Wenn du noch nicht bald des seltsamen Her- umtreibens überdrüßig bist, so weiß ich nicht, was ich von Dir denken soll. Ich habe Dich schon sehnlich erwartet, so sehr, daß ich es erst jetzt erfahren habe, wie sehr Du mein Freund bist. Ich kann nichts rechts thun und denken, weil ich noch immer Deine Ankunft als einen Abschnitt ansehe, hinter welchem mein Leben von neuem beginnen soll. Oft ist es mir selt- sam, daß Du nach einer so langen Entfernung nun wieder da seyn sollst; ich bin Dir schon vor dem Thore entgegen gegangen; ich laufe ans Fenster, wenn ich den Trab eines Pferdes höre. Tausend Ideen möcht' ich Dir gern mittheilen und Deine Meinung erfahren.
William Lovell ist sich selbst kaum mehr ähn- lich, und es ist würklich seltsam, wenn man be- denkt, daß ein Mensch nichts Fremdartiges in sich hineinnehmen kann, und daß dieser Leicht-
D 2
9. Mortimer an ſeinen Freund Karl Willmont.
London.
Wenn du noch nicht bald des ſeltſamen Her- umtreibens uͤberdruͤßig biſt, ſo weiß ich nicht, was ich von Dir denken ſoll. Ich habe Dich ſchon ſehnlich erwartet, ſo ſehr, daß ich es erſt jetzt erfahren habe, wie ſehr Du mein Freund biſt. Ich kann nichts rechts thun und denken, weil ich noch immer Deine Ankunft als einen Abſchnitt anſehe, hinter welchem mein Leben von neuem beginnen ſoll. Oft iſt es mir ſelt- ſam, daß Du nach einer ſo langen Entfernung nun wieder da ſeyn ſollſt; ich bin Dir ſchon vor dem Thore entgegen gegangen; ich laufe ans Fenſter, wenn ich den Trab eines Pferdes hoͤre. Tauſend Ideen moͤcht’ ich Dir gern mittheilen und Deine Meinung erfahren.
William Lovell iſt ſich ſelbſt kaum mehr aͤhn- lich, und es iſt wuͤrklich ſeltſam, wenn man be- denkt, daß ein Menſch nichts Fremdartiges in ſich hineinnehmen kann, und daß dieſer Leicht-
D 2
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0057"n="51"/><divn="2"><head>9.<lb/><hirendition="#g">Mortimer</hi> an ſeinen Freund <hirendition="#g">Karl<lb/>
Willmont</hi>.</head><lb/><dateline><placeName><hirendition="#right"><hirendition="#g">London</hi>.</hi></placeName></dateline><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>enn du noch nicht bald des ſeltſamen Her-<lb/>
umtreibens uͤberdruͤßig biſt, ſo weiß ich nicht,<lb/>
was ich von Dir denken ſoll. Ich habe Dich<lb/>ſchon ſehnlich erwartet, ſo ſehr, daß ich es erſt<lb/>
jetzt erfahren habe, wie ſehr Du mein Freund<lb/>
biſt. Ich kann nichts rechts thun und denken,<lb/>
weil ich noch immer Deine Ankunft als einen<lb/>
Abſchnitt anſehe, hinter welchem mein Leben<lb/>
von neuem beginnen ſoll. Oft iſt es mir ſelt-<lb/>ſam, daß Du nach einer ſo langen Entfernung<lb/>
nun wieder da ſeyn ſollſt; ich bin Dir ſchon vor<lb/>
dem Thore entgegen gegangen; ich laufe ans<lb/>
Fenſter, wenn ich den Trab eines Pferdes hoͤre.<lb/>
Tauſend Ideen moͤcht’ ich Dir gern mittheilen<lb/>
und Deine Meinung erfahren.</p><lb/><p>William Lovell iſt ſich ſelbſt kaum mehr aͤhn-<lb/>
lich, und es iſt wuͤrklich ſeltſam, wenn man be-<lb/>
denkt, daß ein Menſch nichts Fremdartiges in<lb/>ſich hineinnehmen kann, und daß dieſer Leicht-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 2</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[51/0057]
9.
Mortimer an ſeinen Freund Karl
Willmont.
London.
Wenn du noch nicht bald des ſeltſamen Her-
umtreibens uͤberdruͤßig biſt, ſo weiß ich nicht,
was ich von Dir denken ſoll. Ich habe Dich
ſchon ſehnlich erwartet, ſo ſehr, daß ich es erſt
jetzt erfahren habe, wie ſehr Du mein Freund
biſt. Ich kann nichts rechts thun und denken,
weil ich noch immer Deine Ankunft als einen
Abſchnitt anſehe, hinter welchem mein Leben
von neuem beginnen ſoll. Oft iſt es mir ſelt-
ſam, daß Du nach einer ſo langen Entfernung
nun wieder da ſeyn ſollſt; ich bin Dir ſchon vor
dem Thore entgegen gegangen; ich laufe ans
Fenſter, wenn ich den Trab eines Pferdes hoͤre.
Tauſend Ideen moͤcht’ ich Dir gern mittheilen
und Deine Meinung erfahren.
William Lovell iſt ſich ſelbſt kaum mehr aͤhn-
lich, und es iſt wuͤrklich ſeltſam, wenn man be-
denkt, daß ein Menſch nichts Fremdartiges in
ſich hineinnehmen kann, und daß dieſer Leicht-
D 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/57>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.