briefe, theuerſte Freundinn! ſind mir um ſo lieber, je mehr Sie darin von ſich ſpre- chen. Ich wollte, ich koͤnnte bey Ihnen ſeyn, oder Ihnen in Ihrer Lage Rath ertheilen, aber leider iſt mir beides unmoͤglich. Das Herz des Menſchen liegt mit dem Verſtande ſo oft im Kampfe, heute ſcheint uns das thoͤricht, was uns geſtern edel vorkam, daß ich eben ſo wenig ſagen mag: Handeln Sie nach Ihrem Herzen — als: ziehn Sie die Vernunft zu Rathe.
Ihr Bruder iſt jetzt hier, und will morgen abreiſen, ich wuͤnſchte ich koͤnnte ihn begleiten, ſtatt daß ich ihm jetzt nur dieſen unbedeutenden Brief mitgeben kann. Er hat mir viel von Ih- nen erzaͤhlen muͤſſen, viel von Ihren Kinderjah- ren und Ihren fruͤhern Spielwerken; es giebt nichts Reitzenders, als die Kleinigkeiten genau kennen zu lernen, an denen ſich ſchoͤne Seelen hinaufranken, um ſchoͤn zu wachſen. Mit Wohl- gefallen denke ich oft daran, welche Kindereyen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0078"n="72"/><divn="2"><head>14.<lb/><hirendition="#g">Emilie Burton an Amalie Willmont</hi>.</head><lb/><dateline><placeName><hirendition="#right"><hirendition="#g">Bonſtreet</hi>.</hi></placeName></dateline><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>hre Briefe, theuerſte Freundinn! ſind mir<lb/>
um ſo lieber, je mehr Sie darin von ſich ſpre-<lb/>
chen. Ich wollte, ich koͤnnte bey Ihnen ſeyn,<lb/>
oder Ihnen in Ihrer Lage Rath ertheilen, aber<lb/>
leider iſt mir beides unmoͤglich. Das Herz des<lb/>
Menſchen liegt mit dem Verſtande ſo oft im<lb/>
Kampfe, heute ſcheint uns das thoͤricht, was<lb/>
uns geſtern edel vorkam, daß ich eben ſo wenig<lb/>ſagen mag: Handeln Sie nach Ihrem Herzen —<lb/>
als: ziehn Sie die Vernunft zu Rathe.</p><lb/><p>Ihr Bruder iſt jetzt hier, und will morgen<lb/>
abreiſen, ich wuͤnſchte ich koͤnnte ihn begleiten,<lb/>ſtatt daß ich ihm jetzt nur dieſen unbedeutenden<lb/>
Brief mitgeben kann. Er hat mir viel von Ih-<lb/>
nen erzaͤhlen muͤſſen, viel von Ihren Kinderjah-<lb/>
ren und Ihren fruͤhern Spielwerken; es giebt<lb/>
nichts Reitzenders, als die Kleinigkeiten genau<lb/>
kennen zu lernen, an denen ſich ſchoͤne Seelen<lb/>
hinaufranken, um ſchoͤn zu wachſen. Mit Wohl-<lb/>
gefallen denke ich oft daran, welche Kindereyen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[72/0078]
14.
Emilie Burton an Amalie Willmont.
Bonſtreet.
Ihre Briefe, theuerſte Freundinn! ſind mir
um ſo lieber, je mehr Sie darin von ſich ſpre-
chen. Ich wollte, ich koͤnnte bey Ihnen ſeyn,
oder Ihnen in Ihrer Lage Rath ertheilen, aber
leider iſt mir beides unmoͤglich. Das Herz des
Menſchen liegt mit dem Verſtande ſo oft im
Kampfe, heute ſcheint uns das thoͤricht, was
uns geſtern edel vorkam, daß ich eben ſo wenig
ſagen mag: Handeln Sie nach Ihrem Herzen —
als: ziehn Sie die Vernunft zu Rathe.
Ihr Bruder iſt jetzt hier, und will morgen
abreiſen, ich wuͤnſchte ich koͤnnte ihn begleiten,
ſtatt daß ich ihm jetzt nur dieſen unbedeutenden
Brief mitgeben kann. Er hat mir viel von Ih-
nen erzaͤhlen muͤſſen, viel von Ihren Kinderjah-
ren und Ihren fruͤhern Spielwerken; es giebt
nichts Reitzenders, als die Kleinigkeiten genau
kennen zu lernen, an denen ſich ſchoͤne Seelen
hinaufranken, um ſchoͤn zu wachſen. Mit Wohl-
gefallen denke ich oft daran, welche Kindereyen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/78>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.