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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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48.
Rosa an William Lovell.


Ich kann Ihnen keinen Rath ertheilen, lieber
Freund, denn ich habe mich noch nie in einer ähn-
lichen Lage befunden; ich kann daher auch nicht
einmal wissen, wie ich an Ihrer Stelle handeln
würde. Freilich sollte es nicht möglich seyn,
daß ein Zufall uns das plötzlich nähme, was
wir für unser höchstes Glück halten, in dessen
Besitz wir schon sind: indessen es geschieht alle
Tage, und dies ist der Inhalt der meisten mensch-
lichen Klagen. Ihre Wuth gegen den Bräuti-
gam, der so plötzlich aus den Wolken fällt, ist
sehr verzeihlich. Aber Sie sollten doch Mittel
dagegen versuchen; unser ganzes Leben erscheint
mir immer als ein Kampf mit dem Schicksale,
es überlistet uns in jedem Augenblicke, aber
wir müssen uns nicht sogleich für überwunden
erkennen, sondern List gegen List setzen. Dieser
Streit macht unser Daseyn interessant, er macht,

48.
Roſa an William Lovell.


Ich kann Ihnen keinen Rath ertheilen, lieber
Freund, denn ich habe mich noch nie in einer aͤhn-
lichen Lage befunden; ich kann daher auch nicht
einmal wiſſen, wie ich an Ihrer Stelle handeln
wuͤrde. Freilich ſollte es nicht moͤglich ſeyn,
daß ein Zufall uns das ploͤtzlich naͤhme, was
wir fuͤr unſer hoͤchſtes Gluͤck halten, in deſſen
Beſitz wir ſchon ſind: indeſſen es geſchieht alle
Tage, und dies iſt der Inhalt der meiſten menſch-
lichen Klagen. Ihre Wuth gegen den Braͤuti-
gam, der ſo ploͤtzlich aus den Wolken faͤllt, iſt
ſehr verzeihlich. Aber Sie ſollten doch Mittel
dagegen verſuchen; unſer ganzes Leben erſcheint
mir immer als ein Kampf mit dem Schickſale,
es uͤberliſtet uns in jedem Augenblicke, aber
wir muͤſſen uns nicht ſogleich fuͤr uͤberwunden
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[178/0184] 48. Roſa an William Lovell. Tivoli. Ich kann Ihnen keinen Rath ertheilen, lieber Freund, denn ich habe mich noch nie in einer aͤhn- lichen Lage befunden; ich kann daher auch nicht einmal wiſſen, wie ich an Ihrer Stelle handeln wuͤrde. Freilich ſollte es nicht moͤglich ſeyn, daß ein Zufall uns das ploͤtzlich naͤhme, was wir fuͤr unſer hoͤchſtes Gluͤck halten, in deſſen Beſitz wir ſchon ſind: indeſſen es geſchieht alle Tage, und dies iſt der Inhalt der meiſten menſch- lichen Klagen. Ihre Wuth gegen den Braͤuti- gam, der ſo ploͤtzlich aus den Wolken faͤllt, iſt ſehr verzeihlich. Aber Sie ſollten doch Mittel dagegen verſuchen; unſer ganzes Leben erſcheint mir immer als ein Kampf mit dem Schickſale, es uͤberliſtet uns in jedem Augenblicke, aber wir muͤſſen uns nicht ſogleich fuͤr uͤberwunden erkennen, ſondern Liſt gegen Liſt ſetzen. Dieſer Streit macht unſer Daſeyn intereſſant, er macht,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/184>, abgerufen am 21.11.2024.