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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe aller Menschen.
tisfaction zu thun/ so kan er vor diesen wiederum
die Gedult nicht als ein ihm zukommendes Recht
fordern.

63.

Aber das ist es eben/ was wir oben ge-
sagt haben/ daß ein grosser Unterscheid zwischen
der Gerechtigkeit und Liebe sey/ und also ha-
ben wir allhier ein mercklich Exempel/ daß uns
die Liebe zu etwas verbinden könne/ darzu
wir von Rechtswegen nicht angehalten
werden könten/
und das es nicht allemahl ver-
nunfftig sey/ allzugerecht zu seyn/ oder seines Rech-
tes sich allzugenau zu bedienen.

64.

Jch bescheide mich ja wohl/ daß es ein
alt Sprich-Wort sey: Si vis amari, ama, Wilt
du geliebet seyn/ so fange erst an und liebe
andere/
und also scheinet es zwar nach dem er-
sten Ansehen/ daß auch nach den Regeln der
Liebe/
derjenige der uns nicht liebet/ sondern
vielmehr allen Haß und Verdrieß erweiset/ von
uns nicht praetendiren könne/ daß wir ihm aus
Liebe sein Verbrechen verzeihen und Gedult mit
ihm haben solten. Aber wenn wir die Sache
etwas schärffer überlegen/ werden wir bald se-
hen/ daß uns auch dieses Sprichwort nicht im
Wege stehe.

65.

Denn wir können es gleicher Gestalt auch
für unsere Meinung anführen. Eben des
halben sollen wir gedultig seyn/ damit wir
künfftig auch von dem/ der uns beleidiget hat/
geliebet werden/ wenn wir ihm durch die Ge-

dult
P 3

Liebe aller Menſchen.
tisfaction zu thun/ ſo kan er vor dieſen wiederum
die Gedult nicht als ein ihm zukommendes Recht
fordern.

63.

Aber das iſt es eben/ was wir oben ge-
ſagt haben/ daß ein groſſer Unterſcheid zwiſchen
der Gerechtigkeit und Liebe ſey/ und alſo ha-
ben wir allhier ein mercklich Exempel/ daß uns
die Liebe zu etwas verbinden koͤnne/ darzu
wir von Rechtswegen nicht angehalten
werden koͤnten/
und das es nicht allemahl ver-
nunfftig ſey/ allzugerecht zu ſeyn/ oder ſeines Rech-
tes ſich allzugenau zu bedienen.

64.

Jch beſcheide mich ja wohl/ daß es ein
alt Sprich-Wort ſey: Si vis amari, ama, Wilt
du geliebet ſeyn/ ſo fange erſt an und liebe
andere/
und alſo ſcheinet es zwar nach dem er-
ſten Anſehen/ daß auch nach den Regeln der
Liebe/
derjenige der uns nicht liebet/ ſondern
vielmehr allen Haß und Verdrieß erweiſet/ von
uns nicht prætendiren koͤnne/ daß wir ihm aus
Liebe ſein Verbrechen verzeihen und Gedult mit
ihm haben ſolten. Aber wenn wir die Sache
etwas ſchaͤrffer uͤberlegen/ werden wir bald ſe-
hen/ daß uns auch dieſes Sprichwort nicht im
Wege ſtehe.

65.

Denn wir koͤnnen es gleicher Geſtalt auch
fuͤr unſere Meinung anfuͤhren. Eben des
halben ſollen wir gedultig ſeyn/ damit wir
kuͤnfftig auch von dem/ der uns beleidiget hat/
geliebet werden/ wenn wir ihm durch die Ge-

dult
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[233[229]/0261] Liebe aller Menſchen. tisfaction zu thun/ ſo kan er vor dieſen wiederum die Gedult nicht als ein ihm zukommendes Recht fordern. 63. Aber das iſt es eben/ was wir oben ge- ſagt haben/ daß ein groſſer Unterſcheid zwiſchen der Gerechtigkeit und Liebe ſey/ und alſo ha- ben wir allhier ein mercklich Exempel/ daß uns die Liebe zu etwas verbinden koͤnne/ darzu wir von Rechtswegen nicht angehalten werden koͤnten/ und das es nicht allemahl ver- nunfftig ſey/ allzugerecht zu ſeyn/ oder ſeines Rech- tes ſich allzugenau zu bedienen. 64. Jch beſcheide mich ja wohl/ daß es ein alt Sprich-Wort ſey: Si vis amari, ama, Wilt du geliebet ſeyn/ ſo fange erſt an und liebe andere/ und alſo ſcheinet es zwar nach dem er- ſten Anſehen/ daß auch nach den Regeln der Liebe/ derjenige der uns nicht liebet/ ſondern vielmehr allen Haß und Verdrieß erweiſet/ von uns nicht prætendiren koͤnne/ daß wir ihm aus Liebe ſein Verbrechen verzeihen und Gedult mit ihm haben ſolten. Aber wenn wir die Sache etwas ſchaͤrffer uͤberlegen/ werden wir bald ſe- hen/ daß uns auch dieſes Sprichwort nicht im Wege ſtehe. 65. Denn wir koͤnnen es gleicher Geſtalt auch fuͤr unſere Meinung anfuͤhren. Eben des halben ſollen wir gedultig ſeyn/ damit wir kuͤnfftig auch von dem/ der uns beleidiget hat/ geliebet werden/ wenn wir ihm durch die Ge- dult P 3

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 233[229]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/261>, abgerufen am 13.11.2024.