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Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724.

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VII. Handel. Dergleichen Haß zwischen denen Berichten und Advocaten.
§ I.
Praeliminar Anmerckung von gemeinen Zustand der Richter und Advocaten.

ES ist kein Zweiffel, daß leyder gar vielfältig, sowohl Richter als Advocaten, nicht, wie sie wohl solten, denen Partheyen, so geschwinde als möglich, zum Recht verhelffen, sondern beyderseits unter den Schein des Rechtens und durch Mißbrauch der Proceß Ordnungen die Administrirung der Gerechtigkeit; so lange als es möglich ist, aufhalten, damit jene fein viel Sportuln, diese aber destomehr Advocaten-Gebühren, verdienen. Nichts desto weniger ist daraus nicht eben zu schliessen, daß die Richter und Advocaten allezeit gute Freunde wären, sondern sie beneiden einander zum öfftern und beschuldigen einander theils wegen dieser muthwilligen Auffhaltung der Gerechtigkeit, theils wegen anderer Laster. Nun ist zwar deßwegen der Kläger oder denunciant nicht eben so fort ex hac circumstantia, daß er Richter, und der Gegentheil ein Advocate sey, aut vice versa, in Verdacht zu ziehen, denn es giebt auch Gerechtigkeit liebende Richter und Advocaten, die in ihren denunciren oder Klagen gegründet sind; aber es weiset es doch die Erfahrung daß in dergleichen Fällen wo nicht mehren theils, doch zum öfftern die affecten herrschen, wie folgende Exempel zeigen werden.

Der erste casus von einem zweydeutigen Attestat, das der Magisträt wieder einen Advocaten gegeben.

§, II. Es hatte ein Hoff Advocatus R. in einer Stadt, wo eine Fürstliche Residenz war, für denen Raths-Gerichten in einer gewissen Sache, darinnen er bedienet gewesen, eine Replicam dem dortigen Syndico oder Secretario von Mund aus in die Feder dictiret, dieser aber (nach dem leider nicht ungemeinen Exempel vieler seiner Mitbrüder, die denen Referenten den Angstschweiß auspressen, so offt sie von ihnen acta überschickt bekommen) hatte das dictirte so undeutlich und unleserlich geschrieben, daß der Advocatus hernach selbst nicht wieder errathen können, was es heissen sollen. Und ob er wohl gebeten, daß die Replic leserlich umbgeschrieben werden möchte, hatte er doch solches nicht erhalten können, darauff er inscio Senatu das unleserliche selbst emendiret auch etliche von dem Syndico ausgelassene Worte angefü-

VII. Handel. Dergleichen Haß zwischen denen Berichten und Advocaten.
§ I.
Praeliminar Anmerckung von gemeinen Zustand der Richter und Advocaten.

ES ist kein Zweiffel, daß leyder gar vielfältig, sowohl Richter als Advocaten, nicht, wie sie wohl solten, denen Partheyen, so geschwinde als möglich, zum Recht verhelffen, sondern beyderseits unter den Schein des Rechtens und durch Mißbrauch der Proceß Ordnungen die Administrirung der Gerechtigkeit; so lange als es möglich ist, aufhalten, damit jene fein viel Sportuln, diese aber destomehr Advocaten-Gebühren, verdienen. Nichts desto weniger ist daraus nicht eben zu schliessen, daß die Richter und Advocaten allezeit gute Freunde wären, sondern sie beneiden einander zum öfftern und beschuldigen einander theils wegen dieser muthwilligen Auffhaltung der Gerechtigkeit, theils wegen anderer Laster. Nun ist zwar deßwegen der Kläger oder denunciant nicht eben so fort ex hac circumstantia, daß er Richter, und der Gegentheil ein Advocate sey, aut vice versa, in Verdacht zu ziehen, denn es giebt auch Gerechtigkeit liebende Richter und Advocaten, die in ihren denunciren oder Klagen gegründet sind; aber es weiset es doch die Erfahrung daß in dergleichen Fällen wo nicht mehren theils, doch zum öfftern die affecten herrschen, wie folgende Exempel zeigen werden.

Der erste casus von einem zweydeutigen Attestat, das der Magisträt wieder einen Advocaten gegeben.

§, II. Es hatte ein Hoff Advocatus R. in einer Stadt, wo eine Fürstliche Residenz war, für denen Raths-Gerichten in einer gewissen Sache, darinnen er bedienet gewesen, eine Replicam dem dortigen Syndico oder Secretario von Mund aus in die Feder dictiret, dieser aber (nach dem leider nicht ungemeinen Exempel vieler seiner Mitbrüder, die denen Referenten den Angstschweiß auspressen, so offt sie von ihnen acta überschickt bekommen) hatte das dictirte so undeutlich und unleserlich geschrieben, daß der Advocatus hernach selbst nicht wieder errathen können, was es heissen sollen. Und ob er wohl gebeten, daß die Replic leserlich umbgeschrieben werden möchte, hatte er doch solches nicht erhalten können, darauff er inscio Senatu das unleserliche selbst emendiret auch etliche von dem Syndico ausgelassene Worte angefü-

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[276/0282] VII. Handel. Dergleichen Haß zwischen denen Berichten und Advocaten. § I. ES ist kein Zweiffel, daß leyder gar vielfältig, sowohl Richter als Advocaten, nicht, wie sie wohl solten, denen Partheyen, so geschwinde als möglich, zum Recht verhelffen, sondern beyderseits unter den Schein des Rechtens und durch Mißbrauch der Proceß Ordnungen die Administrirung der Gerechtigkeit; so lange als es möglich ist, aufhalten, damit jene fein viel Sportuln, diese aber destomehr Advocaten-Gebühren, verdienen. Nichts desto weniger ist daraus nicht eben zu schliessen, daß die Richter und Advocaten allezeit gute Freunde wären, sondern sie beneiden einander zum öfftern und beschuldigen einander theils wegen dieser muthwilligen Auffhaltung der Gerechtigkeit, theils wegen anderer Laster. Nun ist zwar deßwegen der Kläger oder denunciant nicht eben so fort ex hac circumstantia, daß er Richter, und der Gegentheil ein Advocate sey, aut vice versa, in Verdacht zu ziehen, denn es giebt auch Gerechtigkeit liebende Richter und Advocaten, die in ihren denunciren oder Klagen gegründet sind; aber es weiset es doch die Erfahrung daß in dergleichen Fällen wo nicht mehren theils, doch zum öfftern die affecten herrschen, wie folgende Exempel zeigen werden. §, II. Es hatte ein Hoff Advocatus R. in einer Stadt, wo eine Fürstliche Residenz war, für denen Raths-Gerichten in einer gewissen Sache, darinnen er bedienet gewesen, eine Replicam dem dortigen Syndico oder Secretario von Mund aus in die Feder dictiret, dieser aber (nach dem leider nicht ungemeinen Exempel vieler seiner Mitbrüder, die denen Referenten den Angstschweiß auspressen, so offt sie von ihnen acta überschickt bekommen) hatte das dictirte so undeutlich und unleserlich geschrieben, daß der Advocatus hernach selbst nicht wieder errathen können, was es heissen sollen. Und ob er wohl gebeten, daß die Replic leserlich umbgeschrieben werden möchte, hatte er doch solches nicht erhalten können, darauff er inscio Senatu das unleserliche selbst emendiret auch etliche von dem Syndico ausgelassene Worte angefü-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte03_1724/282>, abgerufen am 21.11.2024.