Ich beneide Ihnen Ihr ruhiges, anspruchloses Glück, und wünschte, ich könnte ein Zeuge da- von seyn, aber die Krankheit meines Vaters, die mit jedem Tage bedenklicher wird, vernich- tet alle ähnliche Pla[e]ne und Entwürfe. Sein mürrisches Wesen, mit seiner Schwachheit ver- bunden, der Groll, den er auf die ganze Welt geworfen hat, verderben mir alle Laune; indes- sen trag' ich diese Schwächen des Alters gern, und sehe alles nur als eine nothwendige Aeuße- rung seiner Krankheit an. -- Aber dann hat mir noch ein Brief von Lovell so alle Munter- keit, alle Energie des Herzens genommen, daß ich mich recht innig bedrängt fühle, von tau- send Empfindungen angefallen, die ich bisher gar nicht kannte. Ich bemerke jetzt zuerst einen ungeheuren Irrthum, der mich durch mein gan- zes Leben begleitet hat, der jetzt zum erstenmale in seiner ganzen Gräßlichkeit auf mich zutritt; ich fühle es, daß ich bisher einsam gelebt habe,
8. Eduard Burton an Mortimer.
Bonſtreet.
Ich beneide Ihnen Ihr ruhiges, anſpruchloſes Gluͤck, und wuͤnſchte, ich koͤnnte ein Zeuge da- von ſeyn, aber die Krankheit meines Vaters, die mit jedem Tage bedenklicher wird, vernich- tet alle aͤhnliche Pla[ͤ]ne und Entwuͤrfe. Sein muͤrriſches Weſen, mit ſeiner Schwachheit ver- bunden, der Groll, den er auf die ganze Welt geworfen hat, verderben mir alle Laune; indeſ- ſen trag’ ich dieſe Schwaͤchen des Alters gern, und ſehe alles nur als eine nothwendige Aeuße- rung ſeiner Krankheit an. — Aber dann hat mir noch ein Brief von Lovell ſo alle Munter- keit, alle Energie des Herzens genommen, daß ich mich recht innig bedraͤngt fuͤhle, von tau- ſend Empfindungen angefallen, die ich bisher gar nicht kannte. Ich bemerke jetzt zuerſt einen ungeheuren Irrthum, der mich durch mein gan- zes Leben begleitet hat, der jetzt zum erſtenmale in ſeiner ganzen Graͤßlichkeit auf mich zutritt; ich fuͤhle es, daß ich bisher einſam gelebt habe,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0259"n="253"/><divn="2"><head>8.<lb/><hirendition="#g">Eduard Burton</hi> an <hirendition="#g">Mortimer</hi>.</head><lb/><dateline><placeName><hirendition="#right"><hirendition="#g">Bonſtreet</hi>.</hi></placeName></dateline><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>ch beneide Ihnen Ihr ruhiges, anſpruchloſes<lb/>
Gluͤck, und wuͤnſchte, ich koͤnnte ein Zeuge da-<lb/>
von ſeyn, aber die Krankheit meines Vaters,<lb/>
die mit jedem Tage bedenklicher wird, vernich-<lb/>
tet alle aͤhnliche Pla<supplied>ͤ</supplied>ne und Entwuͤrfe. Sein<lb/>
muͤrriſches Weſen, mit ſeiner Schwachheit ver-<lb/>
bunden, der Groll, den er auf die ganze Welt<lb/>
geworfen hat, verderben mir alle Laune; indeſ-<lb/>ſen trag’ ich dieſe Schwaͤchen des Alters gern,<lb/>
und ſehe alles nur als eine nothwendige Aeuße-<lb/>
rung ſeiner Krankheit an. — Aber dann hat<lb/>
mir noch ein Brief von Lovell ſo alle Munter-<lb/>
keit, alle Energie des Herzens genommen, daß<lb/>
ich mich recht innig bedraͤngt fuͤhle, von tau-<lb/>ſend Empfindungen angefallen, die ich bisher<lb/>
gar nicht kannte. Ich bemerke jetzt zuerſt einen<lb/>
ungeheuren Irrthum, der mich durch mein gan-<lb/>
zes Leben begleitet hat, der jetzt zum erſtenmale<lb/>
in ſeiner ganzen Graͤßlichkeit auf mich zutritt;<lb/>
ich fuͤhle es, daß ich bisher einſam gelebt habe,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[253/0259]
8.
Eduard Burton an Mortimer.
Bonſtreet.
Ich beneide Ihnen Ihr ruhiges, anſpruchloſes
Gluͤck, und wuͤnſchte, ich koͤnnte ein Zeuge da-
von ſeyn, aber die Krankheit meines Vaters,
die mit jedem Tage bedenklicher wird, vernich-
tet alle aͤhnliche Plaͤne und Entwuͤrfe. Sein
muͤrriſches Weſen, mit ſeiner Schwachheit ver-
bunden, der Groll, den er auf die ganze Welt
geworfen hat, verderben mir alle Laune; indeſ-
ſen trag’ ich dieſe Schwaͤchen des Alters gern,
und ſehe alles nur als eine nothwendige Aeuße-
rung ſeiner Krankheit an. — Aber dann hat
mir noch ein Brief von Lovell ſo alle Munter-
keit, alle Energie des Herzens genommen, daß
ich mich recht innig bedraͤngt fuͤhle, von tau-
ſend Empfindungen angefallen, die ich bisher
gar nicht kannte. Ich bemerke jetzt zuerſt einen
ungeheuren Irrthum, der mich durch mein gan-
zes Leben begleitet hat, der jetzt zum erſtenmale
in ſeiner ganzen Graͤßlichkeit auf mich zutritt;
ich fuͤhle es, daß ich bisher einſam gelebt habe,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/259>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.