Ja, Freund, Geliebter, Einziger, ich will, ich muß Dir antworten. -- Welchen Eindruck hat Dein Brief auf mich gemacht! -- O wie ein Gewitter ist jedes Wort durch meinen Busen gegangen, und die Frühlingssonne ist auf ein- zelne Momente zwischen den Regenschauern zu- rückgekehrt. -- Ich wollte Dir so vieles sagen, und weiß nun keine Worte zu finden. Ich bin beklemmt, die Angst drängt mein Blut nach der Kehle, -- ach, ein Blutsturz würde mir Lin- derung schaffen, und meinem Herzen ein Lab- sal seyn. -- Und doch könnt' ich nicht froh seyn, ich möchte mein ganzes Daseyn in stürzenden Thränengüssen dahin weinen, um nur der drücken- den Bürde des Lebens los zu werden. -- Wenn ich an mein voriges Glück denke, und der ge- strige Taumel noch wie ein Dampf voll unge- heurer Gestalten vor meinen trüben Augen zit- tert, -- Du hast gewaltig an die Kette gerissen, die unsre Seelen an einander bindet, die Wunde,
die
19. William Lovell an Eduard Burtou.
Rom.
Ja, Freund, Geliebter, Einziger, ich will, ich muß Dir antworten. — Welchen Eindruck hat Dein Brief auf mich gemacht! — O wie ein Gewitter iſt jedes Wort durch meinen Buſen gegangen, und die Fruͤhlingsſonne iſt auf ein- zelne Momente zwiſchen den Regenſchauern zu- ruͤckgekehrt. — Ich wollte Dir ſo vieles ſagen, und weiß nun keine Worte zu finden. Ich bin beklemmt, die Angſt draͤngt mein Blut nach der Kehle, — ach, ein Blutſturz wuͤrde mir Lin- derung ſchaffen, und meinem Herzen ein Lab- ſal ſeyn. — Und doch koͤnnt’ ich nicht froh ſeyn, ich moͤchte mein ganzes Daſeyn in ſtuͤrzenden Thraͤnenguͤſſen dahin weinen, um nur der druͤcken- den Buͤrde des Lebens los zu werden. — Wenn ich an mein voriges Gluͤck denke, und der ge- ſtrige Taumel noch wie ein Dampf voll unge- heurer Geſtalten vor meinen truͤben Augen zit- tert, — Du haſt gewaltig an die Kette geriſſen, die unſre Seelen an einander bindet, die Wunde,
die
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19.
William Lovell an Eduard Burtou.
Rom.
Ja, Freund, Geliebter, Einziger, ich will, ich
muß Dir antworten. — Welchen Eindruck hat
Dein Brief auf mich gemacht! — O wie ein
Gewitter iſt jedes Wort durch meinen Buſen
gegangen, und die Fruͤhlingsſonne iſt auf ein-
zelne Momente zwiſchen den Regenſchauern zu-
ruͤckgekehrt. — Ich wollte Dir ſo vieles ſagen,
und weiß nun keine Worte zu finden. Ich bin
beklemmt, die Angſt draͤngt mein Blut nach der
Kehle, — ach, ein Blutſturz wuͤrde mir Lin-
derung ſchaffen, und meinem Herzen ein Lab-
ſal ſeyn. — Und doch koͤnnt’ ich nicht froh ſeyn,
ich moͤchte mein ganzes Daſeyn in ſtuͤrzenden
Thraͤnenguͤſſen dahin weinen, um nur der druͤcken-
den Buͤrde des Lebens los zu werden. — Wenn
ich an mein voriges Gluͤck denke, und der ge-
ſtrige Taumel noch wie ein Dampf voll unge-
heurer Geſtalten vor meinen truͤben Augen zit-
tert, — Du haſt gewaltig an die Kette geriſſen,
die unſre Seelen an einander bindet, die Wunde,
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/102>, abgerufen am 30.12.2024.
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