Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
9.
Mortimer an seinen Freund Karl Wilmont.


Warum ich Dir so lange nicht geschrieben ha-
be, willst Du wissen? Du solltest Dich doch
schon daran gewöhnt haben, daß es in dieser
Sterblichkeit eine Menge von Vorfällen, Wir-
kungen, Handlungen, Unterlassungen ohne Ur-
sache giebt, andre die, wenn sie Ursachen haben,
oft schlimmer als gar keine Ursachen sind. --
Es giebt Leute, die bei einem Allegro weinen
können, oder die beim schmelzendsten Adagio ei-
nen unwiderstehlichen Beruf zum Tanzen füh-
len, -- wer wird hier nach den Ursachen fra-
gen? Diese Leute sind nun einmahl so und
nicht anders. Eben so habe ich zu gewissen Zei-
ten Perioden von Trägheit, wo mir jede Feder
zuwider ist, wo mich ein Billet, was ich schrei-
ben soll, in Schrecken setzen kann, ich bin aber
noch nie darauf gefallen, tiefsinnige philosophi-
sche Betrachtungen darüber anzustellen, ob die
Seele oder der Körper daran Schuld sey, von
welchen Mittelideen und Kombinationen die
ganze Erscheinung abhänge.


9.
Mortimer an ſeinen Freund Karl Wilmont.


Warum ich Dir ſo lange nicht geſchrieben ha-
be, willſt Du wiſſen? Du ſollteſt Dich doch
ſchon daran gewoͤhnt haben, daß es in dieſer
Sterblichkeit eine Menge von Vorfaͤllen, Wir-
kungen, Handlungen, Unterlaſſungen ohne Ur-
ſache giebt, andre die, wenn ſie Urſachen haben,
oft ſchlimmer als gar keine Urſachen ſind. —
Es giebt Leute, die bei einem Allegro weinen
koͤnnen, oder die beim ſchmelzendſten Adagio ei-
nen unwiderſtehlichen Beruf zum Tanzen fuͤh-
len, — wer wird hier nach den Urſachen fra-
gen? Dieſe Leute ſind nun einmahl ſo und
nicht anders. Eben ſo habe ich zu gewiſſen Zei-
ten Perioden von Traͤgheit, wo mir jede Feder
zuwider iſt, wo mich ein Billet, was ich ſchrei-
ben ſoll, in Schrecken ſetzen kann, ich bin aber
noch nie darauf gefallen, tiefſinnige philoſophi-
ſche Betrachtungen daruͤber anzuſtellen, ob die
Seele oder der Koͤrper daran Schuld ſey, von
welchen Mittelideen und Kombinationen die
ganze Erſcheinung abhaͤnge.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0054" n="46[44]"/>
        <div n="2">
          <head>9.<lb/>
Mortimer an &#x017F;einen Freund Karl Wilmont.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">London.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>arum ich Dir &#x017F;o lange nicht ge&#x017F;chrieben ha-<lb/>
be, will&#x017F;t Du wi&#x017F;&#x017F;en? Du &#x017F;ollte&#x017F;t Dich doch<lb/>
&#x017F;chon daran gewo&#x0364;hnt haben, daß es in die&#x017F;er<lb/>
Sterblichkeit eine Menge von Vorfa&#x0364;llen, Wir-<lb/>
kungen, Handlungen, Unterla&#x017F;&#x017F;ungen ohne Ur-<lb/>
&#x017F;ache giebt, andre die, wenn &#x017F;ie Ur&#x017F;achen haben,<lb/>
oft &#x017F;chlimmer als gar keine Ur&#x017F;achen &#x017F;ind. &#x2014;<lb/>
Es giebt Leute, die bei einem Allegro weinen<lb/>
ko&#x0364;nnen, oder die beim &#x017F;chmelzend&#x017F;ten Adagio ei-<lb/>
nen unwider&#x017F;tehlichen Beruf zum Tanzen fu&#x0364;h-<lb/>
len, &#x2014; wer wird hier nach den Ur&#x017F;achen fra-<lb/>
gen? Die&#x017F;e Leute &#x017F;ind nun einmahl &#x017F;o und<lb/>
nicht <choice><sic>auders</sic><corr>anders</corr></choice>. Eben &#x017F;o habe ich zu gewi&#x017F;&#x017F;en Zei-<lb/>
ten Perioden von Tra&#x0364;gheit, wo mir jede Feder<lb/>
zuwider i&#x017F;t, wo mich ein Billet, was ich &#x017F;chrei-<lb/>
ben &#x017F;oll, in Schrecken &#x017F;etzen kann, ich bin aber<lb/>
noch nie darauf gefallen, tief&#x017F;innige philo&#x017F;ophi-<lb/>
&#x017F;che Betrachtungen daru&#x0364;ber anzu&#x017F;tellen, ob die<lb/>
Seele oder der Ko&#x0364;rper daran Schuld &#x017F;ey, von<lb/>
welchen Mittelideen und Kombinationen die<lb/>
ganze Er&#x017F;cheinung abha&#x0364;nge.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46[44]/0054] 9. Mortimer an ſeinen Freund Karl Wilmont. London. Warum ich Dir ſo lange nicht geſchrieben ha- be, willſt Du wiſſen? Du ſollteſt Dich doch ſchon daran gewoͤhnt haben, daß es in dieſer Sterblichkeit eine Menge von Vorfaͤllen, Wir- kungen, Handlungen, Unterlaſſungen ohne Ur- ſache giebt, andre die, wenn ſie Urſachen haben, oft ſchlimmer als gar keine Urſachen ſind. — Es giebt Leute, die bei einem Allegro weinen koͤnnen, oder die beim ſchmelzendſten Adagio ei- nen unwiderſtehlichen Beruf zum Tanzen fuͤh- len, — wer wird hier nach den Urſachen fra- gen? Dieſe Leute ſind nun einmahl ſo und nicht anders. Eben ſo habe ich zu gewiſſen Zei- ten Perioden von Traͤgheit, wo mir jede Feder zuwider iſt, wo mich ein Billet, was ich ſchrei- ben ſoll, in Schrecken ſetzen kann, ich bin aber noch nie darauf gefallen, tiefſinnige philoſophi- ſche Betrachtungen daruͤber anzuſtellen, ob die Seele oder der Koͤrper daran Schuld ſey, von welchen Mittelideen und Kombinationen die ganze Erſcheinung abhaͤnge.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/54
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 46[44]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/54>, abgerufen am 22.12.2024.