Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 1. H. von der Gelahrheit gegenwärtigen empfinde; Z. e. ein zärtlich Ver-liebter; So wirst du doch gestehen müssen/ wenn du die Sache genau überlegest/ daß als denn erst die Betrachtung vergangener Din- ge belustige/ wenn wir uns dieselben als noch gegenwärtig/ oder die doch leichte wieder ge- genwärtig seyn können/ vorstellen/ und daß die Betrachtung zukünfftiger Dinge uns belustige/ wenn wir gedencken/ daß sie bald gegenwär- tig seyn werden/ und also muß man das gegen- wärtige allhier in einen etwas weitern Verstande nehmen. 98. Denn wenn ich das vergangene Gute 99. Daß man aber insgemein die nützlichen/ 100. Man
Das 1. H. von der Gelahrheit gegenwaͤrtigen empfinde; Z. e. ein zaͤrtlich Ver-liebter; So wirſt du doch geſtehen muͤſſen/ wenn du die Sache genau uͤberlegeſt/ daß als denn erſt die Betrachtung vergangener Din- ge beluſtige/ wenn wir uns dieſelben als noch gegenwaͤrtig/ oder die doch leichte wieder ge- genwaͤrtig ſeyn koͤnnen/ vorſtellen/ und daß die Betrachtung zukuͤnfftiger Dinge uns beluſtige/ wenn wir gedencken/ daß ſie bald gegenwaͤr- tig ſeyn werden/ und alſo muß man das gegen- waͤrtige allhier in einen etwas weitern Verſtande nehmen. 98. Denn wenn ich das vergangene Gute 99. Daß man aber insgemein die nuͤtzlichen/ 100. Man
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Das 1. H. von der Gelahrheit
gegenwaͤrtigen empfinde; Z. e. ein zaͤrtlich Ver-
liebter; So wirſt du doch geſtehen muͤſſen/
wenn du die Sache genau uͤberlegeſt/ daß als
denn erſt die Betrachtung vergangener Din-
ge beluſtige/ wenn wir uns dieſelben als noch
gegenwaͤrtig/ oder die doch leichte wieder ge-
genwaͤrtig ſeyn koͤnnen/ vorſtellen/ und daß die
Betrachtung zukuͤnfftiger Dinge uns beluſtige/
wenn wir gedencken/ daß ſie bald gegenwaͤr-
tig ſeyn werden/ und alſo muß man das gegen-
waͤrtige allhier in einen etwas weitern Verſtande
nehmen.
98. Denn wenn ich das vergangene Gute
als vergangen betrachte/ und daß nicht mehr
gegenwaͤrtig ſeyn wird/ ſo erfreue ich mich nicht/
ſondern ich betruͤbe mich/ Gleichwie in Gegen-
theil die Betrachtung des vergangenen Boͤſen
uns beluſtiget. Und wenn ich das zukuͤnfftige
Gute nur noch als zukuͤnfftig anſehe/ ſo empſin-
de ich keine Luſt darvon/ ſondern ich habe nur ein
Verlangen darnach.
99. Daß man aber insgemein die nuͤtzlichen/
beluſtigenden und ehrbaren Guͤter von einander
abſondert/ geſchiehet theils daher/ daß man dieſe
Guͤter nicht recht beſchreibet/ theils daß man
gantz offenbahr das Schein-Gut mit dem wah-
ren Gute/ theils auch endlich andere zufaͤllige
und geringe Arten des Guten mit denen edel-
ſten vermiſcht.
100. Man
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/68>, abgerufen am 04.03.2025. |